
Östliche Vorstadt/Schwachhausen. Alte Gegenstände neu nutzen, sie entweder verändern oder einem neuartigen Verwendungszweck zuführen, anstatt sie zu vernichten – das entspricht dem Nachhaltigkeitsgedanken, der Ressourcen sparen soll und daher gerade auch unter dem Eindruck des Klimawandels topaktuell ist. Oft stehen zu Sperrmüllterminen Möbelstücke am Straßenrand, die optisch nicht mehr gefallen, aber noch intakt sind. Dabei könnte man sie relativ einfach dem modernen Geschmack anpassen. Mehrere spezialisierte Geschäfte arbeiten alte Möbel um, bessern sie aus oder verleihen ihnen durch Anstrich und neue Griffe einen aktuellen Look.
Die Anrichte aus Nussbaum bekommt einen Frühlingsgefühle ansprechenden hellen Fliederton – das sieht man Anh Nguyen sofort an, denn diese Farbe haftet an ihren Fingern, und beim Wegstreichen einer Haarsträhne hat die Stirn auch etwas davon abbekommen. In ihrem Laden an der Straße Vor dem Steintor möchte sie am frühen Vormittag noch schnell dieses mehr als hundert Jahre Möbelstück anstreichen, bevor die Kunden kommen. Zusammen mit ihrem Bruder hat Nguyen sich Methoden zum kreativen Umarbeiten alter Möbelstücke selbst angeeignet. Eigentlich ist sie gelernte Hotelfachfrau und ist über das Arbeiten in der Küche eines gastronomischen Betriebs auf ihre kreative Ader gestoßen. „Man sieht eben das Ergebnis der eigenen Arbeit, und das macht mich zufrieden“, sagt Nguyen. Das Interesse an alten Möbeln mit deren besonderer, individueller Geschichte gesellte sich zur Freude an der Umsetzung eigener Ideen, und im Jahr 2015 mietete sie zusammen mit Meggie Myrcik, mit der sie gleiche Interessen verband, einen Laden im Steintor, den die beiden Frauen Vintage Sisters tauften. Im hinteren Ladenbereich hatten sie sich eine Werkstatt eingerichtet. Upcycling – das Verändern gebrauchter Gegenstände von Kleidung über industrielle Gegenstände bis Möbeln – war schon da eine nicht mehr neue Idee, aber durch den drängenden Wunsch nach Vermeidung von neuem Ressourcenverbrauch wurde die Idee immer populärer. Nguyen und Myrcik schlossen sich dem Nachhaltigkeitsgedanken an. Zunächst verwendeten die Frauen reine Kreidefarben, was der Möbeloberfläche einen stumpfen Look verleiht.
Nachdem sich die Gelegenheit einen größeren Laden schräg gegenüber anzumieten ergab, wurde der Laden Vintage Sisters einige Zeit lang an Jakob Poliwoda, der sich auf Möbel und andere Gebrauchsgegenstände der sogenannten Mid-Century-Zeit, also der 1950er- bis 1970er-Jahre, spezialisiert hatte, untervermietet und der größere Laden genutzt, der nun den Namen Sis’terieur bekam – eine Verschmelzung von „Sisters“ und „Interieur“. Inzwischen betreibt Nguyen den Laden nach dem Prinzip eines Shop-in-Shop-Systems mit zwei Herren, die bunte marokkanische Lampen und Kissen anbieten.
Myrcik übernahm im Herbst wieder ihren bisherigen und zeitweilig untervermieteten Laden und betreibt seitdem in der Art eines Concept-Stores einen Gemeinschaftsladen mit Jakob Poliwoda und Christine Hoff. Seither bestehen die angebotenen Waren unter der Oberbezeichnung Werkraum aus einer Mischung von alten Gegenständen der sogenannten Mid-Century-Zeit, die Poliwoda beisteuert – Lampen, Kleinmöbel, Vasen, Spiegel der Fifties bis Seventies –, kleinteiligen Dingen wie Postkarten, Mützen, Schmuck, Taschen und ähnliche, die Hoff teils selbst fertigt, teils von hauptsächlich kleinen Bremer Labels einkauft, sowie den upgecycelten Vintage-Möbeln, die von Myrcik bearbeitet worden sind. Wegen der drei Beteiligten hat der Laden noch drei Untertitel: Knobs ’n’ Knockers (Poliwoda), Ti-Lu kleines feines (Hoff) und Kreativgood (Myrcik).
