
"Es herrscht gerade Terminkarambolage", sagt Jessica Schuch, "die Zahnfee zieht uns Kinder ab!“ Gemeinsam mit ihren beiden Kollegen, Nadine Portillo und Tobias Sailer von der Impro-Theatergruppe „Bik City“, wartet Schuch in der kleinen Turnhalle im oberen Stockwerk des Kinder- und Familienzentrums im Viertel. Sie sitzen auf Turnhockern, zwei lange Turnbänke haben sie dachförmig vor sich gestellt. Die nun verbleibenden Minuten nutzen die drei für ein paar letzte Besprechungen.“Was fragen wir die Kinder?“, will Portillo wissen, „'Womit spielt ihr gerne?', 'Was ist euch wichtig?' verstehen sie bestimmt auch schon“, meint Schuch. Das Team rechnet mit über 20 vier- bis fünfjährigen Vorschulkindern, die zur Impro-Aufführung kommen werden.
Ein kleines Mädchen in einem grau-rosa gepunkteten Kleid drückt seine Nase an die Glastür der Turnhalle. Die Leiterin der Kita, Birgit Heise, schiebt sich an ihm vorbei. „Wir haben ein ganz großes Problem!“, sagt sie, während zwei Erzieherinnen und ein Dutzend Kinder an ihr vorbei in die Halle strömen, darunter das kleine Mädchen. „Unten sind noch ganz viele Kinder, aber die haben alle Läuse und müssen abgeholt werden!.“ Ein junger Betreuer rennt dem Mädchen mit dem grau-rosa Kleid hinterher. „Sayra gehört nicht dazu“, erklärt er und versucht vergeblich, es wieder aus der Halle zu lotsen. „Das macht nichts. Sie kann gerne bleiben“, sagt Schuch. Alle Kinder setzen sich auf die Bänke, nur Sayra, die ganz offensichtlich jünger als alle anderen ist, inspiziert die von den Impro-Darstellern mitgebrachten Utensilien: einen großen Gefühlswürfel, ein dickes Seil, drei Bastkörbe.
„Lasst uns anfangen!“, ergreift Schuch das Wort. „Wisst ihr noch, wie ich heiße?“ „Jaaa!“, rufen die einen, „Nein!“ die anderen. Schuch stellt sich vor. Sie war bereits letzte Woche einmal alleine in der Kita, um sich und das Projekt vorzustellen: Improvisationstheater mit und für Kindergartenkinder. Es ist ein Pilotprojekt, das Schule machen soll. Bisher habe sie es erst einmal ausprobieren können. In der Kita Lüssumer Heide habe es ganz wunderbar funktioniert, auch wenn es eine große Herausforderung gewesen sei: „Es kann nicht nicht klappen. Beim Impro weiß man nie, was hinterher herauskommt. Man muss immer offen bleiben.“
Wenn Schuch Erwachsenen von dem Projekt erzählt, wirft sie mit Fachvokabeln nur so um sich: „Resonanz-Beziehung“, „unmittelbare Wirklichkeitserfahrung“, „Interaktion ohne Diskriminierungsschranke“, „vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung“. Schaut man ihr und ihren Kollegen bei der Umsetzung mit den Kindern zu, füllen sich die abstrakten Begriffe mit Leben.
Das beginnt mit der Vorstellungsrunde. „Ich bin Tobi, mein Lieblingstier ist das Eichhörnchen und ich esse gerne Nudeln mit Brokkoli“, stellt sich Sailer vor. Die Kinder lachen. „Ich bin Nadine und meine Lieblingsfarbe ist grün“, sagt Portillo. „Wir sind in der grünen Gruppe!“, ruft ein Kind begeistert. Schuch gibt einem Jungen den Gefühlswürfel und sagt: „Such dir mal ein Gefühl aus!“ Er wählt „Liebe“. „Könnt ihr euch noch einmal verliebt vorstellen?“, bittet sie ihre beiden Kollegen. Die Vorstellung läuft noch einmal in einer verliebten Stimmungslage ab. Die Kinder lachen erneut, als Tobi mit einem verzückten Augenaufschlag sagt: „Ich wünschte, Brokkoli würde einmal den Baum hochgehen!“ Der Phantasie sind beim Impro-Theater keine Grenzen gesetzt. Das haben die Kinder schnell heraus und steigen sofort ein.
Schuch legt das Seil auf den Boden und zieht damit eine Trennlinie zwischen den Turnbänken und Hockern. „Das ist jetzt die Bühne“, sagt sie und geht auf die Seite der Hocker. „Wo ist der Vorhang?“, fragt ein Kind. „Den müssen wir uns vorstellen!“, antwortet Sailer, läuft mit dem imaginären Vorhang in der Hand das Seil entlang und macht dabei ein rauschendes Geräusch. Die kleine Sayra zieht das Seil immer wieder weg, aber die imaginäre Linie ist nun gezogen und bleibt für die Kinder erhalten. „Wir hätten jetzt gerne eine Hausführung!“, verkündet Schuch. Das Impro-Team teilt die 14 Kinder in drei Gruppen ein und dann geht es los: auf eine Suche nach Dingen, um der Phantasie auf die Sprünge zu helfen! Drei Gegenstände, die ihnen wichtig sind, sollen pro Gruppe gefunden werden.
