„Ich weiß gar nicht, ob ich hier noch reden darf“, sagte Stefan Schafheitlin von der Initiative „Leben im Viertel“ auf der Sitzung des Beirates Östliche Vorstadt und fügte hinzu: „Oder ob ich vielleicht sogar aus dem Viertel ausgeschlossen werden soll.“ Dieser vielleicht nicht ganz ernst gemeinte Nachsatz ist wohl als Antwort auf eine vorherige Ansprache Florian Kommers, Geschäftsführer der Grundstücksentwicklung (GEG) Klinikum Bremen-Mitte, zu verstehen, der in seiner Eigenschaft als langjähriger Viertel-Bewohner das Schlechtreden seines Stadtteils durch die Initiative monierte. Deren Vertreter weisen bereits seit 2016 auf Zustände im Viertel hin, die ihrer Meinung nach nicht haltbar seien: zu viel Müll, Lärmbelästigung durch feiernde Menschen und die Zunahme von Außengastronomie und Imbissen sind dabei einige der Punkte, die die Initiative ausgemacht hat.
Initiativen-Mitglied Irmbert Schenk hatte unlängst in einer Fachausschusssitzung im Zuge der Diskussion um die Benennung des bisher namenlosen, am Fehrfeld gelegenen Platzes in „Marwa-El-Sherbini-Platz“, darauf hingewiesen, dass der Platz ein rechtsfreier Raum sei, „wo sich 200 saufende, pinkelnde und Müll produzierende Menschen tummeln“.
Doch dieses Schlechtreden werde er nicht länger zulassen, sagte Kommer. „Erst einmal vorweg: Ich finde es nicht schön, wenn ein Imbiss offenkundig einen kreativen, aber nicht regelkonformen Umgang mit Abfall hat“, so Kommer, den es zudem ärgert, „wenn Autofahrer in bräsiger Weise ungestraft den öffentlichen Raum okkupieren können.“ Und auch Hundekot, Erbrochenes, Glasscherben und Unrat am Sonntagmorgen würden das Viertel eindeutig nicht lebenswerter machen: „Aber das alles ist immer noch die Ausnahme und nicht die Regel“, meinte Kommer, „und es ist die Ausnahme, die ein lebendiges und quirliges Viertel erträgt.“
Kein Sodom und Gomorrha
Doch was er nicht ertrage, sei, wenn Leute ihm „seinen“ Stadtteil schlechtredeten und wenn sie von „saufenden, pinkelnden und Müll produzierenden Menschen“ sprächen, denn: „Wir reden von jungen Männern und Frauen, die ihr Leben feiern, diese tollen Sommerabende genießen, ihr Glück und die Liebe suchen, Grenzen erkunden und einfach nur den Puls einer Großstadt fühlen wollen.“ Es reiche ihm damit, sagte Kommer, denn im Viertel herrsche nicht Sodom und Gomorrha. „Wir erleben keine Ausgeburt der Schamlosigkeit, sondern einfach nur einen lebendigen Stadtteil, in dem manchmal auch Grenzen überschritten werden.“ Gegenseitig werde man sich ertragen müssen, doch was er nicht länger zu ertragen könne, seien Respektlosigkeit, Borniertheit, Diskriminierung und persönliche Beleidigung.
Es gehe darum, dass im Viertel auch Regeln gelten, erwiderte Initiativen-Mitglied Stefan Schafheitlin. „Hier ist kein rechtsfreier Raum und die Stadt ist nicht in der Lage, die Regelverstöße zu sanktionieren“, sagte er, der sich um die Umgangsformen von Gästen sorge, die sich nicht wie Gäste benehmen würden: „Hier wollen Leute so leben, wie sie anderswo auch leben. Lebendig heißt aber nicht, Flaschen zu zerdeppern oder Müll zu hinterlassen.“ Er fordere den Beirat daher in einem Bürgerantrag auf, keinem Antrag mehr zuzustimmen, der die Ausweitung der Gastronomie und der Sperrzeiten vorsehe. Daniel de Olano, stellvertretender Beiratssprecher, sagte, der Beirat werde den Antrag mit ins Amt für Straßen und Verkehr nehmen und betonte, dass dem Beirat sehr an einem ausgewogenen Mix gelegen sei. „Die Absolutheit wird sich der Beirat jedoch nicht zu eigen machen.“
In der folgenden Diskussion um die Platzbenennung „Marwa-El Sherbini-Platz“ erklärte Initiatorin Elianna Renner die Fortsetzung des „Köfte-Koscher-Projekts“. In der ersten Runde im Jahre 2012 haben jeweils elf jüdische und elf muslimische Schüler die Biografien von zwölf Opfern rechter Gewalt aufgearbeitet und deren Porträts, unter anderem von Marwa-El-Sherbini, auf das Trafo-Häuschen an der Humboldtstraße aufgebracht. Nachdem nach zwei Jahren das Trafohäuschen wieder mit Graffiti verunstaltet war, gab es eine Anfrage zur Renovierung.
Beiratsmitglied Jürgen Schultz (FDP) erinnerte an die teils hochemotionale Debatte und sagte, dass es wichtig sei, die eigenen, aber auch die fremden Argumente zu überdenken. „Wenn aber die fremden Argumente schreiend oder beleidigend formuliert werden, geht das zu weit.“ Er hätte sich gewünscht, dass nicht nur der Beirat, sondern auch die Öffentlichkeit zu einem Ergebnis gekommen wäre, betonte aber auch: „Ich habe niemanden getroffen, der diesen Antrag schlecht fand und ich habe viele Menschen rund um den Platz gefragt.“
Irmbert Schenk von der Initiative sagte, man müsse zwischen dem Kulturprojekt und der Benennung des Platzes unterscheiden. Zudem habe Elianna Renner die Schüler indoktriniert. Ein sich selbst ernst nehmender Beirat dürfe sich dem Antrag nicht anschließen. „Niemand, den ich im Fehrfeld fragte, wusste von der Benennung“, meinte Schenk. Zudem habe es mit „Rudi Dutschke-Platz“ einen Namensvorschlag gegeben und Dutschke sei tatsächlich rechter Gewalt zum Opfer gefallen, der Mörder von El-Sherbini sei hingegen Deutsch-Russe und ein verwirrter Einzeltäter gewesen.