
Karl Grote (1892 – 1973) hat nie viel erzählt von seinen Erlebnissen während des Zweiten Weltkriegs. Auch über die Nachkriegsjahre hat der Lesumer kaum gesprochen. „Er war einfach froh, dass die Zeit vorbei war“, glaubt sein Sohn Gerhard Grote. Der 73-Jährige hat später dennoch viel über die Erlebnisse und Gedanken seines Vaters erfahren – aus dessen Tagebüchern. Am 10. und 24. Februar liest Gerhard Grote im Lesumer Heimathaus daraus.
„Wir wollen uns ein kleines Kriegstagebuch anlegen, in dem wir die Dinge des Alltags niederschreiben, dass wir doch später einmal wissen, wie es wirklich war. In dieses ,Später’ ist schon zugleich unser Hoffen und Wünschen hineingelegt, dass wir es überhaupt auch erleben und dass es ein besseres Später wird, als sich die heutigen Tage dartun, und das sei gleich nun hier mal vorweg bemerkt, die Gedanken und das Hoffen auf diese noch zu erringende und zu erduldende Zeit sind das, was uns noch am besten durchkommen heißt und ein gewisses Vertrauen, dass es zum Schluss doch alles gut auslaufen wird.“
Mit diesen bangen und gleichzeitig hoffnungsvollen Worten beginnt das erste Tagebuch mit einem Eintrag am 1. Juli 1942. Insgesamt füllte Karl Grote fünf der schwarzen, mit Wachstuch eingeschlagenen Bücher und schilderte darin seine Erfahrungen von 1942 bis 1947. „Er hatte die Bücher die ganze Zeit bei sich und hat immer dann hineingeschrieben, wenn er ein wenig Zeit hatte, im Bunker, am Bahnsteig, wenn der Zug nicht kam, oder wenn er Bereitschaftsdienst hatte“, erzählt Gerhard Grote. Die Texte handeln vom Alltagsgeschehen in der Familie, dem Arbeitsleben und von bedrückenden Kriegserlebnissen.
Dabei hatte der Lesumer, der als Leiter der Abteilung Statistik beim Norddeutschen Lloyd arbeitete, so gut wie keine freie Zeit. Allein durch seine Tätigkeit bei dem Schifffahrtsunternehmen war er fast 60 Stunden pro Woche beschäftigt. „Dazu musste er dort während des Krieges alle zwei Wochen zwei Nächte lang Brandwache halten“, erzählt Grote. Ebenso häufig sei er im Bereitschaftsdienst in der Lesumer Polizeiwache nachts im Dienst gewesen. „Er war auch Luftschutzblockwart und dafür verantwortlich, dass abends alles richtig verdunkelt wurde. Und er hat die Lebensmittelkarten verteilt.“
In den letzten Kriegsmonaten musste er außerdem Panzersperren bauen. „Die letzte in St. Magnus in der Richthofenstraße“, weiß Gerhard Grote. An einige Kriegseindrücke hat der 73-Jährige selbst noch Erinnerungen. Dazu gehören die lauten Schüsse von der Flakstellung, die an der Stelle war, wo sich heute das Friedehorst-Gelände befindet. Die Flugabwehrgeschütze standen nur rund 200 Meter von Gerhard Grotes Elternhaus entfernt. „Wenn flach geschossen wurde, hat der Druck die Türen aus dem Rahmen gedrückt. Und in unseren Küchenschränken ist das Geschirr zersprungen.“
Schrift des Originals kaum lesbar
Vieles hat Gerhard Grote erst aus den Tagebüchern seines Vaters erfahren. Dabei dauerte es eine ganze Weile, bis er den Inhalt überhaupt lesen konnte. „Die Schrift war nicht zu entziffern“, erläutert er den Grund. „Mein Vater hat nicht sehr sauber und oft sehr schnell geschrieben und zum Teil waren die Texte in Kurzschrift verfasst. Außerdem hat er viele auch damals ungebräuchliche Worte benutzt und zum Teil verfälscht. Das hat er wohl gemacht, um keine Schwierigkeiten zu bekommen für den Fall, dass die Bücher in die Hände der Gestapo gefallen wären.“ Trotzdem enthalten die Bücher Formulierungen, die Karl Grote Probleme hätten bringen können. „Er hat von den Alliierten schon 1944 als ,die Befreier’ geschrieben“, nennt Grote ein Beispiel.
Seine Mutter habe die Bücher zwar lesen können. „Ich habe sie gebeten, daraus vorzulesen, um das aufnehmen zu können. Das wollte sie aber nicht.“ Schließlich habe sein Bruder Klaus Grote, ein ehemaliger Lehrer, sich nach seiner Pensionierung daran gemacht, die Texte zu studieren und neu aufzuschreiben. „Er musste die Originale regelrecht dechiffrieren“, erzählt der Lesumer.
Die Tagebücher sind nach Einschätzung von Klaus-Martin Hesse, der im Lesumer Heimatverein das Archiv betreut, etwas ganz Besonderes. „Es dürfte ein zumindest für den Lesumer Raum vermutlich einzigartiges Zeugnis der schweren Kriegs- und Nachkriegsjahre sein“, meint er. Im Archiv des Heimatvereins finden sich nur wenige Dokumente aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Fotomaterial ist überhaupt nicht vorhanden.
Klaus Martin Hesse sagt: „Der Heimatverein ist sehr daran interessiert, diese Lücke im Archiv zu schließen. Wir sind daher dankbar für Dokumente und Fotos, die über Alltag und Leben in unserem Stadtteil in den Kriegsjahren Auskunft geben.“ Wer dem Heimatverein Material aus dieser Zeit zur Verfügung stellen möchte, kann sich dienstags von 15 bis 17 Uhr im Heimathaus persönlich, unter Telefon 0421/634676 oder per E-Mail an kontakt@heimatverein-lesum.de melden.
Tagebuch-Lesung: Gerhard Grote liest an den Montagen 10. und 24. Februar, jeweils um 19 Uhr, im Heimathaus Lesum, Alter Schulhof 11, aus den Tagebüchern seines Vaters Karl Grote. Der Eintritt ist frei.
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