Olaf Latzel - ein Porträt Um Gottes Willen

Kein Bremer Pastor ist so weit gegangen wie er. Olaf Latzel hat es mit einer einzigen Predigt geschafft, dass bundesweit über ihn, seine Gemeinde und den Glauben gesprochen wird. Ein Porträt.
22.02.2015, 00:00 Uhr
Lesedauer: 7 Min
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Um Gottes Willen
Von Christian Weth

Kein Bremer Pastor ist in einem Gottesdienst so weit gegangen wie er. Keiner mittlerweile so bekannt. Und keiner so umstritten. Olaf Latzel hat es mit einer einzigen Predigt geschafft, dass bundesweit über ihn, seine Gemeinde und den Glauben gesprochen wird. Und darüber, was eine Predigt darf und was nicht. Wer ist der Mann, der für eine Krise der Bremer Kirche verantwortlich gemacht wird? Was treibt ihn an? Was will er – und warum? Ein Porträt.

Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, an die glaubt dieser Mann wie ein Kind. „Wie ein kleiner Junge, jawohl.“ Der Mann ist 47, hat studiert und spricht von Engeln wie andere über Fußball. Von Engeln und Wundern. „Ja, daran glaube ich.“ Weil sie in der Bibel vorkommen. Und was in der Bibel steht, glaubt Olaf Latzel, so heißt der Mann. Er glaubt es Wort für Wort und predigt auch so.

Der Pastor ist heute angeschlagen. Er hat kein Beffchen um den Hals, sondern einen dunklen Wollschal. „Erkältung“, sagt er und winkt ab. Andere Dinge sind ihm wichtiger, zum Beispiel die Frage, was ein Pastor seiner Gemeinde überhaupt noch sagen darf. Ob die Bibel für Menschen im 21. Jahrhundert eins zu eins interpretiert werden kann. Ob es Grenzen für einen Geistlichen gibt, ein Recht, ihm den Mund zu verbieten – und eben Engel und Wunder.

Latzel sitzt in einem weißen Ledersessel seines Büros im Gemeindehaus von St. Martini und zitiert Stellen aus der Schrift. Er redet über die Jungfrauengeburt Marias – „natürlich ist das ein Fakt“. Von der Speisung der Fünftausend – „da gab es keinen Trick oder so“. Und von sich. Er, Olaf Latzel, habe Wunder selbst erlebt.

Der Mann sitzt plötzlich nicht mehr einfach so im Sessel, er nimmt die Haltung eines Autofahrers ein. Der Rücken ist kerzengrade, seine Hände greifen in die Luft vor ihm, als hielten sie ein Lenkrad: Latzel als junger Student beim Überholen auf der Autobahn. Seine Hände drehen wild nach links und rechts, die Lenkung versagt für einen Augenblick. Und im nächsten hat er die Kontrolle wieder. „Das war der Moment, als Gott mir seine Engel geschickt hat.“

Ein Engel, da ist sich Latzel sicher, war sein Lateinlehrer. Der Pastor sitzt immer noch kerzengerade im Sessel und faltet die Hände, als wolle er beten. Noch eine Geschichte über ihn: Diesmal Latzel als Schüler, wie er vor der Klassentür kniet und Gott um Verzeihung bittet. Er ist beim Abspicken während der Abiturprüfung erwischt worden. Der Lateinlehrer steht auf einmal neben ihm und will wissen, was vorgefallen ist. Irgendwann legt er seine Hand auf den Kopf des Schülers und sagt, dass er sich nicht zu fürchten braucht. „Später ist meine Arbeit doch gewertet worden. Eine zwei plus.“ Manche, sagt Latzel, würden es Vitamin B nennen: Er gehörte wie der Lateinlehrer zum Schulchor. Der Pastor nennt es jedoch Gottes Willen. Das Privatgymnasium im Siegerland schließt er am Ende mit einem Notendurchschnitt von 1,3 ab.

