Wie kamen Sie auf die Idee, die sieben Todsünden – Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit – zur Passionszeit zu thematisieren?
Claus Nungesser : Traditionell werden die Passionsandachten mit einem Thema gefüllt. 2019 ging es um Leiderfahrungen. Da sich die Passionszeit genau über sieben Wochen erstreckt, bot sich die Lehre von den sieben Todsünden an. Zugegeben ist es ein skurriles Thema, bei dem man zunächst denkt, dass man damit nicht unbedingt punkten kann. Der Begriff Sünde ist ja abgeschmackt und negativ besetzt. Wir wollen das Thema in die heutige Zeit transportieren und gehen es individuell, politisch und global an.
Die Begriffe der Sünden sind recht veraltet. Wie stellen sie den Aktualitätsbezug her?Nungesser : Jeweils einer von uns beiden wird eine etwa 15-minütige Einführung geben. Darin erläutern wir nicht nur die Begriffe, sondern auch wie hochaktuell jedes Laster ist. Im Anschluss bleiben noch gut 90 Minuten Zeit für Gespräche und Denkanstöße.
Michael Lütge : Bei den Todsünden handelt es sich um Übertreibungen, darum, nicht das rechte Maß halten zu können. Das ist ein urmenschliches Problem unserer Gesellschaft und nicht an eine bestimmte Zeit gebunden.
Heute ist „Geiz ist geil“ sogar zum Werbespruch avanciert und cool. In ihren Ursprüngen weckte die Auseinandersetzung mit den Todsünden andere Assoziationen.
Lütge : Papst Gregor der Große (540-604) hatte einen Lasterkatalog des Neuen Testaments und andere Zählungen zu sieben Sünden zusammengefasst. Auf all die Sünden proklamierte man als göttliche Strafe das Höllendasein. Davon sind wir heute weg. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist zum Glück weniger angstbesetzt.
Die Todsünden zu thematisieren hat etwas Belehrendes. Wie begegnen sie dem?Lütge : Wir wollen nicht mit dem Fingerzeig kommen: Du bist zu geizig, zu neidisch, zu irgendwas. Das wäre schon wieder hochmütig. Es geht vielmehr darum, ein Bewusstsein für menschliche Grunderfahrungen zu schaffen und sich Verführbarkeiten vor Augen zu halten, die das menschliche Zusammenleben vergiften.
Nungesser : Es stimmt, im Laufe der Kirchengeschichte wurden die Todsünden pervertiert. Ging es um Wollust, wurde etwa die Sexualität verteufelt. Wir werden den Blick eher auf die Sünde als Macht richten, der wir ausgesetzt sind. Das kann bei der Werbung anfangen, die uns zum Konsum verführt – Neid auf die Schönheit der Anderen. Ganz schön ambivalent das Ganze.
Der Mensch ist Teil der Gesellschaft, doch auch immer auf seinen persönlichen Vorteil bedacht – eine biologisch begründbare Überlebensstrategie. Ist das zu verurteilen?Lütge : Es stellt sich natürlich die Frage, ob die biologische Anthropologie den Menschen nicht zwangsläufig zu Sündern macht? Da wäre dann die politische Ebene interessant. Müssen wir mehr Verbote und Regularien fordern, um Versuchungen leichter zu widerstehen?
Nungesser : Das Thema Todsünden ist ein Überraschungspaket. Je vielstimmiger es angegangen wird, desto besser. Dabei soll es nicht auf der theoretischen Ebene bleiben, sondern am Ende immer die Frage aufwerfen: Welche Konsequenzen hat das für mein und unser Handeln?
Die Todsünden haben viel mit Überfluss zu tun. Denkt man globaler, so resigniert der Einzelne schnell.Lütge : Die Abende sollen natürlich wachrütteln. Wir schlittern unaufhaltsam in ökologische und menschliche Katastrophen und zerstören die Erde und uns an allen Enden. Doch im Fokus steht nicht, Resignation oder Bedenken zu schüren, sondern Positives zu bewirken. Die Zusammenkünfte können auch als Tauschbörse für Tipps verstanden werden. Wie kann ich meinen persönlichen Überfluss reduzieren und zum Wohle aller die Umwelt schonen? Brauche ich ständig neue Klamotten? Muss ich so viele Flugreisen unternehmen? Welche Alternativen gibt es?
Nungesser : Es geht darum, Impulse zu setzen. Nimmt man etwa die Sünde Faulheit, die für mich eher als Trägheit zu verstehen ist. So ist gemeint: Kommen wir aus unserer Bequemlichkeit heraus und lernen Verzicht?
Ist die Vortragsreihe speziell für Gemeindemitglieder gedacht?Nungesser : Nein, die Abende sind für alle Leute offen, die Interesse mitbringen, egal welchen Glaubens. Wir geben einen spirituellen Rahmen, beginnen mit Singen und Beten und geben in einem musikalischen Zwischenspiel Raum, die gedanklichen Impulse sacken zu lassen. Zum Abschluss wird es ein Lied und einen Segen geben, begleitet am Cembalo.
Das Gespräch führte Silja Weißer.Claus Nungesser und Michael Lütge
Mit einer Vortragsreihe starten der Pastor in der Evangelischen Kirchengemeinde in der Vahr, Claus Nungesser, und Michael Lütge in die Passionszeit. Auf dem Programm stehen die sieben Todsünden. Nungesser, seit Oktober 2018 im Amt in der Vahr, arbeitete zuvor bei einer Bank im Personalbereich. Lütge, der in Theologie und Philosophie promoviert hat, war Gemeindepfarrer, Gestalttherapeut und Autor.
Weitere Informationen
Die Vortragsreihe „Impulse in der Passionszeit – die sieben Todsünden“ läuft ab Mittwoch, 26. Februar, jeweils mittwochs, 19.30 bis 21.30 Uhr, über sieben Abende in der Kapelle der Christuskirche, Adam-Stegerwald-Straße 42. In der Reihenfolge geht es um Hochmut, Geiz, Wollust, Jähzorn, Völlerei, Neid und Trägheit. Eine Anmeldung für die kostenlose Veranstaltung ist nicht erforderlich, Interessierte können einfach dazukommen.
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