Passanten, die durch die Besselstraße spazieren, können leicht übersehen, dass in diesem Altbremer Haus ein Restaurant untergebracht ist. Denn es befindet sich im Souterrain. Wir stiegen die wenigen Treppen hinab – und, ja, waren begeistert. Einfach schnuckelig, wie Stefan Ladenberger nostalgisch und doch schick mit roten Stühlen, schweren, schwarzen Holztischen, farbigen Tapeten und edlen Leuchtern eine warme Atmosphäre zaubert. Das mag bei dem kleinen Raum mit gerade einmal 34 Plätzen nicht schwer fallen, aber will dennoch oder gerade dann gelingen. Und es gelang. Was natürlich auch daran lag, dass der Service uns fein umsorgte: Kayenta Leverenz, eine professionelle Gastgeberin, die die Speisen gut anmoderierte. Wenn sie an der ein oder anderen Stelle weniger steif an den Tisch käme, sich auf einen lockeren Schnack einließe und so das Heimelige dieses Lokals auffinge, kann aus der Auszubildenden eine ganz Große ihres Faches werden. Denn Spitzenklasse muss nicht gleichbedeutend mit steif sein.
Der Gast speist hier in der Tat in einem Haus der gehobenen Kategorie, selbst wenn es momentan keinen Stern trägt. Das machte schon der Empfang deutlich. Das erste Amuse Gueule bestand aus einer apart auf einem Häppchenlöffel drapierten Fischmousse. Daneben lag fast wie ein Kunstwerk ein Stückchen eines selbst gebackenen Knäckebrots. Beides für sich bestach durch starke Aromen, die lange auf der Zunge blieben. Das zweite Amuse Gueule: selbst gebackenes Brot mit einer Butter, die herrlich frische Zitronenaromen besaß. Als dritten Appetitanreger schob die Kellnerin einen Teller mit süßen, kleinen Semmelknödeln und frischen Nordseekrabben auf den Tisch.
Wo erhält der Gast drei Amuse Gueules? Grandios!
Schon da wurde deutlich, wohin die Reise gehen würde: Wir fanden eine äußerst kreative Küche, bei der jede Ingredienz für sich eine immense Kraft entfaltet, vor uns. So aß ich immer zuerst alles einzeln und ging dann über, kleine Kombinationen zu schnüren. Doch bevor ich die Meisterwerke mit dem Besteck zerstörte, schaute ich mir die Arrangements an.
Die Auswahl fällt im kleinen Lokal eigentlich leicht. Zwei Menüs stehen auf der Karte, die es in der Drei-, Vier-, Fünf-, Sechs- oder Sieben-Gänge-Variante gibt. Wir entschieden uns für beide Menüs mit vier Gängen (jeweils 65 Euro). Den Start machte bei meiner Begleitung ein Pulpo, der durch seine Röstung kross und geschmackvoll war. Die Rahmpolenta verdiente ihren Namen. Selten schmolz eine Polenta so auf der Zunge. Bei mir lag eine Zuchinitarte mit würzigen Raucharomen auf dem Teller. Dazu servierte der Koch Gemüse-Antipasti und einen vollmundigen alten Parmesan.
Die gebratene Makrele gehörte zum zweiten Gang meiner Begleitung. Sie geriet mit der Räucherfischcreme und den Rote-Bete-Schnitzen zum Gedicht. Besonders für die Geschmacksknospen, da so selten serviert, war die confierte Kartoffel, die wie eine Mousse-Praline neben dem Fisch lag. Der klare Tomatensud in meinem Teller war eine Köstlichkeit. Eigentlich benötigte ich fast nichts anderes. Ehrlich gesagt störte mich die Basilikumflammerie fast. Sie war im Vergleich zu den anderen Zutaten nicht so aromenreich, aber so fluffig, dass sie sich beim Einstechen im Tomatensud verteilte. Der Ahrenhorster Flusswaller, der mit einem frittierten Basilikumblatt auf diesem zerbrechlichen Gebilde lag, passte vorzüglich in die kräftige Consommée. Zum Hauptgang suchten wir uns etwas aus der Weinkarte aus, die wir selten so schön gestaltet erlebt haben.
Statt jeden Wein textlich aufzuführen, sind die einzelnen Flaschenetiketten wie in einem Bildersammelalbum eingeklebt. Eine tolle Idee. Wir entschieden uns für den Rioja Baron de Ley (0,2 Liter für acht Euro), der kirschrot im Glas schimmerte und seinen vollen Geschmack mit einer kräftigen Note Holz ausspielte. Dazu passte das Rinderfilet meiner Begleitung, von dem wir uns allerdings mehr erhofften. Es hätte an einigen Stellen zarter und mehr medium sein dürfen. Die Praline vom geschmorten Bäckchen hingegen war ein toller Gag mit einem tollen Fleisch. Dazu reichte der Koch Spitzkohl und einen luftigen Brezn-Auflauf. Ich erfreute mich an einer Oldenburger Ente, die nicht hätte besser sein können. Der Kartoffelstrudel war von der Idee her interessant, aber geschmacklich nicht herausragend. Ebenfalls fiel mir auf, dass der Koch gerne mit Staudensellerie arbeitet. Die war wieder Bestandteil meines Hauptgangs, nachdem ich sie auch schon im ersten Gang hatte und sie sich im dritten Amuse Gueule befand. Angenehm fügte sich die Ingwerbirne in den Geschmack der Ente und der herrlich reduzierten dunklen Jus ein.
Den Abschluss bildete bei meiner Begleitung Zwetschge, Buttermilch, Mandel und ein noch lauwarmes Küchlein. Hier empfand ich es erstmals als überaus passend, alle Komponenten zugleich zu essen. Bei meinem Dessert bevorzugte ich das wiederum nicht, weil das Pistazieneis mit seinem leichten Salzgeschmack für sich allein grandios war. Der Marzipanraviolo bildete den kreativen und geschmacklichen Knaller.
Fazit: Es gibt ein bösartiges Sprichwort: Bei der Nouvelle Cuisine ist viel auf der Rechnung und wenig auf dem Teller. Ganz so weit möchte ich beim Kleinen Lokal nicht gehen. Aber unter ein Vier- oder Fünf-Gänge-Menü sollte der Gast nicht gehen, um nicht zu Hause durch Naschereien die schönen Geschmäcker zu verderben. Im Klartext: Auch wenn das Restaurant ohne Frage in die gehobene Kategorie gehört, dürfte etwas mehr auf dem Teller liegen – und sei es nur, weil man von den Aromen nicht genug bekommen kann.
Weitere Informationen
Das kleine Lokal, Besselstraße 40, 28203 Bremen, Telefon: 04 21 / 794 90 84, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonnabend ab 19 Uhr, Küche von 19 bis 23 Uhr, teils barrierefrei, Internet: das-kleine-lokal.de