Sanatha Hannig ist sehbehindert. In ihrem Ausweis befindet sich das Merkzeichen B. Damit darf sie kostenfrei Begleitpersonen mitbringen, die ihr helfen. Für ihren Sport braucht sie diese Begleitung aber eigentlich nicht. „Seit meinem 18. Lebensjahr gehe ich regelmäßig schwimmen, seit mittlerweile 16 Jahren im Südbad“, schildert Hannig. Der Sport tue ihr gut: „Am Stock laufen ist anstrengend.“ Während der Pandemie fehlt ihr dieser Ausgleich. „Ich merke es jetzt schon sehr, dass mir die Seite wehtut, weil ich nicht zum Schwimmen kann.“
Hannig habe gelernt, sich Unterstützung zu holen: Sie bittet ihre Mitmenschen um Hilfe. Genauso habe sie es auch im Schwimmbad gemacht, um vom Kassenbereich bis zur Umkleidekabine zu kommen – manchmal auch mithilfe des Personals.
Bis 2018. Damals teilten ihr die Bremer Bäder mit, eine solche Unterstützung könne personell nicht mehr bewerkstelligt werden. Hannig bekam ein Schreiben, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass sie ohne Begleitperson nicht mehr kommen dürfe. Dieses Schreiben war der Auftakt eines längeren Disputes zwischen Hannig und den Bädern.
Südbad ist nicht barrierefrei
Im Januar 2019 sei es zunächst zu einer dreistündigen Verhandlung im Landesbehindertenbüro gekommen. Einer der Streitpunkte: Das Südbad ist nach Hannigs Ansicht nicht barrierefrei. „Dabei sieht das Teilhabegesetz vor, dass bis 2021 alle öffentlichen Einrichtungen barrierefrei sind. Eine einfache Leitlinie von der Kasse bis zur Umkleidekabine würde uns Sehbehinderten schon reichen.“

Sanatha Hannig wartet darauf, wieder ins Schwimmbad zu gehen.
Ganz so einfach sei das mit dem Teilhabegesetz nicht, erklärt Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts. „Natürlich gibt es auch in der Bauordnung eine Stärkung der Behindertenrechte“, sagt er. Allerdings beschränke sich diese vorerst auf erhebliche Eingriffe und Neubauten. „Das bedeutet nicht, dass alle Gebäude dahingehend saniert werden müssen, wenn sie nicht ohnehin gänzlich umgebaut werden“, fasst Schneider zusammen. Die neuen Schwimmbäder in Horn und Walle, die bald eröffnen sollen, seien barrierefrei – wie es die Bauordnung vorsehe.
Im November 2019 ging der Disput weiter. Hannig hatte einen Anruf des Badleiters auf dem Anrufbeantworter. Später habe sie ein schriftliches Hausverbot für alle Bremer Bäder erhalten. Die Gründe werden in dem Schreiben aufgelistet. Die Bremer Bäder werfen Hannig vor, sich unter der Dusche die Haare gefärbt zu haben, Glasflaschen im Schwimmbereich zu nutzen und Sportler und Personal beleidigt zu haben.
Hausverbot im Südbad: Fall landet in Bürgerschaftsausschuss
"Das stimmt so nicht“, sagt Hannig. „Ich benutze schon immer ein Henna-Shampoo, dagegen hat aber noch nie jemand etwas gesagt“, fährt sie fort. Eine Glasflasche habe sie zwar, allerdings sei diese immer in ihrem Spind geblieben. Den Vorwurf der Beleidigung weißt Hannig von sich.
Bäder-Sprecherin Laura Schmitt will sich zum Einzelfall nicht äußern. Sie sagt aber: „Bis es zu einem Hausverbot kommt, gibt es bei der Bremer Bäder GmbH diverse Eskalationsstufen. Dazu gehören Gespräche und schriftliche Aufforderungen.“ Eine schriftliche Abmahnung will Hannig jedoch nie erhalten haben.
Ihr Fall landete vor dem Petitionsausschuss der Bürgerschaft. Der machte einen Kompromissvorschlag: Das Hausverbot sollte aufgehoben werden, wenn Hannig sich bereit erkläre, eine Begleitperson mitzunehmen. Diesen Vorschlag lehnte sie allerdings ab. „Ich habe mich gedemütigt gefühlt“, sagt Hannig.
Letzte Instanz war die Schlichtungsstelle der Hansestadt. Diese Einrichtung hat das Ziel, die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung zu verhindern. Doch auch das Schlichtungsverfahren ist inzwischen erfolglos eingestellt worden. Die Begründung in einem Schreiben, das dem WESER-KURIER vorliegt: „Das dargestellte Verhalten der Bremer Bäder GmbH begründet Zweifel an ihrer Einigungsbereitschaft.“
Streit mit Bremer Bädern frustriert Sehbehinderte
„Zwar ist die Schlichtung aus formalen Gründen gescheitert, aber die vereinbarten Punkte wurden von der Bremer Bäder GmbH umgesetzt“, sagt Schmitt. Hausverbote würden grundsätzlich nach einem Jahr überprüft und aufgehoben, erklärt Schmitt. Mittlerweile sei auch das Hausverbot im Fall Hannig ohne Bedingungen aufgehoben worden.
Eine Entschuldigung gab es keine, sagt die Bremerin. Sie fühlt sich missverstanden und ausgegrenzt – nicht nur von den Bremer Bädern, sondern auch von der Politik. „Ich bin bereit, meinen Kopf für alle Sehbehinderten hinzuhalten“, sagt sie frustriert. Mittlerweile sei ihr klar geworden, dass sie für die Teilhabe kämpfen müsse. „Mir ist es wirklich wichtig, dass die Paragrafen im Teilhabegesetz auch wahrgenommen werden.“
Erst mal wartet sie nun aber darauf, dass der Lockdown beendet wird und die Bäder wieder öffnen. Damit sie zum Ausgleich des Alltags und seiner Strapazen wieder schwimmen gehen kann.