
Jens Lohse: Ja, absolut. Es sind wegen Corona so viele Feiern und Aktivitäten weggefallen, dass ich ungewöhnlich viel Zeit hatte für das Wesentliche. Beerdigungen zum Beispiel, allein sechs Stück sind es in diesen Tagen. Ich spüre eine große Erleichterung, den Angehörigen sagen zu können, dass sie nicht bis zum neuen Jahr warten müssen. Dass ich auch jetzt die Zeit habe, mich mit vollem Herzen darum zu kümmern. Das ist doch die Essenz meines Berufes: Nichts ist so viel Einsatz und Mühe wert wie die Beerdigung eines Menschen, der Trost für die Trauernden und der Zuspruch für die Verzweifelten. Das merke ich in diesen Wochen sehr stark.
Die Seelsorge ist also noch wichtiger geworden?Seit dem Jahr 1996, als ich als gewählter Pastor hier in Habenhausen begonnen habe, habe ich noch nie so viele Seelsorge-Gespräche geführt wie zurzeit. Die ganze Ablenkung fällt durch Corona weg und die Menschen können ihre Probleme mit der Ehe, der Gesundheit und ihrem Leben nirgendwo anders mehr loswerden. Auch für psychisch Kranke fällt viel Entlastung weg, da wenden sich auch deutlich mehr Menschen an mich. Ich erlebe diese Gespräche als unglaublich sinnvoll.
Die Simon-Petrus-Kirche ist in diesem Jahr 25 Jahre alt geworden. Konnten Sie denn wegen der Corona-Pandemie überhaupt das Jubiläumsjahr feiern?Wir hatten uns einen ganzen Kranz von Veranstaltungen ausgedacht, die über das Jahr verteilt in der Kirche und dem Kindergarten – den es bereits seit 40 Jahren gibt – stattfinden sollten: Unter anderem ein riesiger Adventsmarkt und ein Festgottesdienst mit Hunderten von Leuten. All das ist bis auf wenige Hofkonzerte im Sommer sowie das Schaffermahl im Februar ausgefallen. Aber wir hatten mehrere Tage das Kindergartengelände von außen und die Kirche von innen von Profis in der Farbe Magenta anstrahlen lassen – als schönen Hingucker. Außerdem gab es zwei Festgottesdienste in sehr viel kleinerer Version.
Licht und Dekoration scheinen den Menschen in dieser Weihnachtszeit noch wichtiger zu sein als sonst üblich – teilen Sie diesen Eindruck?Ja, ich beobachte auch, dass das in diesem Jahr noch etwas zugenommen hat. Mir persönlich ist ein einzelnes Licht wie unser Friedenslicht aus Bethlehem in einer dunklen Kirche wichtiger als der tausendste Tüddelkram, den man überall findet. Über Krippen kann man sich streiten. Vielen gefällt das und ich habe auch nichts speziell dagegen. Aber eigentlich kommen Krippen von den Katholiken und sind nicht in unserer protestantischen DNA verwurzelt. Für mich sind Kirchen Orte der Klarheit. Die dürfen auch mal eine Zumutung sein und müssen an Weihnachten nicht den gleichen Anblick bieten wie die Deko- und Konsumwelt außerhalb der Kirchenmauern.
Denken Sie, dass die Weihnachtsbotschaft in diesem Corona-Jahr eine andere Bedeutung für die Menschen entfaltet?Bei vielen ist zurzeit das Bedürfnis nach Idylle und einer heilen Welt wesentlich größer als sonst. Das kann sich in noch mehr Geschenken und aufwendigerer Dekoration äußern. Meine Hoffnung ist aber, dass es auch Menschen gibt, die sich ohne die übliche Ablenkung auf das Wort Gottes konzentrieren können. Mir ergeht es jedenfalls so. Immerhin geht es für mich an Weihnachten nicht um den Weihnachtsmann, sondern um die Geburt unseres Heilands, der uns vom Tode erlöst.
Heißt das Bibelarbeit?Ja, dafür kann ich mir nun endlich mehr Zeit nehmen. Als Pastor ist man ehrlicherweise besonders in der Weihnachtszeit eher Eventmanager als Bibelforscher. Nun erlebe ich das Lesen der Bibel umso intensiver und ich kann beispielsweise dem religiösen Paradox nachgehen, warum von einem völlig hilflosen Kind in der Krippe gesagt wird, es sei der allmächtige Herrscher der Welt. Um diese Frage wird es auch in meiner Weihnachtspredigt gehen.
Wie begehen Sie in diesem Jahr in Ihrer Gemeinde Weihnachten?Im Internet bieten wir Aufzeichnungen von Krippenspielen und Chorgesängen an. Da haben sich viele Menschen große Mühe gemacht. Wir haben ohnehin unsere Onlinepräsenz stark erweitert. Trotzdem wird es fünf kurze Andachten ohne Gesang für angemeldete Gemeindemitglieder geben. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die Menschen uns die Bude einrennen. Wer dieses Jahr kommt, kommt nicht, um Zerstreuung zu finden, sondern weil es ihm wichtig ist. Vielleicht flammt dabei eine Ahnung davon auf, wie geistvoll Weihnachten ohne die übliche Ablenkung sein könnte.
Gibt es etwas, dass Sie allen Bremerinnen und Bremern wünschen – egal, ob gläubig oder nicht?Ich wünsche allen Menschen, dass wir die Erkenntnis mit in die kommenden Jahre nehmen können, dass es gut ist, weniger zu konsumieren und wir mit der ewigen Beschleunigung aufhören müssen. Entschleunigung sollte uns auch nach Corona wichtig bleiben. Und ich wünsche den Menschen, dass sie ihre Häupter aufheben zum Himmel, um zu sehen, ob dort nicht auch für sie ein Glanz zu sehen ist, der sie erleuchtet. Aber das wäre schon ein echtes Wunder.
Das Gespräch führte Karin Mörtel.
Jens Lohse (61)
ist bei der evangelischen Kirchengemeinde Arsten-Habenhausen seit 24 Jahren Pastor der
Simon-Petrus-Kirche in Habenhausen.