Ernährung „Unser Wissen ist lückenhaft“

Die Bremerin Ulrike von Aufschnaiter hat sich in das Thema gesunde Ernährung eingearbeitet. Sie ist davon überzeugt, dass das Essen in Kitas und Schulen nicht so optimal für die Kinder ist, wie es sein müsste.
16.06.2019, 17:46 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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„Unser Wissen ist lückenhaft“
Von Silke Hellwig

Frau von Aufschnaiter, Sie haben das Buch „Deutschlands kranke Kinder – Wie Kitas und Schulen auf Anweisung der Regierung die Gesundheit unserer Kinder schädigen“ veröffentlicht. Sie sind aber nicht etwa Medizinerin oder Ernährungswissenschaftlerin, also Fachfrau, sondern Unternehmensberaterin. Wie kam es dazu?

Ulrike von Aufschnaiter : Bei meinem Sohn wurde im Alter von knapp sechs Jahren eine schwere Zahnschmelzstörung diagnostiziert. Man nennt diese Krankheit, die inzwischen als Volkskrankheit gilt, MIH – Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation – oder auch Kreidezähne. Die Zähne sind sehr porös, schon bevor sie aus dem Kiefer wachsen, und können schnell zerbrechen. Die Behandlung ist schmerzhaft und teuer. Ich konnte mir nicht erklären, warum mein Kind diese Störung aufwies. Ich dachte, ich hätte etwas Gravierendes falsch gemacht und begann zu recherchieren. Ein Buch sollte gar nicht daraus entstehen. Ich habe keine kommerziellen Interessen. Meine Rechercheergebnisse haben mich dazu gebracht.

Haben Sie keine Bedenken, dass man Ihr Buch abtun kann, weil Sie fachfremd sind?

Ich habe mehr als zwei Jahre lang intensiv recherchiert. Ich habe meine Erkenntnisse mit Fakten und Tabellen hinterlegt. Die Quellen sind umfangreich. Ich habe das Buch vor der Veröffentlichung einer Reihe von Experten vorgelegt, um mögliche Fehler zu vermeiden. Bislang wüsste ich nicht, dass mir Fehler nachgewiesen worden sind.

Sie stellen fest, dass sich die meisten Deutschen falsch ernähren. Ist es inzwischen nicht so, dass viele Familien sehr genau darauf achten, was sie zu sich nehmen, und ihre Kinder beispielsweise vegan oder zuckerfrei aufwachsen lassen?

Es gibt heutzutage mehr Wissen über gesunde Ernährung als früher, aber es ist lückenhaft, auch das, was staatliche Stellen verbreiten. Der Bevölkerung wurde über Jahrzehnte eingetrichtert, dass eine ausgewogene Energiebilanz das Einzige ist, das wirklich zählt. Das stimmt so einfach nicht. Man muss das komplexe System der Nahrungsmittelindustrie durchdringen, um wirklich zu verstehen, was mit uns geschieht. Staatlicherseits wird viel zu wenig darüber aufgeklärt, welche Nährstoffe wichtig und wo Giftstoffe enthalten sind, weder von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung noch von Kinderärzten. Eltern stellen nur fest, dass mit ihren Kindern etwas nicht stimmt, dass sie unter Krankheiten, Allergien und Unverträglichkeiten leiden. Das hängt oft maßgeblich mit der Ernährung zusammen. Sie ist schlechter geworden, in der gesamten Gesellschaft, und zwar signifikant.

Schlechter als was?

Als in meiner Kindheit beispielsweise. Es gab kaum Convenience-Produkte und damit gab es weniger Nahrung mit zugesetztem Zucker, Salz oder Rückständen aus der Intensivlandwirtschaft wie Pestizide, Hormone und Medikamente. Eltern wie meine haben auf eine ausgewogene Ernährung geachtet, das ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, im Gegenteil: Die Kinder aßen mittags zu Hause, und es gab fast ausschließlich Selbstgekochtes und -gebackenes. Ich als Kind hatte auch nicht die Wahl, mir mein Mittagessen auszusuchen und beispielsweise das gesunde Gemüse zu umgehen. Fürs Aufräumen wurde ich nicht mit Süßigkeiten belohnt.

Sie beklagen, dass die Lebensmittelindustrie falsche Ernährung begünstigt, um Gewinne zu maximieren. Ist das eine neue Erkenntnis?

