
Scherben, Mauerreste und einige Tierknochen – was der Laie wohl achtlos entsorgen würde, lässt Archäologen wie Daniela Nordholz und Stephanie Böker den Atem stocken. 2016 haben sie die Ausgrabungen im Stephaniviertel für die Bremer Landesarchäologie begleitet. Im Kulturhaus Walle berichteten sie nun von ihren Erkenntnissen über das mittelalterliche Bremen und dem Moment als plötzlich die 1000 Kilo-Bombe vor ihren Füßen lag.
„Das Stephaniviertel gehörte früher nicht mit zum eigentlichen Stadtkern, sondern befand sich vor der Stadtmauer“, erklärt Stephanie Böker dem geschichtsinteressierten Publikum im Kulturhaus Walle. Erst bei einer Erweiterung im Jahr 1307 sei dieser Bereich von der Wehranlage mit umschlossen worden. Zu dieser Zeit sei es auch kein Stadtviertel wie heute gewesen, sondern das Stephaniquartier eine eigenständige Siedlung, neben der späteren Stadt Bremen. Namensgebend war die im Mittelalter gegründete Stephanikirche.
„Zwischen 1512 und 1534 wurden die drei Zwinger Ostertor, Herrlichkeit und Stephani errichtet – die Bebauungen der beiden Siedlungskerne Bremen und Stephani wuchsen nun zusammen“, so Böker weiter. In der Neuzeit entstanden an der Weser dann enge Gängeviertel ähnlich dem Schnoor. Die Archäologinnen zeigen Fotos von ihren Funden: Keramikscherben, massive Fundamentreste und Keller. Nicht immer ist klar, um was es sich dabei genau handelt und das, erklärt Daniela Nordholz, gehe nicht nur dem Normalbürger so. „Was es im Einzelfall genau war, kann man oft nicht sagen“, sagt die Archäologin und stellt einen Vergleich auf: „Es ist so, als würde ich ihnen einen winzigen Papierschnipsel aus einem 300-seitigen Roman vorlegen.“
Dennoch haben die Grabungsarbeiten Funde zutage gefördert, die Archäologen einen Einblick in die mittelalterliche Geschichte Bremens geben. So sei eine der wichtigsten Erkenntnisse der Ausgrabungen im Stephaniviertel 2016, dass das bis dahin geltende Wissen zu revidieren war. „Das Bild vom Stephaniviertel als ein Quartier der kleinen Handwerker und armen Leute musste erweitert werden“, sagt Stephani Böker. „Es gab auch viele gut betuchte Leute, die hier gelebt haben.“ Angedeutet hatten dies bereits die Ergebnisse der Innenstadtgrabungen der vergangenen 15 Jahre, aber 2016 wurden diese Bedenken ausgeräumt.
„Es gibt allerdings auch Funde, auf die wir sehr gut verzichten können“, berichtet Nordholz stellvertretend für ihre Berufskollegen, die dabei waren, als sie – nichts Böses ahnend – plötzlich auf die Fliegerbombe im Boden stießen. Der Schock von damals sitzt noch immer tief: „Rennen, retten, Panik!“, fasst Daniela Nordholz kurz zusammen, was sie in dem Moment empfunden hat und berichtet: „Wir mussten die Grabung augenblicklich verlassen. Wäre der Blindgänger hochgegangen, hätte es uns und die Hälfte des Stephaniviertels nicht mehr gegeben“, erzählt die Archäologin mit ernster Miene.
Bei den Luftangriffen im Jahr 1944 wurde das historische Stephaniviertel dem Erdboden gleichgemacht. Nur die Kirche blieb stehen und das Ausmaß der Zerstörung zeichnet sich bis heute tief im Erdreich ab. „Die Einschläge der Bomben konnten wir noch archäologisch fassen“, sagt Nordholz. An einer Stelle im freigelegten Krater, haben sie eine historische Gebäudemauer entdeckt, die mit der Wucht eines Einschlags ein stückweit versetzt wurde. „Die Druckwelle der Explosion hat die Mauer im Ganzen angehoben – sie müssen wissen, das fand unterirdisch statt, die Packhäuser standen noch darüber“, erinnert Nordholz an die schichtweise Überbauung der vergangenen Jahrhunderte.
Und die Packhäuser waren keine kleinen Gebäude, erfahren die Mitglieder des Geschichtskreises von Stephanie Böker: „Es waren mehrstöckige Lagerhäuser, die teilweise gigantisch hoch waren.“ Davon übrig geblieben ist so gut wie nichts. So lässt sich mit dem derzeitigen Wissensstand bestenfalls spekulieren, wie es im Inneren eines solchen Bauwerks im Stephaniviertel ausgesehen hat. „Ich bin auf der Suche nach Detailplänen oder Fotos von Innenräumen, denn wir haben nichts dergleichen“, lässt Daniela Nordholz über ihr weiteres Forschungsinteresse wissen.
Aber nicht nur der Zweite Weltkrieg hat vieles zerstört. Auch die Bautätigkeit der jüngsten Jahrzehnte habe Schätze für immer verschwinden lassen, so Nordholz. Die Archäologin findet klare Worte, als sie ihre Meinung kundtut: „Wenn Bremen ein Denkmalschutzgesetz hätte, das diesen Namen verdienen würde, wären wir um einiges besser dran.“ Fänden europarechtliche Maßstäbe in der Hansestadt Anwendung, so Nordholz weiter, bekäme ein Baggerfahrer, der Kulturgut vernichtet, „fünf Jahre Knast“.
„Klar, es muss gebaut werden“, räumt die Archäologin mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart ein, kritisiert aber im selben Zuge: „Es kann nicht sein, dass dem alles untergeordnet wird“. Daniela Nordholz kommt zu dem Schluss: Bremen geht mit seiner Geschichte nicht gut um. Das zeige sich vor allem im Vergleich mit anderen Städten, die ihrer Ansicht nach eine bessere Strategie verfolgten: „Vielerorts wird es so gehandhabt, dass archäologische Funde einfach in neue Gebäude integriert werden.“ Dann wird der gewöhnliche Gang hinunter in den Keller oder in die Tiefgarage zum stadtgeschichtlichen Erlebnis. In Bremen ist das anders: „Hier wird einfach achtlos drüber gebaut“, kritisiert die Archäologin.
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
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