Eigentlich wollte Latzel gar nicht Pastor werden, sondern Soldat. „Das fand ich gut, die Orden, die Uniformen.“ Soldatisch wirkt er auch als Pastor. Sein Haar ist kurz geschnitten seine Stimme manchmal so schneidend wie der Kommandoruf auf einem Kasernenhof, seine Statur wie die eines Athleten: breit, muskulös groß. Der Pastor misst ein 1,92 Meter. Dreimal in der Woche geht er ins Fitnessstudio und stemmt Gewichte. Doch dann, Latzel ist 17, habe Er zu ihm gesprochen. Während einer Kirchenfreizeit bei Frankfurt sei es gewesen, bei einem Gewitter. „Zwischen Blitz und Donner habe ich Seine Stimme gehört.“

Es klingt apokalyptisch, wie Latzel die Szene beschreibt. „Gott wollte, dass ich Pastor werde.“ Gott will. Das sagt Latzel oft. Auch 2007, als er nach Bremen kommt und zum ersten Mal auf der Kanzel der St.-Martini-Kirche steht, spricht er so: „Gott will, dass ich diese Gemeinde übernehme.“ So habe er sich den Mitgliedern beim Gottesdienst vorgestellt. Genauso, wie er es zuvor in seinen Gemeinden im Kur-Hessischen und im Nordrhein-Westfälischen getan habe. Bremen ist seine dritte Landeskirche. Nein, nicht als Soldat Gottes sei er hier wie dort angetreten, sondern immer als sein Diener. Er sei da, weil es um Gottes Willen gehe. Weil er Seinen Willen befolge. Mehr nicht.

Ob Gott auch wollte, dass er so predigt, wie er es am 18. Januar getan hat, da ist sich Latzel unschlüssig. „Das habe ich Ihn auch gefragt.“ Eine klare Antwort stehe noch aus. Es ist der zweite Sonntag nach Epiphanias. Der Pastor steht auf der Kanzel. Seine Predigt dauert 29 Minuten und zwölf Sekunden. Die Zeit reicht, um die Bremische Evangelische Kirche bis heute in Aufruhr zu versetzen: Ihre Führungsspitze wendet sich öffentlich ab, genauso wie Pastorinnen und Pastoren. Mitarbeiter verfassen eine Resolution und fordern disziplinarische Schritte. Der Kirchenausschuss befasst sich mit Latzels Predigt. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung eröffnen soll. Es gibt Erklärungen sowie Gegenerklärungen und eine Pressekonferenz. Auf der wird Kirchenpräsidentin Edda Bosse später sagen, dass die Worte des Predigers die Landeskirche in eine Krise gestürzt haben.

Auch wenn Latzel auf eine Antwort Gottes noch wartet, hat er sich entschuldigt. Dafür, dass er Buddha als „kleinen, fetten Herrn“ bezeichnet hat, das islamische Zuckerfest als „Blödsinn“ und die Verehrung von Gegenständen in der katholischen Kirche als „Reliquien-Dreck“. Ja, sagt Latzel, da habe er den Bogen wohl überspannt. Seine Sprache sei manchmal derb, die Gemeinde kenne das schon. Die Mitglieder hätten deshalb nicht erschrocken geschaut. Und er – weil er immer frei predige, frei von der Leber weg sozusagen, habe nicht gemerkt, dass er damit Gläubige anderer Religionen verletzt haben könnte. „Das tut mir leid.“

Latzel steht auf der Dachterrasse. Sie ist von seinem Büro aus zu erreichen. Von dort schaut der Pastor direkt auf die Schlachte, die Weser und weiter links, wenn er will, auf das Haus der Kirche: auf die Zentrale der Landeskirche, die sich von seiner Predigt und damit auch von ihm abgewendet hat. Zu seiner Predigt, sagt Latzel, stehe er nämlich nach wie vor. Es sei richtig gewesen, was er gefordert hat, wenn auch vielleicht nicht wie. Wer an Jesus Christus glaube, könne nicht an etwas anderes glauben. Folglich könne jemand, der es mit seinem Glauben wirklich ernst meine, nicht mit Juden feiern und beten, nicht mit Muslimen, nicht mit Katholiken. Die Landeskirche sieht darin einen Verstoß gegen das, wofür sie stehe: Sie will ein Miteinander der Religionen und kein Gegeneinander. Für Latzel ist es lediglich das, was in der Bibel steht.