Vielleicht ist das nicht neu, aber mir selbst haben meine Recherchen in einer Weise die Augen geöffnet, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Bevor mein Sohn Probleme mit seinen Zähnen bekam, hätte ich immer behauptet, dass wir uns ganz anständig ernähren. Das war aber vollkommen falsch. Die Lebensmittelindustrie begünstigt, dass Giftstoffe in ihre Produkte gelangen – von Antibiotika aus der Massentierhaltung bis hin zu Aluminium aus Keksen – und der Staat greift nicht ein.

Ungesunde Mahlzeiten, schreiben Sie, fänden sich nicht nur auf manchem Mittags- oder Abendbrottisch zu Hause, sondern – und das ist einer Ihrer Hauptkritikpunkte – auch in staatlichen Einrichtungen.

Kinder werden ab den ersten Stunden der Fremdbetreuung mit industriell hergestellten und gesundheitsschädigenden Nahrungsmitteln versorgt. Das zieht sich bis zu den Erwachsenen durch, die in staatlichen Kantinen essen. Was bei uns in den Kitas und Schulen an Milchreis, Pudding und anderen Convenience-Produkten verteilt wird, ist nicht vereinbar mit wissenschaftlich belegten physiologischen Erkenntnissen und nicht zu verantworten. Kinder brauchen essenzielle Nährstoffe. In relevanter Menge befinden diese sich in natürlich gewachsenen pflanzlichen und tierischen Produkten, die frisch konsumiert werden müssen. Das geschieht in öffentlichen Einrichtungen selten oder gar nicht, auch wegen wirtschaftlicher Zwänge. In unserem wachsenden Ganztagsbildungssystem ist das fatal.

Staatliche Einrichtungen, die sich um die Ernährung der Kinder kümmern, setzen doch mehr und mehr auf Bio-Kost. In Bremen gibt es den Veggie-Day für staatliche Kantinen. Wie passt das zusammen?

Die Mahlzeiten werden offiziell nach den Standards des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ausgerichtet, kurz DGE. Das klingt weitsichtig und überzeugend. Aber gerade diese Empfehlungen lassen zu, dass minderwertige Zutaten verwandt, zu wenig natürliche essenzielle Nährstoffe verabreicht und Belastungen durch Schadstoffe in Kauf genommen werden.

Wie kann das sein?

Die DEG wird nicht überwacht und nicht wissenschaftlich kontrolliert. Mitglied kann jeder werden, auch Lebensmittel-Großkonzerne und deren Verbände. Das heißt, dass die Arbeit der DEG zumindest auch von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst wird, die sich nicht immer mit gesundheitsförderlichen Nahrungsmitteln vereinbaren lassen. Entsprechend kritisch muss man die DEG-Empfehlungen betrachten. Das geschieht in den zuständigen Behörden aber nicht.

Ihr Buch ist also als Kapitalismuskritik zu verstehen?

Durchaus. Absatzmärkte werden geschaffen und aufgebaut, Kapitalgeber sind auf Rendite aus. Das gilt auch für die vier Kernindustrien, die unsere Ernährung bestimmen: Die Agroindustrie, die Saatgut und Pestizide herstellt, die Lebensmittelindustrie, die Pharmaindustrie, die von Medikamenten für kranke Tiere und Menschen lebt, und die Finanzindustrie als Kapitalgeber der anderen drei Branchen und größter Profiteur von hohen Umsätzen. Jeder Verbraucher kann individuell entscheiden, ob er bereit ist, dabei mitzumachen. Kinder können es nicht. Deshalb brauchen wir eine Gesetzgebung, die unsere Kinder systematisch vor gesundheitlichen Schäden schützen, wir haben sie aber nicht.

Das heißt: zurück zur Selbstversorgung?

Natürlich kann nicht jeder sein gesamtes Gemüse im Garten oder auf dem Balkon produzieren. Aber wir haben die Ernährung umgestellt. Wir verarbeiten wieder alles selbst und achten auf hochwertige Zutaten. Anfangs war das mühsam, inzwischen fällt es uns leicht. Es kostet mehr Zeit, das stimmt, aber mit seinem Kind ständig zum Arzt gehen zu müssen, kostet auch Zeit. Und das Kind leidet.

Das Gespräch führte Silke Hellwig.

Info

Zur Person

Ulrike v. Aufschnaiter

ist Gründerin und Geschäftsführerin einer Unternehmensberatung. Die Bremerin arbeitet als Coach und Organisationsentwicklerin für das obere Management von Großkonzernen. Zuvor war sie im Investmentbanking tätig.

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