Treppauf-Treppab wuseln die Kinder in ihren jeweiligen Gruppen und mit den Körben in der Hand durch das ganze Kitagebäude. Die einen werden im grünen Gruppenraum fündig, die anderen im blauen, die dritten in der Küche. Nach einer Weile kommen alle wieder in der Turnhalle zusammen und breiten ihre Fundstücke zu ihren Füßen vor dem Seil aus: ein Buch, ein Legostein, ein Löffel, ein Pinsel, ein Turnschuh und ein echter Pfannkuchen sind darunter. „Jetzt fangen wir mit dem Impro-Theater an“, sagt Schuch, „dafür haben wir die Dinge gesammelt.“ Sailer springt auf: „Ich backe jetzt einen Pfannkuchen!“, sagt er und schüttet eine imaginäre Tüte Mehl in eine imaginäre Schale. „Ich will helfen“, sagt Portillo, „ich bringe die Eier!“ „Wie viele Eier brauchen wir?“, fragt Sailer die Kinder.
„Zehn!“, rufen sie. Gemeinsam zählen sie ab. „Was brauchen wir noch?“, fragt Sailer weiter. „Milch!“, antworten die Kinder. „Womit können wir rühren?“ „Mit einem Mixer!“ Schuch springt zwischen ihre Kollegen und stellt einen Mixer dar. Die beiden packen sie und rühren mit ihr um. Die Kinder lachen. „Stopp!“ ruft Sailer. Die beiden Kolleginnen verharren in ihren Bewegungen. „Wie fühlt sich der Mixer dabei?“, fragt er und reicht einem Kind den Würfel. Es wählt das Gefühl „wütend“. Der Mixer, also Schuch, dreht auf. Die Kinder kreischen vor Freude.
So geht Impro-Theater mit Kindergartenkindern. Das meint Schuch mit „Interaktion ohne Diskriminierungsschranke“. Die Kinder werden laufend ins Geschehen mit einbezogen. Mit jedem neuen Gegenstand wird eine neue Geschichte erzählt. Jedes Ding gibt den Startschuss für ein neues, manchmal haarsträubendes Lehrstück. In der vorletzten Geschichte kommt der Pinsel zum Einsatz. „Was malst du gerne?“, fragt Sailer einen Jungen. „Eine Ziege im Auto!“, antwortet der. Die Kinder lachen, aber Schuch hält ihre Hände wie Hörner an den Kopf und verkündet: „Ich bin die Ziege! Ich fahre ein Taxi.“ Portillo setzt sich daneben. „Ich will mitfahren!“, sagt sie und Schuch fragt: „Wohin soll die Ziege fahren?“ „Auf die Müllkippe!“, antwortet ein Kind schnell. Am Schluss kippt das Taxi Portillo auf die Müllkippe. Die Kinder sind begeistert.
In der letzten Geschichte baut das Impro-Team einen haushohen, imaginären Legoturm, von dem herab es auf die Kita schaut und all die Gegenstände erblickt, die gesammelt wurden. Alle verwendeten Dinge werden noch einmal aufgezählt, dann wird der Turm mit den Kindern von der imaginären Bühne gestürzt. Zu guter Letzt wird der Pfannkuchen verspeist, gerecht aufgeteilt in 13 Stücke – Sayra musste zu ihrem Bedauern zwischenzeitlich die Halle verlassen, um gewickelt zu werden.
In diesem Jahr plant die Impro-Gruppe, zu der noch Teammitglied Michael Büch gehört, ein bis zwei Auftritte in Kitas. Fürs 2020 können sich weitere Kitas bei Bik City melden. Berührungsängste braucht man keine zu haben, schließlich steht „Bik“ für „berührt – inspiriert – kitzelt“, witzelt Sailer. „Bik“ steht aber auch für „Bühne im Kino“ und dort, auf der Bühne des City 46 kann man das Ensemble antreffen. Jeden Freitag um 20 Uhr bieten sie im Kommunalkino eine Impro-Show. Dienstags und donnerstags gibt es außerdem Kurse für Impro-interessierte Erwachsene und Jugendliche. Schuch plant darüber hinaus ein Fortbildungsangebot für pädagogische Fachkräfte. Die können dann mit ihr „angewandte Improvisation, aktives Zuhören und Ja-Sagen üben“ und „über die Beobachtung von Künstlern viel für ihre pädagogische Arbeit lernen“.
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