Interview zur Kulturszene in Bremen-Nord „Wir müssen Dinge kreativer angehen“

Stillstand und Unsicherheit – Malte Prieser vom Kulturbüro Bremen-Nord spricht über die Situation der Kulturszene in Zeiten von Corona.
06.05.2020, 07:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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„Wir müssen Dinge kreativer angehen“
Von Elena Matera

Herr Prieser, Corona sorgt auch in der Kultur für Stillstand. Wie gehen Sie mit der Situation um?

Malte Prieser: Uns war bereits Mitte März bewusst, dass wir Kulturbetriebe die Ersten sein werden, die schließen müssen und wahrscheinlich die Letzten sind, die wieder aufmachen dürfen. Für uns war es wichtig, dass wir unsere Einrichtungen und Mitarbeiter sichern können. Meine Kollegen Holger Wenke und Britta Bunßen haben es außerdem geschafft, dass die Mitarbeiter in Kurzarbeit zu 100 Prozent finanziert werden. Der nächste Schritt war und ist immer noch die Planung – keine leichte Aufgabe.

Inwiefern?

Wir haben bislang etwa 60 Veranstaltungen verschieben oder absagen müssen. Das betrifft auch ähnlich viele Vermietungen und zahlreiche Gruppen. Alleine im Museum mussten 75 Angebote für Kinder abgesagt werden. In den ersten Wochen war das eine extreme Herausforderung. Das wird uns noch weiter begleiten. Denn keiner weiß, wann wieder Konzerte stattfinden können. Das erschwert die Planung.

Was bedeutet diese Ungewissheit für die Kulturbetriebe?

Wir brauchen unbedingt einen längerfristigen Fahrplan für die Sommerferien. Das muss auf Bundesebene geklärt werden. Momentan wird gefühlt alle zwei Wochen eine neue Regelung beschlossen. Doch solange wir nur in diesem Zwei-Wochen-Turnus planen können, haben wir überhaupt keine Chance, Ideen und Alternativen zu den Konzerten, Partys und Veranstaltungen zu entwickeln. Momentan müssen wir immer davon ausgehen, dass wir unsere Häuser in zwei Wochen, wenn wieder neue Regelungen kommen, öffnen dürfen. Als erstes wird das wahrscheinlich das Overbeck-Museum sein.

Hat die Corona-Krise finanzielle Auswirkungen für Ihre Einrichtungen?

Die Einnahmen aus den Ticketverkäufen und der Vermietung bleiben aus. Falls im September die Veranstaltungen wieder stattfinden können, dann werden die Umsätze und Besucherzahlen sicherlich weiterhin niedrig sein, bestimmt bis zum Frühjahr 2021. Wir werden staatlich gefördert und haben daher großes Glück. Die Krise ist nicht existenzbedrohend für uns.

Wie sieht es mit den Künstlern aus, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Das ist die größte Sorge. Bei vielen Künstlern geht es um Existenzen. Manche Künstler haben von der Hand in den Mund gelebt und waren damit durchaus zufrieden – aus der Liebe zur Kunst. Ich glaube, dass das jetzt verloren gehen könnte und sich manche jetzt doch lieber für andere Jobs entscheiden und die Kunst nur ein reines Hobby bleibt. Das wäre wirklich schade. Es gehen viele Perlen verloren. Die Frage ist zurzeit: Welche Künstler halten wie lange durch? Und das gilt nicht nur für die Künstler.

Für wen denn noch?

Auch unsere Zulieferer, mit denen wir arbeiten, leiden. Das sind externe Caterings, Security-Leute und Techniker. Ganz oft sind es Solo-Selbstständige. Unsere große Sorge ist, ob alle die Krise überstehen werden, gerade auch in Hinblick auf die Kulturvielfalt in Bremen. Wir hoffen, dass es alle Spielstätten und Clubs durch die Krise schaffen. Ein Wegbrechen wäre ein großer Verlust für die Vielfalt.

Wie sieht Ihr Wunschszenario für die Zukunft aus?

Ich glaube, dass die aktuellen Maßnahmen richtig sind. Für die nächsten drei Monate wünsche ich mir bundesweit ein einheitliches Konzept. Es muss geklärt werden: Was bedeutet eine Großveranstaltung? Dürfen wir die Einrichtungen wieder aufmachen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Dürfen alle Menschen in die Säle? Wir müssen wissen, ob wir weiter auf Sicht fahren oder ob wir den Sommer komplett anders konzipieren müssen. Ideen gibt es genug. Ich kann sie nur nicht umsetzen, weil die Rechtsgrundlage und die Sicherheit fehlt. Das ist das Problem.

Was sind das für Ideen?

Falls die Konzerte und Veranstaltungen alle im Sommer ausfallen, würden wir uns eher auf den soziokulturellen Faktor konzentrieren, also vor allem auf Kinder und Senioren. Da wir wissen, dass wir längere Zeit keine Gastronomie anbieten können, haben wir bereits angefangen, unsere Lagerbestände aufzuräumen und an die Suppenengel zu verteilen. Solche Aktionen würden wir dann vermehrt im Sommer machen. Wenn ich weiß, dass ich zwei oder drei weitere Monate nicht mehr aufmachen darf, dann habe ich mehr Klarheit.

Gibt es bereits neue Ideen und Formate, die Sie aktuell umsetzen?

Wir haben verschiedene Ideen entwickelt, etwa für den Kinderzirkus. Die gut 200 Kinder können in den nächsten Monaten nicht proben. Sie bekommen von uns Tutorial-Videos, damit sie zu Hause üben können. Die Kinder können sich bei uns die Geräte ausleihen. Für Senioren haben wir Masken genäht und eine Telefonbereitschaft und Einkaufshilfe eingerichtet. Vor dem Bürgerhaus haben wir mithilfe der Vegesacker Bürger und Firmen einen Gabenzaun für Lebensmittel aufgestellt. Mit dem Kulturbahnhof und dem Kito sind wir auch stark in die Spenden-Aktion vom Verbund Clubverstärker involviert.

Würden Sie etwas Positives aus der Corona-Krise für den Kulturbetrieb ziehen?

Spätestens mit der Aktion des Clubverstärkers hat man deutlich gemerkt, dass ein Miteinander viel mehr bringt als ein Gegeneinander. Das wäre ein Gedanke, den man aus der Corona-Zeit auch in die Zukunft tragen kann. Und es bedarf eines kreativeren Umgangs mit den Möglichkeiten, die vorhanden sind. Wenn Corona etwas gezeigt hat, dann, dass wir Dinge kreativer angehen müssen, wenn man zu etwas kommen will. Und was auch ganz wichtig ist: Menschen sollen kleineren Einrichtungen treu bleiben. Ich freue mich, die Besucher im Herbst wiederzusehen.

Das Interview führte Elena Matera.

Info

Zur Person

Malte Prieser

ist programmatischer Geschäftsführer des Kulturbüros Bremen-Nord. Der 42-Jährige koordiniert die Programmplanung von Overbeck-Museum, Kito, Kulturbahnhof und Gustav-Heinemann-Bürgerhaus.

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