
Fast zwei Monate war Mareile Hankeln Gefangene. Gefangene in ihrem eigenem Körper. Sie litt an dem seltenen Guillain-Barré-Syndrom (GBS). Nach acht Wochen Intensivstation begann ihr Kampf zurück ins Leben in der Neurologischen Frührehabilitation des Klinikums Bremen-Ost – eine in Bremen einzigartige Spezialabteilung, die in den vergangenen Monaten von 24 auf 36 Betten ausgebaut wurde.
„Ich hatte Kribbeln in den Fingern und den Füßen und ich hatte Schulterschmerzen“, beschreibt Mareile Hankeln die ersten Symptome der tückischen Krankheit. Ein Besuch bei einem Orthopäden blieb zunächst ohne Klärung, obwohl die Lähmungserscheinungen immer stärker wurden. „Schon da sind mir beim Aufstehen von der Liege die Beine weggesackt.“ Ihren damals zehn Monate alten Sohn hochzuheben war unmöglich.
Nachts hat sie dann den Kassenärztlichen Notdienst angerufen. „Die haben nur gesagt, dass sie nichts machen können und das ich am nächsten Tag zum Arzt gehen soll.“ Als guter Patient habe sie sich tatsächlich noch zu ihrem Hausarzt geschleppt. Mit dabei waren auch ihre Eltern. „Die waren sehr besorgt, weil mein Vater selbst Arzt ist und meine Mutter Krankenschwester.“ Eine Ahnung, dass sie ernsthaft erkrankt ist, hatte sich da längst in den Hinterkopf gesetzt. Aber auch ihr Hausarzt konnte nichts finden und führte die Symptome auf eine Überlastung als junge Mutter zurück. Als der Hausarzt später von der richtigen Diagnose erfuhr, sei er geschockt gewesen. Einen Groll hegt Mareile Hankeln zwar nicht, „aber es waren zwei Ärzte, die den Symptomen nicht nachgegangen sind. Ich meine, ich konnte beim Duschen die Arme nicht heben.“
Den richtigen Verdacht hatte schließlich eine Assistenz-Ärztin in der Notaufnahme des Klinikums-Mitte. Von dort wurde sie direkt nach Bremen-Ost verlegt. Zwei Tage nach dem Besuch bei ihrem Orthopäden lag sie auf der Intensivstation. Noch mal zwei Tage später musste sie intubiert und künstlich beatmet werden. Innerhalb von nur wenigen Tagen wurde aus der pflegenden jungen Mutter eine zu pflegende Patientin. „Ich habe gespürt, wie es die Beine hoch wanderte, irgendwann spürte ich dann auch den Bauch nicht mehr.“ Bis unter das Kinn war sie vollständig gelähmt. Der Verstand aber war nicht beeinträchtigt. „Ich war schon bei Bewusstsein, habe aber wahnsinnig viel geschlafen.“ Neben der Hilflosigkeit, die sich in Angsträumen äußerte, hatte sie außerdem Schmerzen. „Allein auf die Seite gelegt zu werden, war die Hölle.“ Sie beschreibt den Schmerz als vielfach höher als Wehenschmerzen. Wie hält ein Mensch so ein traumatisches Erlebnis aus? „Der viele Besuch hat mich durchgebracht“, ist sich Mareile Hankeln sicher. Die Freunde und ihre Familie hätten sie gerettet.
Nach acht Wochen kehrte langsam das Gefühl wieder zurück. Und mit dem Gefühl musste sie ganz grundlegende Dinge lernen: „Atmen – ich war mit nicht sicher, ob ich das noch konnte.“ Teil der Reha war eine Logopädie um nach der langen Zeit mit Intubationsschlauch wieder sprechen zu lernen. „Das war wahnsinnig anstrengend.“
Die Reha beginnt auf der Frührehastation schon bei der Pflege. Speziell ausgebildete Pflegekräfte machen erste Mobilitätsübungen mit den Patienten. „An die Bettkante setzen: richtig harte Arbeit, weil sich durch die lange Liegezeit die Muskeln abbauen und sich die Sehnen verkürzen.“ Meilensteine auf den Weg zurück ins Leben: „Ohne Sprechaufsatz Stimme produzieren können, sich im Bett millimeterweise zurechtruckeln können, die Fernbedienung halten, das Handy wieder bedienen können.“ Im Anschluss an die Frühreha im Klinikum-Ost folgte eine weitere in Friedehorst bei Oldenburg. Dort machte Mareile Hankeln so rasche Fortschritte, dass sie früher als prognostiziert zu ihrer Familie nach Hause konnte.
Dort wartete allerdings der nächste Kampf auf sie: der Kampf gegen die deutsche Gesundheitsbürokratie. „Ich bin in der Elternzeit krank geworden und hatte deswegen keinen Anspruch auf Krankengeld, hätte aber die Elternzeit wegen der Schwere der Krankheit retten können.“ An solche und andere Informationen sei sie erst nach dem Aufenthalt auf der Intensivstation und dann auch nur mühsam herangekommen. „Ich musste selbst recherchieren und habe inzwischen drei dicke Ordner gefüllt.“ Ihre Krankenkasse habe ihr mit der Verwaltung ihrer Erkrankung eine Unmenge Büroarbeit aufgezwungen. „Das ist ein unheimlicher bürokratischer Aufwand. Das hat sehr viel Energie gefressen.“
Jetzt, ein knappes Jahr nach ihrer plötzlichen Erkrankung, ist Mareile Hankeln frei, ist keine Gefangene ihres eigenen Körpers mehr. „Ich spüre eine immense Dankbarkeit, dass ich selbstständig zuhause sein kann bei meinem Kind.“ Dennoch bleibt ein Verlust: „Es ist Lebenszeit, die nie wieder kommt.“
Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute Nervenerkrankung, bei der das Immunsystem die eigenen Nervenzellen angreift. Eine genaue Ursache der Krankheit ist nicht bekannt. Vorausgegangene Infektionen und verschiedene Viren und Bakterien stehen als Auslöser in Verdacht. Zur Behandlung werden sogenannte Immunglobuline eingesetzt. Die Symptome können bis zu vier Wochen lang zunehmen, bis sich die Erkrankung nach zwei bis vier Wochen nach dem Höhepunkt der Symptome zurückbildet. Das kann Monate oder Jahre dauern. Fünf Prozent der Erkrankten sterben, manche behalten Lähmungen zurück. Die Krankheit trifft jährlich ein bis zwei Menschen unter 100.000.
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