Bienen würden Stemmler buchen. Der Logistiker passt zu ihnen, emsig, wie er ist. Der 47-Jährige sucht sich Honigliebhaber im Bekanntenkreis und radelt zu einem Imker in der Lüneburger Heide, um die temporäre private Einkaufsgemeinschaft mit der süßen Fracht zu beliefern.
Was Lars Stemmler antreibt? Seine Leidenschaft für Heidehonig ist ein Motiv, aber nicht das einzige. Beruflich ist der promovierte Betriebswirt spezialisiert auf europäisches Seehafenrecht, und er arbeitet „bei einem großen Bremer Hafeninfrastrukturdienstleister“, wie er es ausdrückt. „Ich habe täglich mit Warenaustausch, -umschlag, -lagerung zu tun.“ Das eine hat mit dem anderen zu tun, aber den Job und sein Projekt will er fein auseinanderhalten.
„Meine Idee ist, dass ich das Bewusstsein bei meinen Abnehmern dafür schärfen möchte, wie komfortabel wir es eigentlich haben. Die Güter kommen fast ausschließlich mit dem Lkw in die Supermärkte, der Luxus der Lieferung erfordert enorme Energie“, sagt der Schwachhauser, der in Burglesum aufgewachsen ist.
„Man sieht jeden Tag die Lastwagenschlangen, ich fahre gern Fahrrad, und seit meinem Studium treibt mich der Klimaschutz um. Außerdem interessiert es mich fachlich, und es geht mir um die sportliche Betätigung“, fasst Stemmler zusammen, was ihn antreibt. „Ich würde mich in die Fridays-for-Future-Bewegung einreihen, aber freitags kann ich nicht.“
Fahrradfahren ohne Ziel, immer nur die Blockland-Tour zu drehen, das war ihm ein bisschen zu nüchtern. So kam der Gedanke auf, etwas zu transportieren, Ware mitzubringen und das Ganze unter ein Motto zu stellen: „Wandel beginnt im Kopf“, lautet die Parole von Lars Stemmler, der mittlerweile seit einem Dreivierteljahr als „Cargocyclist“ in Norddeutschland unterwegs ist. An den Wochenenden, in seiner Freizeit.
„Ich bin kein Händler und kein Spediteur“, stellt Lars Stemmler klar, „meine Frau und ich fragen bei Nachbarn, Bekannten und Kollegen herum, und wenn jeder zwei, drei Gläser kauft, kommt schnell eine große Menge zusammen.“ So sind die Abnehmer zugleich Unterstützer des Projekts. 37 Gläser, die allein schon jeweils ein halbes Pfund wiegen und je 500 Gramm Honig enthalten, das ist die Maximalfracht, die sich der 47-Jährige zumutet – jedenfalls auf dieser Strecke. Zusammen mit einer Holzkiste auf dem vorderen Gepäckträger kommt die Fracht auf knapp 30 Kilogramm. Und 15 Kilometer pro Stunde sind für den Honigboten „ein guter Schnitt“.
„In der Stadt habe ich mal einen 40-Kilo-Sack Zement vom Baumarkt geholt, das war Kante, eine Herausforderung, und das soll es ja auch sein“, sagt Stemmler. Aber nicht um jeden Preis, denn irgendwann leidet das Fahrverhalten des dänischen Lastenrades. Und anstrengend wird es auch: „Das ist ein Rad von der Stange, standardnormal, mit Zehn-Gang-Kettenschaltung.“ 18 Kilogramm ist das Vehikel schwer und darf voll beladen samt Fahrer ungefähr das Zehnfache wiegen. Lars Stemmler ist ein drahtiger Typ, theoretisch bleiben „auf jeden Fall über 100 Kilo“ Zuladung denkbar. Wenn sie sich denn noch sicher bewegen ließen.
Sechs, sieben Touren hat der „Cargocyclist“ inzwischen hinter sich, die jüngste im November. „Sonnabends um vier starte ich, um 17 oder 18 Uhr bin ich zurück.“ 210 Kilometer kommen da an einem Tag zusammen. Auf dem Weg nach Gödenstorf in der Lüneburger Heide liegen die Ausläufer der Harburger Berge. Auch das ist eine Herausforderung. Im Winter hat Lars Stemmler vor der ersten Transportfahrt ordentlich trainiert auf seinem alten Tourenrad. „Es muss ja nicht immer High-End sein.“
Beim ersten Mal war der Imker nicht vorbereitet, obwohl alles vorher geklärt war. „Die haben einfach nicht wirklich mit mir gerechnet“, sagt Lars Stemmler, „beim zweiten Mal stand alles bereit, bei dritten Mal haben sie mir einen Kaffee angeboten.“ Honig sei die ideale Ladung: „Das Gewichts-Volumen-Verhältnis ist super auf dieses Fahrrad zugeschnitten. Weil der Lenker über den Gepäckträger streicht, ist das Volumen begrenzt.“ Ein größeres Modell passe schlicht nicht in seinen Keller.
Netzwerken gehört zum Prinzip
Der Logistiker unterscheidet zwischen wiegender Ladung wie Honig („Das sind die ganz schweren Klamotten“) und messender Ladung, die voluminös ist. Wie zum Beispiel Röstkaffeedosen. Einmal hat er eine Land-Transportetappe mit dem Lastenrad mitgemacht und Kaffee von Bord des Braker Segelschiffs „Avontuur“ von Bremen nach Wildeshausen gebracht. „Keine große Entfernung, aber die Geste zählt“, sagt Lars Stemmler. „Das war bislang das Ideellste.“ Netzwerken gehört zum Prinzip.
Vorher hat Lars Stemmler auch schon mal alte Schallplatten zum Flohmarkt gefahren, Umzugskartons nach Bremerhaven gebracht, selbst gemachte Marmelade aus dem Blockland und Biobrot aus Pinneberg geholt. In Zukunft, hofft der Bremer, der in einem Blog (longdistance-cargocycling.org) über seine Erlebnisse berichtet, auf noch mehr Vielfalt im regionalen Radverkehr. Er könnte sich zum Beispiel vorstellen, im Umkreis von ungefähr 50 Kilometern Restaurants mit frischem Gemüse zu versorgen. „Gerne auch in einer Staffel“. Als Gegenleistung stellt er sich vor, auf der Restaurant-Homepage genannt zu werden. Am Non-Profit-Charakter würde sich nichts ändern.
„Ich will die Idee weitertragen und am Leben halten“, sagt Lars Stemmler. Besonders „spannend“ findet er, dass sogar eine kommunale Wirtschaftsförderung in Schleswig-Holstein auf ihn aufmerksam geworden sei. „Die gucken auch auf regionale Lebensmittel. Es wäre schön, wenn da was zustande käme, aber ich will noch nicht zu viel verraten.“
Unterdessen gilt weiter, dass mit Regen schwieriger umzugehen ist als mit Gegenwind – und die Faustregel: „Je Stunde Fahrzeit haben Sie eine Stunde Vorbereitung. Gar nicht mal für die Tourenplanung, sondern für die Akquise. Die größte Herausforderung ist aber, sich nicht zu übernehmen.“
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