
Ihr war klar, hier hat ein Mensch gerade die Schwelle zur Obdachlosigkeit überschritten.
Damit war das Thema in ihrem Kopf. Und es blieb. Mit jedem Obdachlosen, auf den ihr Blick in der Folge fiel, verfestigte sich das Thema. Und man sieht ja einige. Ob sie auf den Lüftungsgittern von Fastfood-Restaurants sitzen, ob sie sich in Hauseingänge kauern oder am Bahnhof an ihren Fuselflaschen nuckeln – wenn man sie einmal wahrgenommen hat, sieht man sie überall.
Und wenn einmal das Mitgefühl für obdachlose Menschen erwacht ist, denkt man an ihre Schicksale. Conny Wischhusen wollte dazu Stellung nehmen. Wie, das war klar: Für eine Galeristin drängte sich die Form der Ausstellung auf. Also schrieb sie das Thema in ihrer Facebook-Künstlergruppe aus und bekam eine Menge Angebote. Sie wählte einige aus und strukturierte eine Gruppenausstellung. Gezeigt werden bis Freitag, 28. April, 13 Arbeiten von insgesamt elf Künstlerinnen und Künstlern.
Falten erzählen Geschichten
Jedes der Werke ist etwas Besonderes. Einige sind sehr geradlinig. Da ist zum Beispiel das Foto eines Gesichtes, das mehr Falten hat, als die Alpen Täler haben. Falten gelten ja als gesprächig. Hier sind es so viele Falten, dass sie durcheinanderreden. Ja, reden! Als Nichtbetroffener würde man annehmen, die Falten müssten schreien – aber sie schreien nicht. Sie reden leise vor sich hin, und jede einzelne Falte scheint die alleinige Wahrheit zu bergen. Hinter den Falten verbirgt sich ein Gesicht, das man zu kennen glaubt. Berührend ist, man braucht ein Foto, um genau hinzuschauen.
In der Wirklichkeit wagt man diesen sezierenden Blick nicht. An der gleichen Wand hängen zwei Bilder von einer besonderen Kraft: Evita Emersleben hat die beiden Porträts aus Isolierband geklebt. Die Streifen des Klebebandes sind zu groben Linien geworden, die gleichsam holzschnittartig jeweils ein Gesicht zeigen. Ein Gesicht, das einerseits skizziert ist, das andererseits auseinanderzufallen droht, wie das Leben, das zu diesem Gesicht gehört. Evita Emersleben sind da zwei außerordentlich ausdrucksstarke Bilder gelungen, einerseits einfach in den Mitteln, andererseits über sich hinausweisend, das Wesen der Obdachlosigkeit erreichend. Schon dieser Porträts wegen wäre die Ausstellung empfehlenswert. Doch auch die anderen Bilder haben etwas zu sagen. Da ist ein Gesicht, das zu verblassen droht. Das Gesicht ist hinter ein Fenster kopiert. Man weiß nicht, spiegelt sich das Gesicht in der Scheibe und ist deshalb so blass – oder ist es hinter der Scheibe und beginnt den Raum zu verlassen, den das Fenster markiert. In das Bild sind die vier Ecken eines Rahmens gezeichnet. Der Rahmen will auf das Gesicht fokussieren, doch das Gesicht beginnt zu verblassen.
Kluge Auswahl
Ein kompliziertes Bild, das dennoch den Blick fesselt. Ein weiteres Bild zeigt ein Gemälde auf einer Hauswand. Die gewaltigen Krallen eines Greifes zielen auf ein Fenster. Wollen sie das Fenster angreifen? Mit dem Fenster eine Wohnung gleichsam auflösen? Egal. Jedenfalls bedroht da etwas eine Wohnung. Der Ort, der gemeinhin Schutz und Wärme gibt, ist in Gefahr. Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus einem Stück Wirklichkeit, nämlich eines Fassadenbildes. Durch den Ausschnitt erreicht es eine Wirklichkeit hinter der offensichtlichen Wirklichkeit.
Das ist gut gesehen und geradlinig umgesetzt. Jedes einzelne Bild dieser klugen Auswahl besitzt eine ganz eigene Kraft. Hinter jedem Bild steht eine Geschichte, die die Betrachter ins Thema hineinzieht. Ob es um Kanalmenschen im Osten Europas geht, die unterirdisch leben, um den lebensfeindlichen Wintertemperaturen zu entgehen, oder ob es sich um einen ehemaligen Arzt handelt, der auf einer Kirchentreppe einen Moment der Ruhe sucht. Die intime Atmosphäre der winzigen Galerie erlaubt es, die einzelnen Bilder in Ruhe anzusehen und ihre Wirkung in sich aufzunehmen. Die Ausstellung ist einen Besuch mehr als wert.
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