Das Thema Inklusion hat in den vergangenen Jahren vor allem in den Schulen Fahrt aufgenommen. Inzwischen gehört es zum Alltag, dass Menschen mit und ohne geistige oder körperliche Beeinträchtigungen zusammen unterrichtet werden. Doch nach der Schule hat es bisher häufig mit der Integration in die Gesellschaft gehakt. Ein neues Wohnprojekt in der Gartenstadt soll nun neue Perspektiven für eine umfassende Inklusion von Menschen mit Behinderungen in die Mitte der Gesellschaft bieten.
Für das Projekt in der Winsener Straße in der Gartenstadt Vahr haben sich der Martinsclub Bremen und das Wohnungsunternehmen Gewoba zusammengetan. In der Winsener Straße entsteht in Regie der Gewoba wie auch in der Heidmarkstraße ein sogenannter Bremer Punkt. Damit bezeichnet die Gewoba einen modularen, barrierefreien Gebäudekörper, der verhältnismäßig leicht für die zukünftige Nutzung angepasst werden kann. Ein Teil der Wohnungen ist sozial gefördert.
Bauarbeiten haben noch nicht begonnen
Noch haben die Bauarbeiten in der Winsener Straße nicht angefangen, dennoch suchen die Kooperationspartner nach Interessenten mit und ohne Beeinträchtigungen, die später in einer inklusiven Mietgemeinschaft wohnen möchten. Dabei soll jede Mietpartei eine eigene Wohnung haben, sich aber als Teil einer gemeinschaftlichen und nachbarschaftlichen Gruppe begreifen. Die Gruppe kann sich darüber hinaus an der Auswahl der Wohnungsgrößen, der Grundrisse und bei Gestaltung des späteren Zusammenlebens beteiligen.
Für den Martinsclub geht es bei dem Projekt in der Gartenstadt auch um Soziale Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt. „Das große Problem ist, bezahlbaren und attraktiven Wohnraum zu finden und nicht nur am Stadtrand“, sagt Nico Oppel, verantwortlich für den Wohnbereich beim Martinsclub. Das sei insbesondere für Menschen mit geistigen Behinderungen noch einmal schwerer, die nicht selten von einer Grundsicherung lebten. „Da sind solche Projekte Gold wert“, sagt Oppel über das Vorhaben in der Gartenstadt.
Erklärtes Ziel des Martinsclubs sei es, Menschen mit Beeinträchtigungen nicht in stationären Einrichtungen und Wohnheimen, sondern in ambulanten Wohnformen unterzubringen. Bei den großen Wohnungsbauunternehmen trifft dieses Ansinnen offenbar auf eine gute Resonanz. „Wir machen eigentlich gute Erfahrungen mit den Unternehmen“, sagt Oppel. Noch etwas anders sehe es auf dem freien Wohnungsmarkt aus. „Da ist es natürlich noch so, dass sich die Menschen fragen, kann das funktionieren?“ Gerade Privatvermieter hätten zum Teil noch Vorbehalte.
Oppel sieht die Nachfrage nach ambulanten Wohnformen aber anziehen. „Wenn wir den Kindern, die jetzt inklusiv beschult werden, nach der Schule einen Platz im Wohnheim anbieten: Das trifft auf Unverständnis.“ Will heißen: Eltern von Kindern mit geistigen Beeinträchtigungen und die Kinder selbst wollen die Inklusion auch nach der Schule beibehalten und fortsetzen. Die Aufgabe des Martinsclubs sei es daher, diesen nachgefragten Wohnraum in der Mitte der Gesellschaft zu schaffen, so Oppel. Falls Unterstützung notwendig werde, geschehe das vor Ort. „Unsere Teams arbeiten in den Quartieren“, erklärt Oppel. „Von dort findet die aufsuchende Arbeit statt, je nach dem, was die Person braucht, zum Beispiel Hilfe bei Behördenpost oder bei Ärger auf der Arbeit.“ Oppel ist überzeugt von dem Quartiersansatz und den ambulanten Wohnformen im Quartier. „Nur so kennt man sich vor Ort aus und weiß, was der Stadtteil zu bieten hat und welche Angebote genutzt werden können.“
Die Gewoba kann bei dem Projekt auf Erfahrungen in der Neustadt zurückgreifen. „Dort haben wir schon ein ähnliches Projekt realisiert“, sagt Petra Kurzhöfer, Geschäftsbereichsleiterin in der Vahr. „Wir streben dadurch eine soziale Durchmischung an. Das heißt, Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen, Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Herkunft sowie Alleinstehende und Familien sollen hier gemeinsam unter einem Dach leben“, sagt sie über den Bremer Punkt, dessen Bau voraussichtlich Ende des Jahres beginnen wird und Anfang 2023 fertiggestellt werden soll.
Für das inklusive Wohnprojekt in der Winsener Straße sucht der Martinsclub Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die sich vorstellen können, Teil der Mietgemeinschaft zu sein. Eine erste digitale Informationsveranstaltung für diese Zielgruppe wird es am Mittwoch, 14. April, ab 16 Uhr geben. Interessierte werden gebeten, sich bei Matthias Süßebecker, 0421 52079606, m.suessebecker@martinsclub.de zu melden.
Die Gewoba wiederum lädt für Mittwoch, 5. Mai, zu einem öffentlichen Informationstreffen ein. Informationen zum Bewerbungsverfahren können auf der Internetseite www.gewoba.de/gemeinschaftliches-wohnen abgerufen werden.
Der Verein Martinsclub Bremen ist einer der größten Träger der Behindertenhilfe in Bremen. Gegründet im Jahr 1973, bietet er ein vielfältiges Leistungsangebot. Dazu zählen Wohnbetreuung, Assistenz in Schule, Jugendhilfe, Pflege, Bildungs- und Freizeitangebote, Fortbildungen für soziale Berufsfelder, eine Tagungsraumvermietung, zwei inklusive Gastronomiebetriebe sowie eine Agentur für barrierefreie Kommunikation. Gesellschaftlich und politisch setzt sich der Martinsclub mit seinen circa 1200 Beschäftigten für Inklusion und Gleichberechtigung ein. In den Bremer Stadtteilen Neustadt, Findorff, Kattenturm, Gröpelingen, Huckelriede, Vegesack, Walle und Vahr ist er mit einem Quartierszentrum vertreten. Seit 2018 ist der Martinsclub zudem in der Stadt Syke aktiv.