
Frau Lüllmann, Kindertheater im Coronalockdown. Geht das wirklich?
Dana Lüllmann: Ja, das geht, wir haben es gemacht. Die Gründe dafür waren vielfältig, finden sich aber vor allem in unseren pädagogischen Überzeugungen.
Können Sie das kurz ausführen, was genau heißt das?Wir haben die Haltung, dass die Kinder nicht ein bestimmter Teil der Gesellschaft sind, sondern schlicht einfach zu jedem Bereich der Gesellschaft gehören. Im Alltag äußert sich das in einem großen Grundvertrauen in die Fähigkeiten der Kinder. Alles, mit den Erwachsene hantieren können, damit können auch Kinder umgehen, wenn sie korrekt begleitet werden. Sie sollen auf Grundlage ihres Entwicklungsstandes alles ausprobieren und erforschen können. Wir begreifen unsere Räumlichkeiten nur als einen Teil des Umfeldes der Kinder und gehen eigentlich mit ihnen sehr oft raus, damit sie die Gesellschaft in ihrer Gänze kennenlernen können. Dazu kommen noch viele weitere Punkte, wie zum Beispiel das Treffen von demokratischen Entscheidungen – selbst in jüngsten Jahren.
Manches davon klingt nicht wirklich coronakonform ...Nein, da haben Sie recht. Das ist es auch nicht. Die Pandemie brachte große Einschnitte für unseren gewohnten Alltag und auch unsere pädagogischen Überzeugungen mit sich. Wir mussten viel umstellen und was uns auf allen Ebenen und auch emotional sehr trifft ist, dass zum Beispiel die Eltern in einem Elternverein nicht mehr am Krippen- und Kitaalltag teilnehmen können. Es war früher ganz normal, dass Eltern beim Frühstück noch mit dabeisaßen oder sich Zeit nahmen, mit den Kindern Bücher zu lesen, wenn ihr Beruf das zuließ. Sie kamen nicht nur morgens vorbei, brachten die Kinder und gingen wieder. Sie waren wichtige Stützen, falls Personalnot herrschte. Die Erziehungspartnerschaft, wie wir sie bisher gelebt haben, ist so leider aktuell nicht mehr machbar.
Und der Besuch von Theateraufführungen fiel auch aus, weshalb sie einfach selbst initiativ worden?Ja, wir gehen sonst oft in Museen, Theater oder nutzen alle denkbaren Angebote im Stadtteil, um den Kindern kulturelle und gesellschaftliche Erfahrungen zu ermöglichen. Und auch sonst schlüpfen die Kinder auch bei uns oft in Rollen. Wir haben viele Verkleidungen und Requisiten in den Einrichtungen und eine selbst gebaute Umkleidekabine. Theater, die Auseinandersetzung mit Geschichten, das Schlüpfen in Rollen und das Erproben sogenannter Als-ob-Situationen ist enorm wichtig für die Entwicklung der Kinder. Theater ist unabhängig von Sprache, Herkunft und Entwicklungsstand. Für jeden Menschen gibt es eine passende Ausdrucksform. Eben die 100 Sprachen. Und ja, da war ich natürlich sehr froh, als zwei Mütter aus dem Elternverein auf mich zukamen und mir von einer Idee berichteten.
Erzählen Sie gern.Sie hatten die Idee eines Weihnachtstheaters, das im Einklang mit allen Coronaregeln und Auflagen steht. Sie wollten Corona-konform vor den Fenstern der Kindergartengruppe ein Theaterstück von zwei befreundeten Schauspielern vorspielen lassen. Gepackt von der Idee gingen wir zusammen in die Überlegungen. Kurzerhand schrieb eine Mutter, Lynda Bartnik, die selbst Autorin ist, ein eigenes Theaterstück. Das heißt „Willomina Weihnachtselfe auf der Suche nach dem richtigen Lied“.
Wie muss man sich die Bühnensituation vorstellen? Fand die Aufführung draußen statt?Ja, wir haben auf dem Gelände einen kleinen Hügel, auf dem sich die Kinder und die Erzieher hinsetzten. Gegenüberliegend, an einem kleinen Schuppen bauten wir eine Bühne auf und stellten im Inneren der Einrichtung einen Extraraum zum Umziehen der zwei Schauspieler bereit. All dem ging die Klärung mit dem Landesjugendamt voraus, damit wir wirklich alle Auflagen erfüllten und keine Probleme bekamen.
