Anny Hartmann: Ja, das würde ich doch sagen. Nach drei Mal spricht man schon von einer Tradition (lacht). Ich bin auf jeden Fall entschlossen, den Jahresrückblick „Schwamm drüber?“ so lange es geht fortzuführen. Allerdings: Im Jahr 2022 wird es keinen geben, dann ist Winterfußball-WM in Katar.
Warum wird es dann keinen Jahresrückblick von Ihnen geben?Weil während einer Fußballweltmeisterschaft der Publikumszuspruch meistens schlecht ist und der Jahresrückblick auch viel Bearbeitungszeit in Anspruch nimmt. In 2022 werde ich mir deshalb den Luxus gönnen, nur ein Soloprogramm zu schreiben.
Wie handhaben Sie das überhaupt? Notieren Sie jede Aktion, die im Jahr passiert und sortieren sie am Ende dann aus, damit es das durchschnittliche Zwei-Stunden-Programm nicht sprengt?Genau so, ich sammel das ganze Jahr über, kopiere Artikel, mache mir handschriftliche Notizen, am Ende habe ich ein riesengroßes Dokument. Dann kommt die sprichwörtliche Axt und alles fliegt raus, was nicht passt. Was mir im Übrigen auch schon die eine oder andere Nachfrage von Zuhörern einbrachte, beispielsweise warum ich zum Rezo-Video gar nichts gesagt hätte. Aber Gäule, die jeden Tag totgeritten wurden, muss ich nicht auch noch tot über die Ziellinie schleifen. Ich setze ganz einfach meine Schwerpunkte anders und präsentiere Themen, die vielleicht nicht so eine Präsenz das Jahr über hatten, aber dennoch wichtig sind.
Wann entsteht denn der Jahresrückblick? An den Tagen zwischen Weihnachten, Silvester und Neujahr?Früher, ich stehe ja schon Ende November mit meinem Jahresrückblick auf der Bühne. Ich fange im November an, am Ende habe ich 18 Seiten und drei Wochen Zeit, das auswendig zu lernen. Das ist nicht viel Zeit, gebe ich zu. Aber bislang hat es immer gereicht. Mich hat auch mal jemand gefragt, was passiert, wenn ich eine Schreibblockade habe. Meine Antwort: Dazu habe ich keine Zeit (lacht).
Noch einmal zurück zum Kito in Vegesack. Sie haben ja nun langjährige Erfahrungen. Was sind die Vorzüge, was die Nachteile für Künstler, die hier auftreten?Ich fühle mich da immer sehr wohl. Nachteile gibt es kaum – na gut, der Soundcheck ist da unterm Dach manchmal ein wenig schwierig. Aber grundsätzlich gibt es im Kito eine gute Betreuung, gute Technik, ist dies ein warmer schöner Raum. Es ist ein gut geführtes Haus, man wird freundlich begrüßt. Das klingt selbstverständlich, ist aber leider nicht so. Insofern gibt es im Kito gar keine Nachteile.
In diesen vielen Jahren, hatten Sie da die Gelegenheit, neben dem Auftrittsort auch die Region näher kennenzulernen?Ich schaffe das auf Tour gar nicht. Mein Zeitablauf ist Anreise, Hotel, Sachen aus dem Koffer packen, Soundcheck, Bühne, Hotel, wieder alles in Koffer packen, Postkarten mit Briefmarken versehen, Bett, Schlafen, Frühstück, woanders hin. Ich sehe allerdings viel Gegend.
Fahren Sie selber zu den Auftritten oder werden Sie gefahren?Es gibt einen Lokführer (lacht), also werde ich gefahren.
Mit „Schwamm drüber?“ geht es ja um den nächsten Jahresrückblick. Was hat Sie denn 2019 ganz besonders bewegt?Der Rechtsruck, was ich auch in meinem Programm thematisiere. Wir Deutschen sind ja auf dem rechten Auge ein wenig blind, das ist für mich bedenklich. Das ist zwar kein heiteres Thema, aber ich werde es kabarettistisch so aufbereiten, dass niemand deprimiert nach Hause gehen muss.
Vor gut einem Jahrzehnt haben Sie als diplomierte Volkswirtin die bereits sichere Sparkassenanstellung gegen ein Dasein als Bühnenkünstlerin eingetauscht. Wie lautet Ihr Resümee?Beste Entscheidung ever – und es ist schon fast 17 Jahre her. Sicher, es war ein langer Weg, bis es sich ausgezahlt hat, bis ich davon leben konnte. Aber auch die langen Zeiten mit Geldsorgen hätten mich nicht zurück in die Arme der Sparkasse getrieben.
