
Wie weiblich war die 68er-Revolte? Dieser Frage spürte die Studentin Clara Schmieder (28) für ihren Dokumentarfilm „Die unsichtbaren Akteurinnen“ nach, den sie 2018 als Hochschulprojekt an der Technischen Universität (TU) Berlin drehte und kürzlich im Cinema Ostertor vorstellte. Die Bremerin Susanne Schunter-Kleemann (66), die darin als Zeitzeugin zu Wort kommt, berichtete dem Publikum im Kinosaal sowohl auf als auch vor der Leinwand darüber, wie sie die Anfänge der Bewegung erlebte.
Von den Männern des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Redepult beiseite geschoben und zum Kaffeekochen degradiert – das sei eine weit verbreitete, aber falsche Betrachtungsweise des weiblichen Teils der Studentenbewegung, sagte Susanne Schunter-Kleemann im Cinema Ostertor. Die Frauen, die sich wie sie selbst auch, im SDS und im Studentenparlament, dem Konvent der Freien Universität (FU) Berlin, politisch engagierten, seien mehr als nur schmückendes Beiwerk der Männer gewesen. „Wir waren selbstbestimmte Akteurinnen, die gestaltet und mitbestimmt haben“, betonte die gebürtige Berlinerin, die bis 2005 an der Hochschule Bremen unterrichtete.
Rangeleien mit der Polizei, das Ausharren im harten Strahl des Wasserwerfers, ein ausgeschlagener Zahn und Repressionen seitens der Universitätsleitung – im Film schildern Sigrid Fronius, Christina Thürmer-Rohr, Irene Below, Elsa Rassbach, Christine Labonté-Roset und Gisela Richter ihre Sicht auf die Geschehnisse der 60er-Jahre, die sie mit geprägt haben. Clara Schmieder, die die Gespräche mit den Frauen führte, hat die Dokumentation im Rahmen einer Seminararbeit an der TU Berlin gedreht. Von der Kamera bis zum Schnitt habe sie das Projekt in Eigenregie bewerkstelligt, ließ die 28-Jährige bei der Kinovorstellung wissen. Ausgangspunkt sei die Auseinandersetzung mit dem Thema „50 Jahre 68“ gewesen.
Im Zentrum der filmischen Betrachtung stehen die Anfänge der Studentenbewegung, und was die interviewten Frauen der ersten Stunde erzählen, klingt über weite Strecken ähnlich. Sie alle beschreiben sich als gleichberechtigt und anerkannt, lassen an einigen Stellen aber auch die eigene Schüchternheit nicht unerwähnt, die viele davon abgehalten habe, bei großen Versammlungen vor die Menge zu treten und auch mal das Wort zu ergreifen.
Wie damals der Einstieg in die politisierte Studentenszene West-Berlins typischerweise ablief, zeigt der Bericht von Susanne Schunter-Kleemann. 1963 begann die Bremerin an der Freien Universität (FU) Berlin zu studieren und anfangs, so sagt sie im Film, sei sie sich dort ziemlich verloren vorgekommen. Auf der Suche nach Anschluss begegnete sie einem Studenten, der sie zum SDS mitnahm und dort entfaltete der immer gleiche Ablauf der Zusammenkünfte offenbar eine gewisse Sogwirkung: „Erst wurde zugehört, dann gab es verschiedene Angebote einzelne Inhalte zu vertiefen und es bildeten sich Arbeitsgruppen.“
Ganz gleich ob Mann oder Frau – mit dabei sein, ohne sich aktiv zu beteiligen, war keine Option und so wurde aus der Studentin bald eine studierende SDS-Aktivistin – ein Schritt, der ihr weiteres Leben maßgeblich beeinflusste. „Da habe ich die Welt verstanden“, erklärt Schunter-Kleemann vor der Kamera, welche Bedeutung der Sozialistische Studentenbund für sie gehabt habe.
Dass sie und die anderen SDS-Frauen – von denen es eine ganze Menge gegeben habe – eine „unterdrückte Opfergruppe“ gewesen seien, wie es aus heutiger Sicht oftmals dargestellt werde, decke sich nicht mit ihrer eigenen Wahrnehmung. Das zeige unter anderem das Beispiel Sigrid Damm-Rüger. Die habe sich nicht nur mit ihrem berühmt gewordenen „Tomatenwurf“ auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS im September 1968 gegen die Männerriege zu wehren gewusst, sondern auch bereits zwei Jahre zuvor eine tragende Rolle bei den eskalierenden Hochschulkonflikten gespielt.
In ihrer Funktion als studentische Sprecherin habe Sigrid Damm-Rüger das klare Ziel verfolgt, Gegenöffentlichkeit zur Position der Universität herzustellen. Sie habe als erste gegen die ansonsten üblichen Geheimhaltungsregeln verstoßen, indem sie aus den Verhandlungen mit dem Akademischen Senat berichtet habe. Die Professorenschaft erzürnt hätten auch ihre selbst verfassten Rezensionen der Lehrveranstaltungen, die sie im „Uni-Spiegel“ der FU veröffentlichte, bis das Format schließlich verboten worden sei. Sigrid Damm-Rüger starb 1995.
Den Bericht ihrer persönlichen Erinnerungen ergänzte Susanne Schunter-Kleemann mit einer Reihe von historischen Fotos. Und darauf immer wieder zu sehen: Frauen am Rednerpult, Frauen mit Mikrofon, Frauen bei Teach-ins und Flugblatt-Aktionen. „Es gab sehr viele Frauen und viele davon waren eindrucksvoll“, schloss die 66-Jährige ihren Vortrag. Mit der jungen Filmemacherin Clara Schmieder verbinde sie daher eines: „Das Interesse an den aufsässigen Frauen des roten Jahrzehnts.“
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