Neustadt. Der Entwurf für den Lucie-Flechtmann-Platz an der Westerstraße sieht verlockend aus: Ein Irrgarten aus Nutzpflanzen, in dem Kinder Obst und Gemüse besser kennenlernen können, eine Bühne, Hochbeete und viele gemütliche Sitzgelegenheiten – diesen Plan hat nun der Verein Kulturpflanzen vorgestellt. Neustädter Lokalpolitiker zeigen sich begeistert. Doch noch ist unklar, ob der Platz bebaut werden soll.
Sollen die Bürger mehr Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum bekommen, oder haben Prestigeprojekte und neue Wohnhäuser Vorrang? Diese stadtplanerische Grundsatzfrage zeigt sich in Bremen derzeit besonders deutlich auf dem Lucie-Flechtmann-Platz an der Westerstraße in der Neustadt. Eigentlich hat die Stadt den Neustädtern diesen Platz als Ausgleich dafür zur Verfügung gestellt, dass die Brauerei Beck‘s den ehemaligen Grünenkamp, auf dem auch der Freimarkt und Zirkus Roncalli regelmäßig zu Gast waren, für eine Betriebserweiterung in Anspruch genommen hat. Der Lucie-Flechtmann-Platz sollte laut damaligem Bausenator Jens Eckhoff nach seiner Fertigstellung 2003 als Festplatz sowie Spiel- und Erholungsfläche dienen.
Und genau dort prallen nun zwei gegensätzliche Interessen aufeinander: Wie Stadtplaner Rainer Imholze kürzlich vor dem Neustädter Beirat berichtete, zieht die Baubehörde im Rahmen des neuen Innenstadtkonzeptes in Erwägung, die Ausgleichsfläche zumindest in Teilen zu bebauen, um mehr Wohnraum zu schaffen. Wie diese Pläne genau aussehen sollen, erfahren die Lokalpolitiker am 2. September, wenn das Innenstadtkonzept vorgestellt wird.
Auf der anderen Seite kümmert sich seit Frühjahr 2012 eine Gruppe von Anwohnern um die Genehmigung, den Platz zu einem urbanen Garten als Begegnungsstätte der Generationen umgestalten zu dürfen. Mit einem ersten Erfolg, denn seit zwei Monaten entstehen auf dem bislang trostlosen Betonplatz Hochbeete, Sitzgelegenheiten und eine kleine Bühne aus Holz. "Wir sind mittlerweile eine sehr stabile Gruppe, die sich regelmäßig zum Gärtnern und zum Gedankenaustausch trifft", berichtet Anwohnerin Eva Kirschenmann, eine der Gründerinnen des Vereins Kulturpflanzen, der sich zunächst bis Ende Oktober um den Platz kümmern darf. Aber auch immer neue Leute würden inzwischen den Platz nutzen und bei der Pflege der Pflanzen sowie beim Gießen helfen, so die Stadtgärtnerin.
Am Donnerstag hat der Verein nun dem Sozialausschuss des Neustädter Beirates einen ersten Entwurf vorgelegt, wie der Platz in ein paar Jahren aussehen könnte: Ein grüner Irrgarten ist auf der Zeichnung zu sehen, in dem Kinder und Erwachsene Wissenswertes über Nutzpflanzen lernen können. Ein Spielplatz und eine Bühne, die gleichzeitig auch als Klettergerüst dienen kann, sind eingezeichnet. Neben Hochbeeten, die auch von Rollstuhlfahrern aus den naheliegenden Seniorenheimen "beackert" werden können, sollen auch ebenerdige Beete und gemütliche Sitzgelegenheiten angelegt werden.
In der anschließenden Diskussion stellte sich heraus, dass der Neustädter Beirat eventuell eine Pachtlösung unterstützen würde, indem der Verein die Verantwortung von den städtischen Stellen für Haftungsfragen übernimmt. "Ich fürchte allerdings, dass das Projekt die Ehrenamtlichen in dieser Dimension überfordern könnte", gab Ausschusssprecher Rainer Müller (SPD) zu bedenken. "Wir können das relativ günstig in Selbstorganisation schaffen, allerdings brauchen wir dazu erleichterte Grundbedingungen", sagte hingegen Kirschenmann. So seien ein eigener Wasseranschluss und ein Stromanschluss auf dem Platz wichtig sowie die Erlaubnis, die Pflastersteine entfernen zu dürfen.
Die Vorstellung, dieses in Bremen bisher einzigartige Urban-Gardening-Projekt auf einem öffentlichen Platz könne schon bald neuen Wohnungen zum Opfer fallen, stieß auch bei Aktivistin Juditha Friehe auf Kritik: "Die Menschen brauchen auch Raum dafür, Demokratie für sich zu entdecken und selbst Wege zu finden, wie sie etwas gestalten wollen." Müller räumte ein, dass die Parteien umdenken müssten. "Die alten Gesetze reichen für die jungen Köpfe nicht mehr. Ich habe lange Zeit Visionen von jungen Menschen vermisst, und auf dem Platz können wir jetzt einen Husarenritt sehen, der der Initiative gelungen ist", so der Sozialdemokrat.
Die Vertreter vom Verein Kulturpflanzen machten deutlich, dass es ihnen um weit mehr als nur einen Garten in der Stadt geht. "Ich sehe unser Projekt als Chance, im Kleinen auf den Klimawandel zu reagieren", so Kirschenmann. Entsiegelung von Flächen, verändertes Konsumverhalten durch Eigenanbau von Obst und Gemüse sowie eine gewisse Vorbildfunktion für ähnliche Initiativen seien die Vorteile. In den kommenden Wochen wollen die Stadtgärtner nun zunächst abwarten, wie der Beirat sich zu der im Innenstadtkonzept vorgesehenen Bebauung positioniert. Die bisherigen Signale deuten auf eine klare Ablehnung hin. Kirschenmann: "Bis dahin konzentrieren wir uns auf unsere Wochenendveranstaltungen wie das Picknick am Sonnabend und zeigen den Menschen vor Ort, dass wir es ernst meinen."