„Ich arbeite inzwischen nicht mehr wie vorher mit reinen Kreidefarben, sondern mit speziellen Farben, die aus einem Gemisch aus mineralischem Acryl und gipsfreien Kreidefarben bestehen“, betont Myrcik umweltschonende Aspekte. Die gewählten Farben sind – wie auch bei Nguyen, die ebenfalls auf die neuen Farbmischungen umgestiegen ist – entweder pastellfarben, grau oder ganz bunt. Oft werden noch Embleme mit einer speziellen Technik aufgerieben wie zum Beispiel Blumenranken oder Maritimes. Manche Teile bekommen noch ein Finish mit einem besonderen Gel, das geschnitzte Möbelteile golden oder silbern glänzen lässt. Auf jeden Fall haben die Möbel nach der Aufbereitung einen komplett anderen Look als vorher. Der alte Braunton ist einem frischen Türkis, einem zarten Rosaton oder einem kühlen Anthrazitgrau gewichen – nun passen die Möbel zu einer modernen Einrichtung und stellen einen Blickfang dar. Diese Möbel sind nicht von der Stange, so etwas hat nicht jeder. Myrcik bietet in ihrem Laden Kurse an. „Außerdem wollen wir unseren Laden noch für andere Projekte nutzen“, erklärt Myrcik. „Außerdem unterstützen wir karitative Projekte, deren Einnahmen dem Kinderdorf Worpswede zugutekommen“.
Einen ganz anderen Aspekt bei alten Möbeln verfolgen Tilman Schwake, Frederik Niemann und Sandra Hörner mit ihrem Laden Wedderbruuk Am Schwarzen Meer Ecke St.-Jürgen-Straße, denn sie möchten die gebrauchten Möbelstücke aus der Zeit des sogenannten Mid Century im fast ursprünglichen Zustand erhalten. „Uns drei hat das Interesse an der Wiederverwertung von alten Dingen vereint“, erläutert Hörner, die zusammen mit ihrem Lebenspartner Niemann den Verkauf im Laden organisiert, während Schwake mehr für die Zulieferung zuständig ist. „Ich finde es immer schade, wenn alte Gegenstände, die noch brauchbar sind, weggeworfen werden“. Vornehmlich handelt es sich um Schränke, Anrichten, Tische und Stühle sowie Kleinmöbel aus bräunlichem Teak- oder Nussbaumholz, die von Hörner oder Niemann abgeschliffen und dann mit Öl oder Hartwachs ökologisch nachbehandelt werden. Gearbeitet wird im Laden oder in einem hinteren Bereich. Accessoires aus der Zeit wie Vasen, Geschirrteile oder Lampen ergänzen das Angebot, und auch Vintage-Kleidung wird verkauft. Liebhaber des Einrichtungsstils finden sich in jeder Altersgruppe. „Wir haben sogar schon Möbelteile in eine Seniorenresidenz geliefert“, sagt Hörner, „aber es kaufen auch viele junge Leute!“ Von 2013 bis Sommer 2018 führten sie ihren Laden zunächst als Zwischenmieter im Zentrum im Lloyd-Hof. Während die drei am Anfang noch nicht davon leben konnten, trägt der Verkauf inzwischen die Lebenshaltungskosten. Die Möbel stammen hauptsächlich aus Haushaltsauflösungen oder von Sammlern, die sich von Einzelteilen trennen wollen.
Die Manufaktur am Emmaplatz in Schwachhausen hat beide Aspekte im Auge: den Erhalt alter Möbelstücke im ursprünglichen Zustand wie auch die Veränderung durch Anstrich und dekorative Ergänzungen. Auf der recht großen Ladenfläche von 160 Quadratmetern sind Kleinmöbel, Schränke, Stühle, Bänke und Tische ausgestellt, die aus verschiedenen Zeiten stammen, angefangen bei der Gründerzeit bis in die 1970er-Jahre. Im Original erhaltene Nussbaum- oder Mahagoni-Möbel stehen neben farbenfrohen, upgecycelten Schränken und Stühlen, an den Wänden hängen goldfarbene verschnörkelte Bilderrahmen oder Garderobenhaken, von der Decke baumeln alte Lampen.
Als „Möbelretter im Einsatz“ bezeichnen sich die Ladenbetreiberinnen Barbara Mildner und Bettina Luers. Auch ihnen liegt am Erhalt funktionsfähiger alter Möbelstücke. „Kunden und Kundinnen fragen auch manchmal an, ob wir für diese ererbte Möbelstücke upcyceln würden“. Direkt im Laden werden dann die Teile bearbeitet. Ausbesserungsarbeiten zum Beispiel bei abgeplatzten Furnierteilen gehen dem Anstrich voraus, dann wird angeschmirgelt und mit Kreidefarben zwei- bis dreimal angestrichen. Auch Mildner und Luers bieten Workshops an und veranstalten zum Beispiel auch Kindergeburtstage oder Firmenfeiern in ihrem Laden. Die Teilnehmer können dann basteln, kleben, streichen und nehmen etwas mit nach Hause.
Der Shabby-Chic-Style, bei dem alte Möbel bewusst nachlässig angestrichen oder Kanten und Ecken extra angeschliffen wurden, damit die aufgearbeiteten Möbel doch noch wieder ein bisschen „schäbig“, also abgenutzt aussehen sollten, ist übrigens passé.
Alle diese Möbel-Upcycler legen Wert auf größte Sorgfalt und penibles Arbeiten. Nach „schäbig“ sieht hier kein Möbelstück mehr aus.
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