Herr Behr, warum verwenden Sie in der Ankündigung Ihres Vortrags statt „Polizei“ die mittelhochdeutsche Schreibweise „Policey“?
Rafael Behr: Das altertümliche Wort bezeichnet einen Zustand der „guten Ordnung“ und meint noch nicht die Polizei als Institution. Diese Schreibweise soll die Neujustierung von Sicherheit und Ordnung andeuten, die sich gegenwärtig in der Gesellschaft vollzieht.
Wie hat sich die Auffassung zu den Aufgaben der Polizei verändert?Etwa ab den 1990er-Jahren setzte sich die Haltung durch, dass die Polizei für Ordnung nicht mehr zuständig sein soll. Sie hat sich nachfolgend auf den Aspekt Sicherheit konzentriert. Heute jedoch verlangt ihr die Gesellschaft neue Ordnungsfunktionen ab und tendiert dazu, von der Polizei alles mögliche einzufordern.
Die Polizei soll also wieder Ordnungshüter sein? Reagiert sie auf ein raueres gesellschaftliches Klima?Insgesamt hat die Krisensensibilität der Gesellschaft zugenommen. Unordnung und Unsicherheit werden stärker wahrgenommen als früher. Daraus resultiert auch ein höherer Anspruch an die Sicherheitsversorgung der Gesellschaft. Und auf diese veränderte Haltung hat die Polizei reagiert.
Wie hat sich die Einstellung zur Polizei konkret verändert?Viele gesellschaftliche Gruppen, wie zum Beispiel die Gewerkschaften, haben die Auffassung vertreten, Polizisten würden zunehmend Opfer von Gewalt – sie werden bespuckt und getreten. Polizisten erhalten heute einen Mitleidsbonus. Mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und später dann mit dem Terrorismus in Europa, wie dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin, ist auch das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung angestiegen. Die Polizei sollte Robustheit zeigen und die gute Ordnung wiederherstellen. Seitdem machen sich militaristische Tendenzen, eine gewisse Abschottung gegenüber Kritik und Dominanzverhalten bei der Polizei breit.
Ist ein solcher zunehmender Autoritarismus bei der Polizei bisher nicht auf Einzelfälle beschränkt?Bislang ja, dazu zählen auch die rechtsradikalen Entgleisungen in einzelnen kleineren Milieus. Aber bei der Polizei zeigt sich insgesamt eine zunehmende Tendenz zum Heroismus: Polizisten kennen oft ihre Grenzen nicht mehr.
Ist das ein bundesweiter Trend, der auch für Bremen gilt?Es gibt durchaus Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern, etwa zwischen Sachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Mit meiner Kritik an den Veränderungen in der Polizei steht Bremen nicht an erster Stelle. Besonders in den Metropolen besteht häufig ein Aushandlungsverhältnis zwischen Bevölkerung und Polizei. In Bremen machen zum Beispiel Migrantenorganisationen und Polizei auch viel zusammen.
Wie weit geht dieser Trend zu mehr autoritärem Verhalten? Machen sich bei der Polizei auch rassistische Tendenzen bemerkbar?Einen strukturellen Rassismus gibt es bei der Polizei nicht. In der Zeit des deutschen Faschismus wurden zum Beispiel Juden oder Angehörige bestimmter Rassen vom Polizeidienst ausgeschlossen. Aber man kann auch diskriminieren, ohne ein Rassist zu sein.
Und solche Diskriminierungen finden auch bei der Polizei statt?Oft wird in der alltäglichen Arbeit von Polizisten mit Verdachtsstrategien gearbeitet: Bei Personenkontrollen, wie bei der Durchsuchung nach Drogen, wissen Polizisten, dass die Trefferquote bei bestimmten Gruppen höher ist. Auch wenn die Polizei nicht rassistisch ist, gibt es in ihr doch Subgruppen und Milieus, die zum Beispiel sexistische oder rassistische Bilder verschicken.
Wie sollte auf diese Veränderungen reagiert werden?Die Führungskräfte der Polizei sollten sich dieser aktuellen Trends bewusst werden. Der „Wille zum Wissen“ scheint mir dabei wichtig, zum Beispiel um zu ermitteln, wie viele Rechtsextremisten es bei der Polizei gibt. Und schließlich sollte man im Team jene Kollegen unter den Polizisten stärken, die den „code of silence“ brechen, die also nicht den Mund halten, wenn ein Polizist sich diskriminierend verhalten hat. Wir brauchen aber auch mehr politische Bildung bei der Ausbildung von Polizisten an der Universität, wo sie weitgehend abgeschafft wurde.
Das Gespräch führte Jörn Hildebrandt.
Rafael Behr,
61 Jahre alt, hat nach 15 Jahren Polizeidienst in Hessen Soziologie studiert und ist heute Professor für Polizeiwissenschaften am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg.
Weitere Informationen
Der Vortrag „Die Policey in der Krise – zur Neujustierung von Sicherheit und Ordnung“ des Polizeiexperten Rafael Behr findet am Dienstag, 2. April, um 19 Uhr beim Sozialen Friedensdienst (sfd) Bremen, Dammweg 18-20, statt. Der Eintritt ist frei.