
Herr Gansz-Ehrhorn, wie kam es dazu, dass sie sich mit dem Thema Demenz so intensiv befassen?
Gansz-Ehrhorn: Das hat zwei Gründe: Ich arbeite eng mit dem Osterholzer Seniorenwohnheim Haus Hasch für demenzerkrankte Menschen zusammen. Der zweite Auslöser war die Krankheit meiner Mutter, die seit sechs Jahren an Demenz erkrankt ist.
Sie sagen das sehr offen. Keine Selbstverständlichkeit.
Nein, durchaus nicht. Oft verschweigen Angehörige eine Demenz gegenüber Außenstehenden. Sie wollen den Betroffenen schützen vor den Reaktionen der Mitmenschen, bei denen die Krankheit oft Ängste vor dem eigenen Älterwerden auslöst. Und es passt nicht in unsere Leistungsgesellschaft, nicht mehr voll zu funktionieren.
Welchen Weg schlagen Sie der Familie im Umgang mit Nachbarn und Bekannten vor?
An erster Stelle Offenheit. Durch Wegschweigen gefährdet man den Kranken. Vielleicht läuft dieser mal mitten auf die Straße, ohne zu wissen warum. Dann reagieren Nachbarn nicht mit Entsetzen oder Verwunderung, sondern können helfen.
Ihr Eröffnungsgottesdienst am 20. September trägt die Überschrift „...eure Alten sollen Träume haben...“. Was verbirgt sich hinter dem Titel?
Hierbei geht es um Altersbilder: Wie will ich alt werden? Was passiert, wenn meine Wunschträume und die meiner Familie über den Haufen geworfen werden? Wie haben Träume trotz der Demenz einen Raum?
Wie lässt sich ein solcher Raum schaffen?
Ich benutze da gerne das Gleichnis vom Feigenbaum, in dem ein Mann seit drei Jahren einen Feigenbaum pflegt, ohne dass dieser Früchte trägt. Doch er will ihn pflegen und Unmögliches tun, das Letztmögliche Versuchen`.
Früchte trägt er in dem Gleichnis am Ende jedoch nicht.
Der Ertrag ist ein anderer, nicht auf den ersten Blick sichtbar. Für Demenzkranke braucht man Geduld und eine andere Sichtweise. Ich für meinen Teil habe große Ehrfurcht vor den Lebensgeschichten älterer Menschen. Wenn in einer Person vielleicht viele Schätze in der Dämmerung versinken, ist es eine „Sternstunde“, wenn sie dann bei anregenden Anlässen plötzlich wieder mit leuchtenden Augen von ihren Erinnerungen erzählt.
Wie ist es möglich, Demenzkranken zu helfen?
Medizinisch sind wir noch nicht recht weit. Aber es gibt andere Möglichkeiten. Zum Beispiel durch eine bestimmte Kommunikationstechnik, die sich Validation nennt. Dabei erklärt man die Realität des Anderen für gültig. Ein Beispiel: Auf die Aussage an einem Freitag „Heute ist Montag, heute ist Waschtag“, könnte die Antwort lauten: „Oh ja, am Waschtag hast Du immer viel zu tun!“ Mit einer solchen Zustimmung bringt man eine Wertschätzung zum Ausdruck, bleibt beim Thema des Gegenübers und nimmt die Gefühle und Gemütszustände ernst – auch wenn dies manchmal schwer fallen mag.
Was ist mit den Gefühlen der Angehörigen? Mit dem Kummer und der Wut, die immer wieder hochkommen? Viele vermissen ihr eigenes Privatleben, das aufgrund der Pflege zu kurz kommt.
Ich persönlich habe bei meiner Mutter eine große Traurigkeit empfunden, nicht mehr die Person vorzufinden, die mich mein Leben lang geliebt und die mir den nötigen Zuspruch gegeben hat. Aber: Liebe darf nicht auf ihre Kosten kommen. Die Erwartungshaltung muss sich ändern. Heute schöpfe ich Glücksgefühle, wenn sie wache Momente hat und wir gemeinsam Kinderlieder singen.
In dem Film „Honig im Kopf“ von Til Schweiger leidet ein ehemaliger Tierarzt an Alzheimer, der häufigsten Demenzerkrankung. Sie haben die Tragik-Komödie gesehen. Wie bewerten Sie den Film?
Der Film steht auch auf unserem Programm zur Demenzwoche. Ich habe ihn mit gespaltenen Gefühlen gesehen. Einerseits gelingt es Schweiger, viele Menschen zu erreichen, die sich zuvor nicht mit dem Thema befasst haben. Andrerseits ist es keine hilfreiche Geschichte dazu, wie Angehörige mit einem Demenzkranken umgehen können.
Haben Sie selbst Angst vor dem Alter?
Nein. Ich habe großen Respekt. Ich gehe meiner Zukunft getrost entgegen. Durch meine Arbeit habe ich viele Menschen kennen gelernt, die auch im Alter noch erstaunlich viel Lebensmut und Kraft ausstrahlen. Da habe ich mir viel abgucken dürfen. Und etwas ganz Entscheidendes habe ich gelernt: Das Vertagen von Träumen ist schädlich.
Das Gespräch führte Silja Weißer.
Zur Person: Tilman Gansz-Ehrhorn ist Pastor der Melanchthon-Gemeinde in Osterholz und seit 21 Jahren der Sebaldsbrücker Versöhnungsgemeinde. Gemeinsam mit Diakonin Bettina Schürg ist er federführend für die Planung der Demenz-Woche im Bremer Osten verantwortlich. Der 53-Jährige setzt sich seit Jahren mit dem Verlust der geistigen Funktionen und Verknüpfen von Denkinhalten auseinander.
Demenzwoche im Bremer Südosten:
Sonntag, 20. September, 10 Uhr: „...eure Alten sollen Träume haben...“– Eröffnungsgottesdienst in der Melanchthon-Kirche Osterholz, Osterholzer Heerstraße 124.
Dienstag, 22. September, 15 Uhr: „Demenz vermeiden – geht das?“, Vortrag von Petra Scholz von der Bremer Heimstiftung mit anschließender Diskussion im Gemeindezentrum St. Thomas, Grenzwehr 61 (erreichbar mit Straßenbahnlinie 1: Haltestelle Osterholzer Landstraße).
Mittwoch, 23. September, 15 Uhr: Filmnachmittag: „Honig im Kopf“ mit anschließendem Austausch. Beginn mit Kaffee und Kuchen, Filmvorführung ab 15.30 Uhr. Ort: Trinitatisgemeinde, Gemeindezentrum Tenever, St. Gotthard-Straße 140.
Donnerstag, 24. September, 15 bis 17 Uhr: Buntes Volksliedersingen für Menschen mit und ohne Demenzerkrankung und ihre Angehörigen. Beginn mit Kaffee und Kuchen, Klavierbegleitung von Kirchenmusiker Johannes Grundhoff. Ort: Gemeindehaus der Melanchton-Gemeinde, Osterholzer Heerstraße 124. Anmeldung bei Seniorendiakonin Bettina Schürg, Telefon: 69 69 81 51.
Sonnabend, 26. September, 15 bis 16.30 Uhr: Tanzcafé – „Tanzen im Sitzen“ für Menschen mit und ohne Demenzerkrankung und ihre Angehörigen. Beginn mit Kaffee und Kuchen. Ort: Gemeindehaus der Melanchthon-Gemeinde, Osterholzer Heerstraße 124, Anmeldung bei Bettina Schürg, Telefon: 69 69 81 51.
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.