
Ein vorsichtiger Schritt, die Balance finden; und wieder: ein Schritt – dann muss der junge Mann auf dem Seil kurz innehalten. Das Band auf dem er steht, verdreht sich. Unten scheinen die Blicke der Schaulustigen den Abstand zum Wasser abzumessen.
In etwa zehn Metern Höhe gleicht Konrad Lochow eine Windböe aus, die zwischen den Häusern der Teerhofinsel herüberzieht. In der Ferne ist das Ufer des Werdersees zu erahnen, doch weder für den Ausblick noch für den Menschenauflauf an der Weser hat Konrad Lochow Augen. Er ist vollkommen darauf fokussiert, das Gleichgewicht zu halten; auf dem verschwindend dünn scheinenden Band, das sich zwischen zwei Bäumen von einem Ufer zum anderen spannt.
Wege über die Weser gibt es in Bremen so einige, aber der 28-jährige Student der Sozialen Arbeit bahnt sie sich lieber selber: Mit einer 66 Meter langen Slackline nahe der eigentlichen Brücke. Sein Gewicht trägt ein 25 Millimeter breites Kunststoffband, auf dem der mit einem Halteseil gesicherte Sportler in luftiger Höhe über das Gewässer balanciert.
Nachmachen sollten Anfänger diese Aktion nicht. „Es sieht deutlich einfacher aus als es ist“, gibt der erfahrene Kletterer später zu bedenken. Das Geheimnis dabei: „Man balanciert mit dem ganzen Körper.“ Wobei die Arme aber das wichtigste Element seien. An sonnigen Tagen schauen ihm dabei an die 50 Leute zu, schätzt Lochow.
Slackline ist bei Weitem nicht sein erster Sport. Fußball und Fitnessstudio sind nur einige der Vorläufer, aber zum Slacklinen kam er – zwei Jahre ist es etwa her – vor allem übers Klettern. „Das ist auch der typische Werdegang“, ordnet er sein Hobby ein.
Angefangen hat alles in wenigen Zentimetern Höhe. Auf einer gleich über dem Waldboden gespannten Line – an der er gnadenlos scheiterte. „Ich war echt schlecht und gerade das reizte mich.“ Die Herausforderung ist für ihn der ausschlaggebende Faktor, der ihn immer wieder auf die Line bringt. „Es macht aber auch viel Freude Leute zu begeistern“, sagt Lochow. Das habe er bei seinen Balanceakten über sich selbst gelernt.
An der Weser erlebte er ein sportliches Aha-Erlebnis zwischen Ernüchterung und Ansporn: Bei den ersten Versuchen sei er teils keinen Meter vorangekommen, sondern immer wieder abgestürzt. Er ist nicht alleine mit diesem Problem: Das fließende Wasser ständig im Blick, stört den menschlichen Gleichgewichtssinn. Daran musste er sich erst einmal gewöhnen. Dann sei das Training über Wasser eine tolle Übung, um in dem Sport voranzukommen.
Doch zunächst war einiges an Vorarbeit notwendig: Gespräche mit Ämtern, Polizei und mit besorgten Anwohnern mussten geführt werden. Nur dank ihrer aller Wohlwollen sei das überhaupt möglich. „Dafür möchten wir uns alle herzlich bedanken“, sagt Lochow, denn er trainiert nicht allein, sondern mit anderen, die seine Begeisterung teilen. „Bremen und seine Bürger zeigen sich hilfsbereit, das ist toll. Es gibt auch Städte, die da weit restriktiver sind.“
Lochow würde gerne weiter gehen: Ihm schwebt eine Highline vor – quer über den Domshof gespannt. Hierzu fänden bereits Gespräche statt, aber ob es sich verwirklichen lässt, ist noch nicht klar.
Wer die Slackline-Truppe erst einmal über der Kleinen Weser in Aktion erleben möchte, sollte bei sonnigem, warmen Wetter am Teerhof vorbeischauen. „Wir haben keine festen Zeiten, aber dann sind die Chancen, einen dort auf der Line zu sehen, schon ganz gut.“ Zugucken ist kein Problem, beim Mitmachen sieht es anders aus. Ein spontanes Erklimmen der Line ist aus Sicherheitsgründen nicht so einfach möglich. Denn es gibt vor Ort keine Ausrüstung zum Erklimmen der Start-Bäume. „Wer es dennoch rauf schafft oder selbst Equipment hat, da gehen wir dann davon aus, dass der- oder diejenige weiß was auf der Line zu tun ist“, verweist Lochow auf die Eigenverantwortung des Einzelnen.
Vom Kletterseil zur Slackline
Eine Slackline ist ein Kunststoffband, das zwischen zwei Punkten gespannt wird. Die Distanz variiert von wenigen Metern bis weit über einen Kilometer. Profis balancieren auf zweieinhalb Zentimeter, während Anfänger die doppelte Breite benötigen. Zu Beginn wird mit geringem Bodenabstand geübt, dann geht es höher hinaus. Manche Sportler absolvieren auch akrobatische Übungen. Erfunden wurde diese Art der sportlichen Übung von Kletterern in den USA, die ihre Seile an Schlechtwettertagen horizontal spannten, anstatt ins Gebirge zu gehen. Zirkus-Seillaufen oder -tanzen ist ein weiterer Vorläufer des Sports.