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Huchting. Huchtings Lage an der B75, eine der verkehrsreichsten Bremer Ausfallstraßen, hat den Huchtinger Bürgern den Vorteil eingebracht, mit dem Auto in zehn Minuten in die Innenstadt zu kommen. Aus diesem Grund haben sich auch etliche Firmen hier angesiedelt. Doch es gibt auch zahlreiche Nachteile wie Luftverschmutzung und Lärm, die den Menschen Ärger und Verdruss bereiten. Dazu kommt die Teilung des Ortes und der zusammenhängenden Landschaft.
Das Dilemma begann vor genau 699 Jahren, als der Graf von Delmenhorst sich mit dem Bremer Bischof in Varrelgraben an den Verhandlungstisch setzte, um den Verlauf der damals schon lange existierenden stark frequentierten Flämischen Straße zu verändern. Diese führte bis dahin durch das Hohe Tor in Bremen am Hakenburger See vorbei über die heutige Senator-Apelt-Straße in Richtung Strom. Von hieraus führte der Verlauf nach Durchquerung der Ochtum über Hasbergen an die Peripherie der Stadt Delmenhorst weiter in Richtung Wildeshausen, Nordhorn, Enschede bis nach Vlamen (Flandern) mit den großen Handelsstädten Antwerpen und Brügge. Von dort importierten die Bremer und Hamburger Kaufleute ihre Tuche, Tabak, Gewürze und andere Handelsgüter.
Den herrschenden Grafen in Delmenhorst war es immer ein Dorn im Auge gewesen, dass der bedeutsame europäische Handelsweg nicht durch die Delmenhorster Innenstadt führte. So kam es zwischen Delmenhorst und Bremen zum Straßenvertrag von 1311. Die Handelsreisenden bogen fortan hinter dem Hakenburger See nach links in den Wardamm ab. Dort passierten sie den Warturm, fuhren in Huchting über die 'Alte Heerstraße' (die Straße Am Huchtinger Bahnhof gab es damals ebenso wenig wie die Bahnlinie nach Oldenburg) und die Huchtinger Heerstraße nach Varrelgraben mit seiner Zollstation bei der heutigen Gaststätte Biemann.
Bauern mussten Straße befestigen
Vertraglich war festgelegt worden, dass die Huchtinger Bauern die Straße vom Warturm bis nach Varrelgraben zu befestigen hatten. Die Instandsetzung des Weges von Delmenhorst bis Varrelgraben hatte Delmenhorst zu übernehmen. Das war kein leichtes Unterfangen, denn Überschwemmungen setzten die Handelsstraße jährlich mehrmals unter Wasser, sodass die Bauern unentwegt damit beschäftigt waren, ihrer Verpflichtung nachzukommen.
In der Zeit von 1523 bis 1535 ist der Wardamm mit den Steinen des abgerissenen Paulsklosters im Ostertorviertel gepflastert worden, damals eine großzügige Geste der Stadt Bremen an die Huchtinger Landgemeinde. Die Huchtinger Bauern zogen aus der verbesserten einzigen Straßenverbindung nach Bremen auch ihren Nutzen, indem sie so ihre landwirtschaftlichen Produkte zu den Märkten in Bremen schaffen konnten.
Die Gaststätten in Huchting - davon gab es hier nicht wenige - profitierten sicherlich auch von den durchreisenden Fuhrleuten. Wenn die Straße in Zeiten wochenlanger Überschwemmungen nicht passierbar war, entwickelte sich in Huchting ein reger profitabler Fährverkehr mit Booten, um so die unterbrochene Straßenverbindung zu überbrücken. In der Folge entstand zwischen den Kirchhuchtingern und Mittelshuchtingern ein heftiger Streit um die Verteilung der Aufträge.
Aber wie das so ist - da wo ein gut ausgebautes Straßennetz vorhanden ist, nutzt auch das Militär diese Verbindungen. In den zahlreichen europäischen Kriegen des Mittelalters und der Zeit danach war die Stadt Bremen ein begehrtes Angriffsziel vieler Truppenverbände.
Seit 1611 entwarf der Niederländer Johann van Valckenborgh seine Pläne für die Befestigung Bremens. Dazu gehörte auch die Einrichtung der vier Gohe, u. a. Nieder- und Obervieland mit Huchting links der Weser. In den nun folgenden Territorialkriegen war das ausgedehnte Landgebiet durch die Stadt Bremen nicht mehr zu schützen. Die häufigen Zerstörungen der Bauernhöfe in Huchting über viele Jahrhunderte hinweg belegen dies eindrucksvoll.
Schon im Dreißigjährigen Krieg hatte Huchting arg gelitten. Bald darauf besetzten die Schweden im Mai/Juni 1666 das Werder-, Block- und Hollerland, dann auch das Nieder- und Obervieland, also auch Huchting. Die Stadt Bremen wurde durch sage und schreibe 16000 von General Wrangel geführte schwedische Soldaten eingeschlossen. Diese lagerten also auch auf Huchtinger Gebiet. Da die Versorgungslage für die Schweden problematisch war, kam es zu Plünderungen und heftigen Scharmützeln. Es drohte ein europäischer Krieg. Die Einwohnerzahl Huchtings ist in dieser Zeit halbiert worden.
Nach fünf Monaten intensiver Belagerung forderten die Schweden von Bremen im 'Frieden von Habenhausen', dass Bremen auf seine Stellung als Reichsstadt verzichten solle. Den Bremern wurde die Hoheit über seine vier Gohe weiterhin zugestanden. Der von den Schweden hinzugewonnene Einfluss schwand in den Folgejahren sehr schnell, weil die Skandinavier sich in mehreren europäischen Kriegen aufrieben.
Im Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763 bemühten sich die Bremer um Neutralität, die sie jedoch in Ermangelung finanzieller Mitte nicht durchsetzen konnten. Immer wieder kam es zu Truppendurchmärschen, speziell französischer Soldaten. Sie besetzten die Stadt, mussten sie aber nach einem halben Jahr zugunsten der britisch-hannoverschen Armee wieder räumen. Trotz hoher Verschuldung hatte Bremen die auswärtigen Truppen zu versorgen und musste Plünderungen erdulden, u.a. auch in seiner Landgemeinde Huchting.
Den Bewohnern dieser Region ist es über viele Jahrhunderte hinweg nie wirklich gut gegangen. Die Ursache war nicht nur die lange Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen. Auch die Pest raffte viele Menschen dahin. Häufige Überschwemmungen der Marschgebiete sorgten für große Not, Viehseuchen brachten Hunger und Krankheiten mit sich, und Missernten machten die Menschen in Huchting noch ärmer als sie es ohnehin schon waren.
Erst das Industriezeitalter brachte, von den beiden Weltkriegen mal abgesehen, spürbare Verbesserungen.
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