Die waren hilfreich und nickten schließlich alles ab?Ja und nein. Sie haben uns sehr geholfen, da kann ich mich nur stellvertretend für alle noch mal bedanken. Aber wir mussten Abstriche machen. Wir hätten zum Beispiel die Eltern gerne vom Zaun aus zuschauen lassen, mit Masken und Abstand, aber davon wurde abgeraten, da alleine die Ansammlung an sich Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte und auch sonst die Abstände nicht hätten garantiert werden können.
Dauerte die Umsetzung des Stückes von da an lang?Nein, von der ersten Idee bis zur Premiere am 15. Dezember vergingen gut drei Wochen. Aber es gehörte auch eine Menge Arbeit dazu. Alle haben mitangepackt, haben Kostüme genäht, Bühnenbilder gestaltet, es wurde Text geschrieben und von der Autorin und ihrem Mann wurden Lieder am Küchentisch eingespielt, die im Stück vorkommen. Das sind zum Teil neue Liedtexte, die zu bekannten Melodien gesungen werden. Daraus wurde sogar eine CD, die jedes Kind als Andenken von diesem besonderen Stück bekommen hat, auf der die Schauspielerinnen einzeln und dann als Zusammenschnitt Corona-konform die Texte eingesungen haben. Darauf auch der Mitschnitt des Theaterstückes, so kann es in den Familien weitergetragen werden.
Wie kam das Stück bei den Kindern an?Ganz toll, sie haben gebannt zugesehen. Gespannt blickten die Kinderaugen auf das fast 40 Minuten lange Stück, sie lachten mit, fieberten mit und sangen die von der CD vorab bekannten Texte mit. Die zwei Schauspielerinnen Lena Kluger und Franziska Steinhaus haben das toll kindgerecht rübergebracht und wir hatten eine fantastische Stimmung.
Wurde das Stück nur einmal aufgeführt?Nein, das liegt jetzt in der Hand der zwei Schauspielerinnen. Die haben mehrere weitere Auftritte im Dezember noch geplant gehabt und davon fanden auch einige noch auf dem Gelände anderer Einrichtungen statt. Jetzt fielen zum Schluss aber aufgrund der relativ leeren Gruppen an manchen Standorten Aufführungen aus. Die sollen aber im Januar nachgeholt werden, wenn ja wahrscheinlich nach aktuellem Stand die meisten Kinder wieder vor Ort sind. Es ist zwar ein Weihnachtsstück, aber das passt dann auch noch. Auch danach wären weitere Vorstellungen möglich. Bei Bedarf kann man sich gerne bei Lena Kluger oder Franziska Steinhaus melden.
Die zwei Schauspieler haben sich sicherlich gefreut über die Chance ...Sehr, ja. Das ist einfach schlimm, in welcher Lage die gesamte Kulturszene steckt. Ich freue mich sehr, dass wir da immerhin einen winzigen Beitrag leisten konnten, um auch zu zeigen, wie es funktionieren kann. Die zwei Schauspieler haben gerade mal ihre Kosten decken können, aber immerhin.
Das ist jetzt nicht abwertend gemeint: Aber wenn sie als Elternverein zusammen mit zwei Schauspielern so etwas auf die Beine stellen können, was dann auch noch anderen Einrichtungen zu Gute kommt, sollte das ein Bundesland an einem zentralen Ort mit mehreren coronagerechten Angeboten nicht auch hinbekommen?Das sollte man meinen, ja. Ich finde traurig, wie wenig hier an Alternativen für die Kultur und auch für die Menschen und vor allem für die Kinder geschaffen worden ist. Theater, Lesungen oder Ähnliches sind vielleicht nicht systemrelevant im engeren Sinne, aber wir brauchen sie als Gesellschaft und für die Kinder sind sie eine enorm wichtige Stütze in der persönlichen und sozialen Entwicklung. Natürlich muss dabei ein corona-konformer Rahmen gefunden werden, aber die Daseinsberechtigung ist nicht von der Hand zu weisen.
Das Gespräch führte Gerald Weßel.Dana Lüllmann (33)
ist seit 2015 beim Elternverein Knaddeldaddel angestellt und wurde im Frühjahr 2020 die pädagogische Leiterin der derzeit drei Krippen- und einer Kitagruppe. Eltern und Erzieher haben zusammen mit zwei Bremer Schauspielerinnen ein Weihnachtsstück samt Hygienekonzept erarbeitet und in Kindertagesstätten aufgeführt werden konnte.
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