
Simseks mobiler Blumenstand befand sich auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände und damit auf „historisch vermintem Gelände“, so die Nürnberger Sozialwissenschaftlerin Birgit Mair – bei den Ermittlungen jedoch spielte dieser Umstand keinerlei Rolle.
Enver Simsek starb am 13. September 2000. Auch bei acht weiteren Attentaten, die in den nachfolgenden Jahren nach einem ähnlichen Muster verübt wurden, ermittelte die Polizei in Richtung organisierte Kriminalität und Drogenmilieu. Die Presse setzte 2005 den diskriminierenden Begriff „Döner-Morde“ in die Welt, der 2011 zum Unwort des Jahres gewählt wurde.
Einen rechtsradikalen Hintergrund schloss die Polizei lange Zeit kategorisch aus. Was man erst viel später herausfand: Die Mörder, die dem rechtsextremen Milieu entstammten, reisten mit einem Wohnmobil durch Deutschland, um an unterschiedlichen Orten Menschen mit schwarzen Haaren und braunen Augen zu erschießen. Ihr letztes Opfer war am 25. April 2007 die 22 Jahre alte Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Was genau hat es mit dem Nationalsozialistischen Untergrund, kurz: NSU, auf sich, der sich 1998 aus einer Gruppierung namens Thüringer Heimatschutz entwickelt hatte? Wie konnten die einschlägig bekannten NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe über Jahre untertauchen, nachdem 1998 in Zschäpes Garage 1,4 Kilo TNT, eine Liste mit den Adressen von Neonazis und ein Hassgedicht gegen Türken gefunden worden waren? Woher bekam das Trio falsche Papiere? Und wie konnte der NSU in den Jahren 2000 bis 2007 zehn unschuldige Menschen ermorden, ohne dass die Ermittler von einem rechtsradikalen Hintergrund ausgingen?
All dies ist Thema der Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“, die im Foyer des Schulzentrums Walle an der Langen Reihe zu sehen ist. Zu verdanken ist dies Politiklehrerin Eva Görtz, die die Ausstellung geholt hat und deren Politikkurs trotz der laufenden Abiturvorbereitungen eine Schülercoach-Ausbildung absolviert hat und Führungen durch die Schau anbietet. „Die Ausstellung ist jetzt zum ersten Mal in Bremen, an einer Schule, an dieser Schule“, sagte bei der Eröffnung Schulleiter Matthias Möller erfreut. Und er betonte, weshalb die Ausstellung seiner Ansicht nach so gut hierher passt: „Die Schule ist die Mitte der Gesellschaft. Aus der Mitte der Gesellschaft kamen auch die zehn Ermordeten und mindestens 20 Verletzten.“
Wer genau diese Menschen waren und wie ihre Familien und Angehörigen bis heute mit den Verbrechen umgehen: Insbesondere dies zeigt die von Birgit Mair konzipierte Ausstellung. Nachdem die neonazistische Terrorgruppe durch einen Zufall am 4. November 2011 aufgeflogen war, fuhr Birgit Mair in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 50 Mal von Nürnberg nach München, um den bayrischen NSU-Untersuchungsausschuss zu beobachten. Dort zeigte sich, dass es an allen Tatorten Hinweise in Richtung Neonazi-Szene gegeben hatte, die jedoch nicht weiter verfolgt wurden. „Auf Biegen und Brechen wollte man den Opfern nachweisen, dass sie selbst in kriminelle Machenschaften verwickelt waren“, so Mair: „Rassismus und Vorurteile prägten die polizeilichen Ermittlungen.“ Die Tochter eines Ermordeten sagte später: „Elf Jahre lang durften wir nicht einmal Opfer reinen Gewissens sein.“
Die Ausstellung beschäftigt sich auch mit den Bombenanschlägen in Köln sowie den NSU-Banküberfällen. Der zweite Teil beleuchtet die Neonaziszene der 1990er-Jahre und das Netzwerk, das den NSU unterstützt hat.
Unklar bleibt, ob die rund 40 V-Leute um den NSU herum wirklich nichts wussten oder bewusst schwiegen: Beim Verfassungsschutz wurden entsprechende Akten geschreddert, nachdem die Gruppe Anfang November 2011 aufflog. Ein aufmerksamer Rentner in Eisenach hatte zwei auffällige Männer mit Fahrrädern an einem Wohnmobil beobachtet und sich das Kennzeichen notiert. Nach einem Schusswechsel fanden Polizisten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot im Wohnmobil; Beate Zschäpe, die drei Stunden später das gemeinsame Wohnhaus in Zwickau in Brand setzte, steht derzeit in München vor Gericht.
„Rassismus gibt es überall – in allen Berufen und auch unter Schülern“, schilderte Birgit Mair bei der Ausstellungseröffnung den Waller Jugendlichen. Sogar in der gut gesicherten Polizeifachhochschule Aschersleben tauchten rechtsextreme Symbole auf, als ihre Ausstellung dort gezeigt wurde. Und auch auf ihrem Spaziergang durch Walle habe sie vor der Ausstellungseröffnung mehrere Aufkleber mit rechtsradikalen Inhalten entfernt, so Mair.
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