Ob Me-too oder Gehaltsunterschiede, auch im 21. Jahrhundert wird noch über die Benachteiligung von Frauen gesprochen. Wie sieht es in dieser Hinsicht auf den Kabarett-Bühnen aus?Wenn ein Kabarettist einen feministischen Satz sagt, wird er dafür gelobt und groß gefeiert. Erzählt dies eine Kabarettistin, ist es selbstverständlich. Was mich allerdings wahnsinnig macht, sind die Klischees, die immer noch stark in den Köpfen vorhanden sind. Als Beispiel nenne ich da mein Solo-Kabarett-Programm neben dem Jahresrückblick. Das ist ein reines Wirtschafts- und Lobby-Kabarett-Programm. In diesem Zusammenhang habe ich erwähnt, dass in Deutschland Ko-Tropfen nicht strafbar sind, in anderen Ländern aber schon. Darauf hieß es plötzlich, ich mache Frauen-Kabarett. Ganz ehrlich, den Begriff finde ich beleidigend. Den erstens mache ich in dem Programm eben Wirtschaftskabarett und zweitens ist der Begriff immer abwertend gemeint. Niemand würde je von Männerkabarett sprechen und wenn ja, würde es bestimmt nicht als Manko wahrgenommen.
Wenn Sie an Ihre vielen Jahresrückblicke denken, gibt es da ein Thema, dass Sie ständig begleitet?Das kann ich Ihnen nächstes Jahr beantworten, dann mache ich nämlich ein Best-Of meiner Jahresrückblicke. Was mich während „Schwamm drüber?“ aber ständig begleitet, sind die bösen Quickies, kleine gemeine Bemerkungen zu Themen, die über das Jahr passiert sind, und die ich ins Programm einstreue. Außerdem gehören die Zitaträtsel in meinen Jahresrückblick. Zuhörer, die mir diese Zitaträtsel beantworten können, bekommen fair gehandelte Bioschokolade aus dem Eine-Welt-Laden.
Im Internet habe ich gesehen, dass Sie mit dem Jahresrückblick hauptsächlich im ersten Quartal des neuen Jahres auftreten. Mit welchen Aufgaben sind Sie über den Rest des Jahres beschäftigt?Mit dem Jahresrückblick stehe ich von Ende November bis Ende Februar auf der Bühne. Dann mache ich eine Pause und überarbeite mein jeweils aktuelles Soloprogramm.
Treten Sie als Kölnerin auch während der Karnevalszeit auf, oder feiern Sie da eher vor der Bühne?Ich fliehe zu diesem Zeitpunkt aus Köln – bin also sozusagen Brauchtumsflüchtling, meistens in Richtung Süden. Dann kann ich in Ruhe mein Soloprogramm „No Lobby is perfect“ überarbeiten.
Worauf darf sich denn Ihre Bremer Fangemeinde bei dem Auftritt am Sonnabend freuen?Auf ein schönes Programm, während dessen ich eine besondere Kleinigkeit erwähne, die ich jetzt noch nicht verrate. Aber da dies im Mai ist, schreiben sich viele zur Erinnerung an diese Kleinigkeit selbst eine Postkarte, damit sie daran denken, das im Alltag einzubauen. Klingt mysteriös – wer es genau wissen will, muss eben am Sonnabend ins Kito kommen (lacht).
Eine Postkarte?Ja, ich habe ja mal eine Marketingvorlesung besucht (lacht). So baue ich vor meinem Programm immer eine Ecke mit Postkarten und dem Hinweis auf mein Programm auf. Diese Postkarte können die Menschen im Publikum dann an jede Person schicken, die sie wollen. Am Ende des Programms nehme ich die Postkarten mit, klebe im Hotelzimmer Briefmarken drauf und schicke sie weg. Manchmal schicken die Menschen diese Postkarten eben auch an sich selber, und denken so an mich und an einen heiteren Abend.
Das Interview führte Iris Messerschmidt.Anny Hartmann,
ist 1970 in Köln geboren. Ihr erstes Soloprogramm „Zu intelligent für Sex?“ (2007 bis 2010) kam 2009 als Buch heraus. Ebenfalls seit 2009 ist sie mit einem jeweils aktualisierten Jahresrückblick namens „Schwamm drüber?“ zu sehen. Sie wurde mehrfach mit renommierten Kleinkunstpreisen ausgezeichnet, führt bei anderen Kabarettistinnen und Kabarettisten durchaus auch mal Regie.
Weitere Informationen
Anny Hartmann tritt im Kito, Alte Hafenstraße 30, am Sonnabend, 18. Januar, ab 20 Uhr auf. Die Tickets kosten im Vorverkauf 22 beziehungsweise 17 Euro und an der Abendkasse 24, ermäßigt 19 Euro. Infos: www.kulturbuerobremennord.de.