Streit um Bremer Wahlrecht SPD greift Initiative für Volksentscheid an

Die Bremer SPD-Landesvorsitzende Sascha Aulepp hat die Initiatoren des Volksbegehrens zur erneuten Reform des Wahlrechts mit scharfen Worten attackiert.
27.08.2018, 06:45 Uhr
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SPD greift Initiative für Volksentscheid an
Von Jürgen Theiner

Ist das Mitte August angelaufene Volksbegehren „Mehr Demokratie beim Wählen“ Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten? Die SPD-Landesvorsitzende Sascha Aulepp macht den Initiatoren diesen Vorwurf. In einem Brief an die rund 4200 SPD-Mitglieder in Bremen und Bremerhaven greift Aulepp den Verein „Mehr Demokratie“ scharf an und wirft ihm vor, die latent parteienfeindliche Stimmung im Land zu schüren.

Ausgangspunkt der Kontroverse ist die Änderung des Wahlrechts für die Landtagswahl im Mai 2019, die von der Bürgerschaft im Februar beschlossen worden war. Einer der Effekte dieses neuen Wahlrechts besteht darin, dass es Kandidaten von den hinteren Rängen der Parteilisten in Zukunft schwerer haben, mit ihren Personenstimmen ein Mandat im Parlament zu erringen.

„Mehr Demokratie“ hat dies von Anfang an vehement kritisiert und nun ein Volksbegehren auf den Weg gebracht, das einen anderen Modus für die Mandatszuteilung vorsieht. Der Verein will hierfür in den nächsten Wochen 30.000 Unterschriften sammeln. Gelingt dies, könnte parallel zur Bürgerschaftswahl am 26. Mai 2019 ein Volksentscheid über die erneute Änderung des bremischen Wahlrechts stattfinden. Sie könnte dann für die übernächste Wahl im Jahr 2023 wirksam werden.

"Zwangspersonalisierung" des Wahlrechts

Im Kern schlägt „Mehr Demokratie“ vor, dass nur noch diejenigen Stimmen, die direkt an die Kandidaten vergeben wurden, über den Einzug in die Bürgerschaft entscheiden. Für die Mandatszuteilung würden zunächst sämtliche Listenstimmen für eine Partei zusammengezählt und dann gleichmäßig auf alle ihre Kandidaten verteilt. Diesen Stimmen würden dann die jeweiligen Personenstimmen hinzugerechnet.

Für Sascha Aulepp läuft das auf eine „Zwangspersonalisierung“ des Wahlrechts hinaus. In der Konsequenz hätte „die von den Parteien beschlossene Listenreihenfolge künftig keinerlei Bedeutung mehr“, so Aulepp. Nach ihrer Ansicht hat das Modell von „Mehr Demokratie“ mehrere negative Auswirkungen. Zunächst hätten Wähler künftig nicht mehr die Möglichkeit, eine Liste in der von der jeweiligen Partei aufgestellten Kandidatenreihenfolge zu unterstützen.

„Dies wäre ein deutlicher Rückschritt gegenüber der bestehenden Rechtslage“, meint die SPD-Landesvorsitzende. Für den Fall eines erfolgreichen Volksentscheides erwartet Aulepp zudem einen Rückgang der Zahl weiblicher Abgeordneter und ein stärkeres Ungleichgewicht der Repräsentanz der einzelnen Stadtteile in der Bürgerschaft. Noch sorgt aus Sicht der SPD-Landesvorsitzenden ein gewisser Regionalproporz auf den Parteilisten dafür, dass nicht ganze Stadtteile ohne Vertretung in der Bürgerschaft sind.

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Und noch einen Pferdefuß erkennt Sascha Aulepp: Die von „Mehr Demokratie“ propagierte Änderung des Wahlrechts begünstige Prominente mit Zugang zu den Medien und diejenigen, die die finanziellen Mittel haben, sich bekannt zu machen. „Für alle anderen, insbesondere auch für junge Menschen, würde es noch schwerer, ins Parlament zu kommen“, ist die SPD-Chefin überzeugt.

Ihre Befürchtung: „Extreme Personalisierung führt dazu, dass jeder primär für sich selbst unterwegs ist und nicht in erster Linie für die gemeinsame inhaltliche Überzeugung.“ Das Volksbegehren sei erkennbar darauf gerichtet, den Einfluss der Parteien auf die politische Willensbildung zurückzudrängen. ­Aulepp: „Im Kern bedient die Initiative in ihrer Argumentation alle sattsam bekannten parteienfeindlichen Vorurteile und ist damit letztlich, wenn auch sicher ungewollt, Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen Demokratiefeinde.“

Ursprung im Volksentscheid

Das ist starker Tobak. Der Geschäftsführer des Vereins „Mehr Demokratie“, Tim Weber, zeigt sich denn auch überrascht von der Heftigkeit der Attacke. „Frau Aulepp behauptet viel, aber sie versäumt, den Nachweis dafür zu erbringen“, kontert Weber. Beispiel: Frauenrepräsentanz im Parlament. Nach Aulepps Darstellung hat das 2011 und 2015 angewandte, jetzt von der Bürgerschaft reformierte Wahlrecht vor allem männlichen Bewerbern genutzt.

Unsinn, sagt Tim Weber. Wenn die Zahl der weiblichen Parlamentarier zuletzt rückläufig gewesen sei, dann wegen des Einzugs von Liberalen und AfD in die Bürgerschaft. Diese Parteien und auch die CDU haben anders als Sozialdemokraten, Grüne und Linke keine geschlechterparitätisch besetzte Liste. Aus Webers Sicht ignoriert die SPD-Chefin völlig, dass das 2011 und 2015 angewandte, auf Personenwahl akzentuierte Wahlrecht seinen Ursprung in einem Volksentscheid hatte.

„Über 70.000 Menschen haben 2006 dafür gestimmt, dass sich am Wahlrecht etwas ändern sollte“, so Weber. Darüber nun einfach hinweg zu gehen, sei nicht in Ordnung. Er widerspricht auch dem Vorwurf, die Initiatoren des Volksbegehrens arbeiteten den Populisten in die Hände. „Ich lade Frau Aulepp ein, mich mal zu begleiten, wenn ich Stimmen für unser Volksbegehren sammle“, sagt Weber. „Dann wird sie sehen, dass von einem populistischen Eindreschen auf die Parteien ganz bestimmt keine Rede sein kann.“

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