
In der Antike war es noch andersrum: Wer über Otium, die Muße, verfügte, war im Besitz der eigentlichen Lebenszeit, und wer zum Negotium, zur praktischen Tätigkeit, verdammt war, vergeudete arbeitend sein Leben. Wie konnte es dazu kommen, dass viele Leute die Dinge heute genau umkehrt sehen: Dass wohl kaum etwas Schlimmeres passieren kann, als wenn man seine Arbeit verliert? Und für viele geht mit der Arbeit ihr Lebenssinn verloren.
Der Verein will zwar nicht das Rad der Zeit bis in die Antike zurückdrehen, doch er will daran erinnern, dass mit unserer Arbeit etwas nicht stimmt: „Das Leben verkümmert, denn die Freizeit ist meist nicht selbstbestimmt – das Problem liegt in der Art und Weise, wie wir arbeiten“, sagt Felix Quadflieg, Mitbegründer von Otium. Mit seinem Kollegen Eberhard Plümpe trat er im Kunst- und Kulturverein „Schule 21“ auf, um mit ihm abwechselnd Dichter-Texte zum Besten zu geben, die die gängige Arbeitsmoral infrage stellen: „Wer schuftet ist ein Schuft!“ sagt Erich Kästner, dessen Motto über dem gesamten Abend stehen könnte, denn die Dichter und Kabarettisten, die zu Wort kommen, haben wenig für die Arbeit und viel für die Muße übrig.
Der Verein Otium existiert seit 1998 und tritt mit Lesungen und Straßenaktionen in Erscheinung, „potenziell gehen wir auch in Schulen, doch wir wurden bisher nicht angefragt“, sagt Felix Quadflieg. Vielleicht, weil die Texte und Gedichte, die beide lesen, allzu sehr die Arbeitsmoral von Schülern untergraben würden?
Vor der Lesung händigt Felix Quadflieg jedem Gast ein Blatt Papier aus, auf dem das Ziffernblatt einer Uhr gezeichnet ist. Jeder solle an den Stundenstrichen ein beliebiges Geräusch notieren, dass man mit dem Mund machen kann. „Es kann Bellen, Miauen, Schnarchen oder Grunzen sein, ganz egal“, sagt Felix Quadflieg.
Die Lesung beginnt, und Eberhard Plümpe und Felix Quadflieg gehen bis in biblische Zeiten zurück, als es in Matthäus 6 hieß: „Schaut die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.“ Das Trachten nach dem Reiche Gottes, so die Bibel, sei mit zu viel Arbeitsamkeit nicht vereinbar. Denn die Arbeit wurde doch in der Regel von anderen aufgedrückt. Doch erst mit dem Beginn der Aufklärung werden die Stimmen, die Arbeit als Form der Unterdrückung sehen, plötzlich sehr laut. Im 19. Jahrhundert beklagt der Dichter Robert Louis Stevenson, dass derjenige in Misskredit fällt, der sich vor Arbeit drückt, denn das habe den Anstrich von Aufschneiderei und Großsprecherei: „Ein Lied trällern, eine Zigarre rauchen, locker mit Leuten plaudern“ sei verdächtig. Doch der Müßiggänger, als Vorläufer der Aufklärung, müsste eigentlich Vorbild sein, übe er sich doch in Toleranz und Weisheit, sei frei von Dogmatik, kümmere sich um Geist und Gesundheit und schlendere eher die Seitenwege des Lebens entlang.
Wie das ganze Elend der gängigen Arbeitsmoral entstand, wusste schon Johann Nestroy und benannte die Verkettung der Ursachen: Durch Arbeitsamkeit entsteht Reichtum, der führt zu mehr Wünschen und diese zu mehr Unzufriedenheit. In der Folge kommt es zu unausstehlichen Leuten, die den Schweiß in Kauf nehmen, und damit nach Friedrich Nietzsche nicht mehr gut riechen. Im Tierreich steht das Faultier für ein Leben in vollendeter Muße, und es weiß sich gegenüber dem arbeitsamen Elefanten oder Ochsen wohl zu rechtfertigen: „Dem Müßiggänger gehört das ganze All.“ Wer Muße hat, besitzt also nicht nur weit mehr, ihm vergeht auch der Augenblick weit weniger schnell, der Moment scheint nun kein Ende mehr zu nehmen, wie es Erwin Strittmatter erfährt, als er sich, durch den Schnee gehend, plötzlich bewusst wird, dass er viel zu lange in Erwartungen gelebt hat, dass er immer hoffe, „dass etwas in der Ferne geschieht, was bis zu mir herüberreicht.“
Eberhard Plümpe widmet zwei der Gedichte, die er vorträgt, dem Ex-Chef der Bremer Beluga-Reederei Niels Stolberg, der vor Kurzem zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Bei ihm zeige sich besonders deutlich, wie Arbeitsmoral in Unmoral übergehen könne.
Nach der Pause kommen die anfangs verteilten Ziffernblätter mit den notierten Geräuschen zum Einsatz: Eberhard Plümpe und Felix Quadflieg zeigen mit dem Holzstab auf eine bestimmte Stunde, und das Publikum beginnt zu wiehern, zu blöken und zu muhen oder singt einfach nur „lalala“ – eine kakophonische Stimmenvielfalt, die an dadaistische Sitzungen der 1920er-Jahre erinnert.
Nach der Pause wird der Blätterwald aus Schriften, die für ein müßiges Leben plädieren, weiter durchforstet: Gedichte von bereits verstorbenen Lyrikern wie Ernst Jandl oder Robert Gernhardt bis zu Prosatexten von Elke Heidenreich, die ein entscheidendes Problem beleuchtet: Das man ja oft außer Arbeit nichts kann und nichts mit sich anzufangen weiß, wenn die Arbeit wegfällt: Opa hat sich zwar auf das Rentenalter gefreut, doch er kann seine Muße nicht nutzen, er geht der Oma nur noch auf die Nerven: „Denn genießen hab‘ ich nicht gelernt!“
Eberhard Plümpe und Felix Quadflieg bringen in ihrer einstündigen Lesung Tiefsinn und Albernheiten, Nachdenkliches und Humor zusammen und zeigen, dass oft Witz und kluge Gedanken nah beieinander liegen. Ihre Lesung macht klar, dass am Begriff der Otium weit mehr hängt, als nur die Ablehnung von Arbeit: sondern auch die Lust am Leben, der Genuss des Augenblicks, und das großartige Erlebnis, sich lebendig zu fühlen. Und wer den Wert des Nicht-Tuns begriffen hat, kann auch mal stolz sein auf alles, was man heute nicht getan hat, wie es der Schriftsteller Thomas Brasch in seinem Gedicht zusammenfasst: „Heute habe ich mal keinen Stein ins Rollen gebracht.“
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
Welcher Verein wann in Bremen oder der Region spielt und wie die Begegnung ausgegangen ist, erfahren Sie in unserem Tabellenbereich. Auch die Ergebnisse der Spiele der höheren Ligen finden Sie dort.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.
wir wissen, man/frau lernt nie aus.
bei der belebung des walls ... schon vor jahren initiiert ... ist bislang noch ...