
Im Jahr 2002 sorgte die Pisa-Studie für Aufregung: Denn Bremens Kinder lasen oftmals gar nicht, wenig oder ungern. Eine schwache Lesekompetenz war die Folge. Zeit, etwas dagegen zu unternehmen – die Initiative Bremer Leselust gründete sich und setzte sich zum Ziel, Lesen bei Kindern populärer zu machen. Mit Erfolg.
Inzwischen hat die Bremer Leselust viele Unterstützer, es gibt prominente Lesebotschafter und sogar Stadtteilableger: Neben der Gröpelinger, der Waller und der Hemelinger Leselust gibt es seit einiger Zeit auch die Neustädter Leselust, der Standort ist die Grundschule an der Karl-Lerbs-Straße. Schon damals, im September zur Auftaktveranstaltung, freute sich Ulrike Hövelmann, Vorsitzende der Bremer Leselust: „Das ist doch klasse, dass es in den Stadtteilen so starke und lesefreudige neue Leuchttürme gibt. Wir werden sie nach Kräften dabei unterstützen, mit pfiffigen Aktionen die Begeisterung fürs Lesen zu fördern“, sagte sie. Begeisterung fürs Lesen möchte auch die Leitung der Karl-Lerbs-Schule, Helke Lütjen und Agnes Grams, wecken.
„Drei- bis viermal im Jahr haben wir eine Vorlesezeit, da suchen sich Kinder Bücher aus und lesen daraus vor. Ulrike Hövelmann war auch Vorleserin“, erinnert sich Agnes Grams. „Dann hat sie uns gefragt, ob wir an unserem Standort die Leselust in der Neustadt gründen wollen.“ Die Schule wollte – und seitdem ist viel passiert: Mit dem Kinder- und Familienzentrum Thedinghauser Straße, der Kita Matthias Claudius, dem Altenpflegeheim Kirchweg, der Wilhelm-Kaisen-Oberschule oder dem Rosencafé hat die Neustädter Leselust bereits diverse Kooperationspartner gewinnen können. Und auch die Buchhandlungen Buntentor und Balke sowie die Sparkasse sind dabei.
„Wir wollen uns in der Neustadt breit aufstellen“, sagt Grams, die sich freut, dass sie die Räumlichkeiten der Sparkasse in der Pappelstraße für Veranstaltungen nutzen darf. Und am Beispiel der Kooperation mit dem Altenpflegeheim Kirchweg will die Neustädter Leselust auch Alt und Jung zusammenbringen. „Im Altenpflegeheim könnten die Bewohner erzählen, wie es früher war. Dann könnten wir die Geschichten aufschreiben und daraus ein Buch machen“, überlegt sie.
Insgesamt sei Lesen ein ganz großes Thema, meint Helke Lütjen: „Und auch der Moment, wenn man merkt ,Ich kann lesen‘.“ Doch in Sachen Lesekompetenz sei heute vieles anders, meint sie: „Vorgelesen zu bekommen, so dass im Kopf Bilder entstehen, liegt oft nicht mehr im Erfahrungsbereich der Kinder.“ Können Kinder denn heute schlechter lesen? „Allgemein ist zu beobachten, dass ein geringerer Wortschatz besteht; vieles ist nicht mehr geläufig. Da spielt auch die Mediennutzung eine Rolle.“ Und Agnes Grams ergänzt: „Youtube zum Beispiel, da wird ja mehr geschaut und gehört als gelesen.“ Das Gefühl, in ein Buch abzutauchen, sei für viele Kinder nicht mehr erreichbar: „Wir machen uns beim Lesen die Bilder im Kopf, aber im Film ist ja alles schon vorgekaut.“
Die Westermann-Gruppe etwa bietet das „Antolin-Programm“ an – Kinder können nach dem Lesen eines Buches an einem Quiz teilnehmen: „Aber man merkt, dass es für die Kinder, die mit wenig Sprache ankommen, schwer ist.“ Lesekompetenz sei für viele Kinder sehr anstrengend und da sei es gut, dass sich in der Schule dafür Zeit genommen wird, sagt Helke Lütjen: „Das ist zu Hause oft nicht mehr so. Es geht ja nicht nur ums Lesen, sondern auch ums Erklären, ums Erzählen.“
Ein weiterer Ansatz, die Lesekompetenz zu erhöhen, ist beispielsweise ein Vorlesewettbewerb im Rosencafé im März. Außerdem gibt es eine Vorlese-AG und einen Leseklub: „Dort geht man hin und stellt Bücher vor. Das mögen die Kinder sehr gerne“, weiß Agnes Grams zu berichten, „das ist auch eine Kompetenz, die die Kinder dort erlangen.“
Die Neustädter Leselust soll sich aber nicht auf die Schule beschränken: „Sie soll auch auf Reisen gehen. Unsere Partnerbuchhandlungen haben zwei Koffer mit einer tollen Buchauswahl zusammengestellt“, sagt Grams. Die Koffer sind für verschiedene Altersklassen konzipiert und werden in Kitas oder der Wilhelm-Kaisen-Schule abgestellt.