Neustadt. Die Zionskirche an der Kornstraße war voller Lorbeeren: Zunächst bedankte sich Pastorin Birgit Locnikar artig für die rhetorischen Vorschusslorbeeren, die ihr zum Amtsantritt in der Vereinigten Evangelischen Gemeinde Neustadt entgegengebracht worden sind, dann verteilte sie selbst wortwörtliche Lorbeerblätter an ihre Schäfchen - nicht fürs häusliche Ruhelager, sondern als Ansporn für christliches Handeln.
Mit der botanischen Gabe illustrierte die Pastorin ihre Predigt im Einführungsgottesdienst: Der im Jakobus-Brief des Neuen Testaments verheißene Kranz der Lebens gebühre nicht wie in der römischen Antike üblich dem siegreichen Feldherrn: 'Unseren Glauben lassen wir nicht mehr als Rechtfertigung für Kriege, die furchtbarste Sache auf der Welt, missbrauchen', bekräftigte Birgit Locnikar mit ausdrücklichem Bezug auf die Neujahrspredigt ihrer Ratsvorsitzenden Margot Käßmann. Im christlichen Sinne stehe der besagte Kranz dem Menschen zu, der seine Anlagen und Gaben nutze, um die 'Ausbeutungsstruktur der Welt zu überwinden', und sich den Notleidenden zuwende.
Mit der Befreiungstheologie, die sie im Studium kennengelernt habe, sympathisiere sie nach wie vor, bekennt Birgit Locnikar. Sie tritt in der Neustadt die Nachfolge von Lilo Eurich an, die nach Bremerhaven gezogen ist. Ursprünglich wollte die 1963 in Bremen geborene Seelsorgerin Lehrerin werden. Locnikar studierte in Bremen, Münster und Hamburg Theologie und Germanistik. Und dann hätten ihr die religionspädagogischen Lehrinhalte nicht mehr genügt, erläutert sie ihre berufliche Umorientierung.
Nachfolge von Lilo Eurich
Sie wollte mehr wissen, konzentrierte sich auf die Theologie. Der Ordination als Pastorin folgten Tätigkeiten in St. Stephani, in Lesum-Werschenrege - wo auch Jürgen Moltmann, der prominenteste Vertreter der Befreiungstheologie als Pastor wirkte -, an der Liebfrauenkirche und zuletzt in der Evangelischen Studentengemeinde Bremen.
Ihr Arbeitsplatz in der Neustadt ist noch eine Baustelle. Pastorin Locnikar wird schwerpunktmäßig im Matthias-Claudius-Gemeindezentrum tätig sein, das gegenwärtig in ein Mehrgenerationenhaus umgewandelt wird. Der Kindergarten soll Anfang August zur Verfügung stehen, der übrige Gebäudebereich im Herbst.
Konzept geplant
In den nächsten Monaten will Birgit Locnikar ein Konzept für die Nutzung erarbeiten, und zwar in engem Kontakt mit den Fachleuten des Stadtteils. Unter dabei versteht sie unter Fachleuten nicht nur die Mitarbeiter des Ortsamtes, sondern vor allem Friseure, Bäckereiverkäuferinnen, Erzieherinnen und Ärzte: Sie wüssten durch ihre Gespräche mit den Kunden am besten, wo in der Neustadt der Schuh drücke, was für Kinder, junge Familien und Senioren getan werden müsse.
Diese pragmatisch zupackende Vorgehensweise lässt darauf schließen, dass die Pastorin in ihrer Einrichtung die Erwartungen erfüllen wird, die der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, Renke Brahms, an Kirchen heute stellt. Gotteshäuser dürften, wie er im Einführungsgottesdienst betonte, keine geschlossenen Gebäude sein. Sie müssten vielmehr den Menschen einen Schirm für ihre Nöte und Freuden, für Trauer und Entfaltung von Begabungen bieten, sie müssten Zuversicht und Hoffnung vermitteln und auf den ganzen Stadtteil ausstrahlen.
Über seine neue Kollegin freute sich auch Pastor Joachim Wilimzig, dessen Arbeitsschwerpunkt die St.-Pauli-Kirche bildet: 'Ich bin richtig froh, dass du da bist', begrüßte er Birgit Locnikar. Ihre Lebenswege hatten sich bereits einmal gekreuzt, unter für beide Seiten nicht so behaglichen Umständen, nämlich im Examen: er als Prüfer, sie als Prüfling.
Eine Premiere
Der Amtsantritt von Birgit Locnikar ist eine Premiere in der noch jungen Geschichte der Vereinigten Evangelischen Gemeinde Neustadt: Sie ist die erste Pastorin, die von der vor einem Jahr aus den selbstständigen Gemeinden Zion, St. Pauli und Matthias Claudius gebildeten Großgemeinde gemeinsam gewählt worden war. Die fusionierte Gemeinde zählt 8500 Mitglieder, davon knapp 2000 im ehemaligen Sprengel Matthias Claudius.
Die Wahl des zweiten gemeinsamen Pastors könnte bereits in den nächsten Monaten folgen. Es läuft bis Mitte März noch das Bewerbungsverfahren für die Nachfolge von Pastor Hans-Günter Sanders, der vor einem Vierteljahr aus Zion ausgeschieden ist. Es lägen Anfragen einiger Interessenten vor, erklärte Pastor Wilimzig.
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