Gott, sagt er, sei die Liebe, die Hoffnung, aber auch eifersüchtig. Darum wolle Er nicht, dass einer, der an Christus glaube, eine Moschee besuche. Was ihm als Evangelikalen mit festem Glauben droht, wenn er es dennoch machte, lässt Latzel offen. Stattdessen spricht er davon, dass er versuche, nicht in Versuchung zu geraten. Und dass er als verheirateter Mann und Familienvater – seit 16 Jahren, eine Tochter – ja auch keiner anderen Frau hinterherschaue. Darüber rede er, wenn er auf der Kanzel steht: über die Schrift, über den Glauben, über die Gebote. Und nicht etwa über Politik, Gesellschaft oder sonst irgendetwas aus den Nachrichten wie andere Geistliche. „Wer in die Kirche geht, will etwas über Kirche hören.“ Wozu sonst, fragt er, sei sie da? Das vergäßen seine Kolleginnen und Kollegen nur zu oft. Genauso wie sie vergessen hätten, was in der Bibel steht. Und darum kämen auch immer weniger Menschen zu ihnen. Zu ihm kämen dagegen viele: 300 säßen jeden Sonntag in der Kirchenbank, 150 verfolgten seine Predigt am Telefon oder im Internet.

Latzel, er sitzt wieder im Sessel, klingt stolz. Wenn er jedoch den Eindruck vermitteln sollte, sich auf etwas einzubilden, sei der falsch. Uni-Theologen, die seine Predigt im Auftrag der Landeskirche bewertet haben, kommen zu einem anderen Schluss: Latzel stelle sich in den Mittelpunkt, er mache sich wichtiger als das Thema. Silke Groos hat noch ganz andere Wörter für ihn. Sie nennt ihn „eitel“, „selbstgerecht“ und „gewissenlos“. Die ehemalige Chefin des Tierschutzvereins in Siegen fordert 2002, dass der Pastor seinen Jagdschein verliert. Latzel hat seinen eigenen Hund erschossen. Es kommt zum Prozess. Der Richter verurteilt ihn zu einem Bußgeld von 1000 Euro. Er hätte das Tier nicht gleich töten müssen, sondern ins Tierheim bringen können. Vorbestraft ist Latzel deshalb nicht.

Der Schäferhund, sagt er, sei ein guter Hund gewesen. Aber nur zu ihm. „Andere hat er attackiert.“ Darum habe er ihn erschossen. Er wollte es selbst tun. Er sei es dem Tier schuldig gewesen. Hunde hat Latzel immer gehabt. Auch jetzt hat er einen, diesmal einen Dackel. Mit Tieren ist er groß geworden. Seine Eltern – der Vater Werkzeugmacher, die Mutter Bürokauffrau – hatten zwar keinen Bauernhof im Siegerland, aber einen Stall mit 100 Hühnern. Schon als Kind wollte er Jäger werden. Dass er einer geworden ist, sieht man in seinem Büro auf den ersten Blick. Vor dem Schreibtisch ist ein Bärenfell drapiert, zwischen Sesseln und Couch stehen und liegen ausgestopfte Füchse, ein Dachs, ein Marderhund. Der Pastor spricht nicht vom Töten, wenn er schießt. Er nennt es „Beute machen“. Die Jagd sei seine Leidenschaft. „Ich bin gerne in der Natur.“

Latzel, der sich selbst für einen Provinzler hält, wollte deshalb gar nicht so gern nach Bremen, in die Stadt. Dort bekommt er 2008 noch einen anderen Namen: Frauenfeind. Er untersagte einer Gastpastorin das Predigen von der Kanzel. „Aber nicht, weil sie eine Frau war, wie mir vorgeworfen wird, sondern weil die Statuten des Gemeindevorstands es so vorsehen.“ Er habe nichts gegen Frauen auf der Kanzel und im Talar, nur müssten sie berufen sein. So wie er. Und genauso wenig habe er etwas gegen Homosexuelle, wie ihm nachgesagt werde. Ein guter Bekannter sei schließlich schwul.

Und jetzt habe man ihn auch noch zum Hassprediger gemacht, der zur Gewalt aufrufe. Er müsse vorsichtig sein bei dem Wort, aber das sei wirklich „Blödsinn“. Er frage zwar oft Gott, was wird. Aber er werde Ihn nicht fragen, ob die Staatsanwaltschaft das genauso für Blödsinn hält. Das brauche er nicht, das wisse er einfach. „Die ganze Angelegenheit wird im Sande verlaufen.“

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