
Dieter von Glahn hat das Foto aufgehoben: acht Jungen und drei Mädchen auf dem Rasen vor der Tobias-Schule – seine erste eigene Klasse. 1988 steht auf der Rückseite des Fotos. Da war von Glahn gerade seit zwei Jahren Lehrer an der Schule. Die Namen der Jungen und Mädchen vom Foto kennt er alle noch. Er zeigt auf einen Jungen mit dunklen, gewellten Haaren. „Matthias arbeitet heute beim Magazin vom Martinsclub und besucht uns immer noch hin und wieder“, erzählt er. Schräg hinter Matthias steht ein Junge mit kurzen, blonden Haaren. „Das ist Kai“, sagt von Glahn. Wieder ohne überlegen zu müssen. „Der war hier unterfordert, deshalb habe ich ihn nach der neunten Klasse weggeschickt.“ Sein Plan ging auf. „Kai hat später sogar studiert.“
34 Jahre lang war von Glahn nicht nur Lehrer, sondern auch Geschäftsführer der Waldorf-Förderschule an der Rockwinkeler Landstraße. Vor drei Jahren hat er seine Klasse abgegeben und vor ein paar Tagen die Geschäftsführung – an seinen Nachfolger Eckard Ströhle. Der 52-Jährige ist froh, dass sein langjähriger Vorgänger noch nicht komplett von der Bildfläche verschwunden ist, sondern bei Beratungsbedarf noch eine Weile im Hintergrund zur Verfügung steht, erzählt er.
Eigentlich ist von Glahn schon seit drei Jahren im Ruhestand. „Aber von jetzt auf gleich komplett runterzufahren, das war für mich nicht vorstellbar“, sagt der 68-Jährige. Deshalb mache er mit der fünften Klasse noch bis zum Schuljahresende Schwimmunterricht. Und dann sei Schluss. Endgültig. „Bis auf die Schulfeste“, betont er. Die werde er weiterhin besuchen, wie so viele Ehemalige – „sobald Feste wieder erlaubt sind“.
Dass von Glahn eines Tages an einer Waldorfschule unterrichten würde, war für ihn damals keine Selbstverständlichkeit. „Ich selbst war kein Waldorfschüler“, erzählt der Kaufmannssohn. Nach dem Abitur in Stade studierte er in Hamburg Biologie und Sport auf Lehramt. Als er fertig war, fand er zunächst keine Stelle. „Das war die Zeit der Lehrerschwemme nach dem Pillenknick“, erklärt er. Nach drei Jahren Deutschunterricht für türkische Jugendliche verschlug es ihn an ein heilpädagogisches Waldorfinternat nach Lübeck. Die für ihn neue Form der Pädagogik gefiel ihm gut, er ließ sich in Stuttgart zum Waldorflehrer ausbilden und bewarb sich schließlich erfolgreich auf eine Stelle an der Tobias-Schule, die einige Jahre zuvor in der Parkallee gegründet worden war.
Der Umzug der Schule in die Villa nach Oberneuland ist von Glahn noch in lebhafter Erinnerung. „Das war natürlich toll, den Aufbau und das Konzept mitgestalten zu können“, erzählt er. Die völlig zugewachsene Villa sei mithilfe der Eltern und zahlreicher Spenden saniert worden. „Vieles haben wir auch durch Gehaltsverzicht gestemmt“, sagt er.
Die schwierigste Zeit für das Kollegium der Tobias-Schule begann vor rund zehn Jahren. Dieter von Glahn schlägt seinen Presse-Ordner auf. Den passenden Zeitungsartikel hat er schnell gefunden. Das Foto zeigt die damalige Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper in Großaufnahme. Darüber die Zeile „2017 sollen Förderzentren abgeschafft sein“. Die Nachricht habe ihnen damals massive Sorgen bereitet. „Wir haben uns gefragt, was aus uns wird, und ob wir unsere Schule nun einmotten müssen“, erzählt er. Die Eltern seien extrem verunsichert und die Anmeldezahlen entsprechend rückläufig gewesen. Mittlerweile habe sich die Situation entspannt. Es habe viele Gespräche gegeben und inzwischen sei die öffentliche Akzeptanz hoffentlich da, dass die Tobias-Schule Teil der Bremer Schullandschaft bleiben müsse – ebenso wie die verbliebenen staatlichen Förderschulen.
Besondere Momente fallen von Glahn viele ein, wenn er die vergangenen 34 Jahre an der Tobias-Schule Revue passieren lässt. Er erzählt von bemerkenswerter Unterstützung der Eltern, von Förderern, Bürgern und Beirat, den Ausstellungen in der schuleigenen Orangerie und dem japanischen Filmteam, das vor zwei Jahren für kostenlose Reparaturarbeiten nach Oberneuland angereist kam, und natürlich vom Herzblut, das die Kollegen in ihre Arbeit investieren. Den größten Eindruck hinterlasse aber ohne Frage die Arbeit mit den Schülern – insbesondere die Theaterstücke und die Klassenfahrten, betont er und zieht ein weiteres Gruppenfoto aus seinem Ordner, das ihn und seine Schüler vor der Londoner Tower Bridge zeigt. „Meine Arbeit als Klassenlehrer hat mir deutlich mehr bedeutet als die des Geschäftsführers“, sagt er.
Dass in seinem letzten Schuljahr vieles im coronabedingten Ausnahmemodus läuft, bedauert von Glahn besonders im Hinblick auf die obligatorischen Feste und Basare der Tobias-Schule. Dort ist er seit jeher der Mann am Stand mit den gebrannten Mandeln. Vor vielen Jahren sei der Sohn einer Schaustellerfamilie Schüler bei ihm gewesen, erzählt er. Dessen Eltern stellten aus Verbundenheit mit der Schule bis heute Mandeln, Zucker und die speziellen Utensilien zur Verfügung, wenn ein Schulfest anstehe. Nicht nur mit Mandeln kennt sich von Glahn inzwischen bestens aus, sondern auch mit Sahne-Eis. Das gehört ebenfalls zum Sortiment besagter Schaustellerfamilie. „Vor 15 Jahren habe ich ein Praktikum am Freimarktstand der Familie gemacht, um mal für einen Tag in einen ganz anderen Bereich hinein zu schnuppern“, erzählt er. „Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich seither an den Freimarkt-Wochenenden beim Eisverkauf helfe.“
Für seine übrigen Hobbys bleibt von Glahn inzwischen auch wieder mehr Zeit. Allerdings überwiegend in der Theorie. „Ich singe in einem Chor und spiele leidenschaftlich gern Theater“, erzählt er. Beides falle coronabedingt zurzeit flach. Wie von Glahns endgültiger Abschied von der Tobias-Schule aussieht, weiß er vor diesem Hintergrund auch noch nicht. „Eigentlich wollte ich mich auf unserem Sommerfest von allen verabschieden – ob das stattfinden kann, müssen wir nun erst einmal abwarten.“
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