
Kirchhuchting. Wer in jungen Jahren durch einen Schicksalsschlag aus dem Alltag gerissen wird und fortan mit einer Behinderung oder schweren Erkrankung zurecht kommen muss, hat keine große Auswahl an stationären Hilfseinrichtungen. Manche Menschen leben deshalb seither in Altersheimen Tür an Tür mit Demenzkranken. Eine Situation, die viele als Belastung empfinden. In Huchting hat nun ein Pflegeheim eröffnet, das auch eine eigene Wohngruppe für Pflegebedürftige zwischen 18 und 60 Jahren anbietet.
Michael Clausen hat als erster eines der 17 Zimmer im Dachgeschoss des dreistöckigen Neubaus bezogen, dicht gefolgt von Anke Bühring-Eichelbach. "Wir sind die Ureinwohner", sagt die ehemalige Deutschlehrerin und lächelt verschmitzt. Sie muss sich anstrengen beim Formulieren, damit ihre Gesprächspartner alles gut verstehen können. Die Muskeln lassen nach und machen nicht mehr immer das, was sie gerne möchte. Der Grund ist eine Erkrankung der Nerven, die die Muskeln versorgen. Diese ist unheilbar. Bis vor wenigen Wochen hatte Bühring-Eichelbach ein selbstständiges Leben zu Hause. Eine große Altbauwohnung in der Neustadt und eine Rundumbetreuung durch einen Pflegedienst, Helfer aus der Kirchengemeinde und Freunde. Irgendwann reichte auch das nicht mehr aus, weil das Laufen immer schwieriger wird.
"Der Schritt in ein Heim war für sie wahnsinnig schwer, aber ich bin auch erleichtert darüber, sie nun gut hier untergebracht zu wissen und dass es ihr gefällt", sagt Corinna Schilling. Sie gehört zu dem Freundeskreis von Bühring-Eichelbach und ist gerade zu Besuch. Sieben Heime hat sie sich zuvor mit ihrer Freundin angesehen.
"Das hier ist kein Vergleich zu den meisten anderen", zeigt sich Bühring-Eichelbach überzeugt. Der Kontakt zu jüngeren Bewohnern, die vielen Möglichkeiten, barrierefrei nach draußen zu kommen und die schöne helle Architektur findet sie besonders schön. "Und wir können abends so lange aufbleiben und morgens so lange schlafen wie wir wollen", berichtet die bekennende Langschläferin.
Das sind Freiheiten, die auch für Michael Clausen wichtig sind. Ihm hat ein Hirntumor einen Strich durch die Lebensplanung gemacht. Da seine Eltern bereits nicht mehr leben, war er die letzten Jahre auf die Hilfe von Freunden aus der Kirchengemeinde angewiesen. Doch seine zunehmende Orientierungslosigkeit und das Risiko, dass er sich bei einem seiner epileptischen Anfälle ernsthaft verletzen könnte, war auf Dauer kein haltbarer Zustand. Er verkaufte seine Wohnung in Huchting und fand zunächst in einem gewöhnlichen Pflegeheim einen Platz. "Doch hier mit den Jüngeren gefällt es mir besser", meint Clausen.
Auch Martina Herzig bringt Erfahrung aus einem anderen Pflegeheim mit. Die Kattenturmerin ist erst vor ein paar Tagen an der Kirchhuchtinger Landstraße eingezogen und freut sich immer noch über diesen Glücksfall: "Erst hieß es, ich muss nach Ganderkesee, doch nun darf ich in dem Stadtteil wohnen, in dem auch meine Mutter lebt." Die 42-Jährige genießt bereits jetzt die Privatsphäre, die sie in der vorherigen Einrichtung nicht hatte. "Hier sind die Schwestern alle total höflich und klopfen immer vorher an, bevor sie das Zimmer betreten", lobt sie das Personal.
Alle drei wissen um den Vorteil, den sie als "Pioniere" der Jungen Pflege haben. "Wir haben die große Chance mitzugestalten", sagt Bühring-Eichelbach. Sie dürfen Wünsche äußern und so Einfluss auf den Alltag in der dritten Etage nehmen. Clausen wünscht sich etwa mehr Austausch zwischen den Bewohnern. "Da reichen ein paar Spiele nicht aus", findet er.
"Wir wollten bewusst kein Konzept am Schreibtisch entwickeln, das dann nicht gelebt werden kann", erklärt Heimleiter Patrick Seikert. Auch wenn noch nicht alle Angemeldeten eingezogen sind. Dass nach so kurzer Zeit bereits sieben der 17 Zimmer vergeben sind, hätte er nicht erwartet. "Die gesamte Entwicklung auch auf den anderen Etagen geht schneller als gedacht."
Ein Physiotherapeut werde bald seine Arbeit aufnehmen und in Absprache mit den jüngeren Bewohnern weitere Angebote entwickeln. Je mehr Zimmer auf der Etage bewohnt werden, desto mehr gemeinschaftliches Leben werde sich automatisch in der Gruppe entwickeln, ist er überzeugt.
Die ehemalige Deutschlehrerin genießt bereits jetzt die gemeinsamen Lesestunden. "Aber die Mahlzeiten finden noch unten im Restaurant statt", bemängelt sie. "Wenn die Station bald besser belegt ist, öffnen wir dort den Essensraum", kündigt Seikert an. Es sei geplant, dass die Bewohner je nach Befähigung dann auch gemeinsam mit ihren Betreuern kochen sollen. "Selbstständiges Leben ist bei uns ganz wichtig", unterstreicht der Heimleiter. Eine Einstellung, mit der er bei seinen Bewohnern offene Türen einrennt.
Auch die Gestaltungsmöglichkeiten im eigenen Zimmer finden die Bewohner gut. "Allerdings konnte ich aus meiner 90-Quadratmeter-Wohnung fast nichts mitnehmen – das war alles zu groß", bedauert Bühring-Eichelbach. Eine alte Kommode ihrer Oma steht nun dennoch in ihrem Zimmer. Der Rest gehört zu ihrem neuen Leben, das sie so positiv sieht, wie es irgendwie geht: "Wir versuchen, den Alltag einfach so normal wie möglich weiterzuleben." Ihre geliebte Neustadt vermisst sie trotzdem.
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Einmalig würde es ja überhaupt keinen Sinn machen, wenn man täglich den ÖPNV nutzt.