Der Verein „Kulturpflanzen“ engagiert sich mit seinem Garten „Lucie“ für ein besseres Miteinander in der Stadt. Ein langfristiger Nutzungsvertrag zwischen Stadt und Initiative steht jedoch noch aus.
Die Einflugschneise liegt mitten in der Stadt. Nach ihrem Start zwischen Seniorenheim, Mehrfamilienhäusern und Ladenzeile steuern die Bienen unbeirrbar die letzten Sommerblumen in den Hochbeeten an, die in teilweise abenteuerlichen Konstruktionen auf dem Lucie-Flechtmann-Platz angelegt sind.
Das kleine Ökosystem in der Alten Neustadt, zu dem auch Komposthaufen und das hölzerne Bienenhaus zählen, gedeiht seit gut drei Jahren. So lange ist es her, dass eine Gruppe engagierter Anwohnerinnen sich Gedanken über ein besseres Miteinander in ihrem Quartier gemacht haben.
Blühender Garten als Ort der Begegnung
Den Platz, der etwa so groß wie ein Fußballfeld ist, empfanden sie damals als tote Betonwüste. An seiner Stelle wünschten sie sich einen blühenden Garten als Ort der Begegnung. Und zwar ohne Pflastersteine. Senioren aus dem Heim nebenan, Familien, Kindergruppen, Flüchtlinge, Jugendliche, Arbeiter und Angestellte der angrenzenden Neustädter Großbetriebe – sie alle sollten Lust auf den Platz und Gelegenheit zum Austausch bekommen. Beim Gärtnern, Ausruhen, Spielen und Schnacken.
Dieser „Garten für alle“ ist nun da, doch der Beton ist noch nicht weg: In provisorischen Hochbeeten wachsen Sonnenblumen, Kürbisse, Kartoffeln und kleine Bäume. Auch eine Badewanne und ein ausgedientes Bett beherbergen Pflanzen. Urban Gardening nennt es sich, wenn Hobbygärtner in Selbstorganisation gemeinsam einen leblosen Ort in der Stadt begrünen.
Das Wirrwarr aus selbst gezimmerten Holzbänken, Beeten, einem Sandkasten und einer Bühne soll ein erster gemeinsamer Nenner der Nutzer sein, bis die Stadtgärtner endlich ohne Pflastersteine pflanzen, säen und ernten dürfen.
„Man muss das Chaos aushalten und zulassen können.“
Uta Bohls, Verein Kulturpflanzen
Sie nennen den Platz liebevoll „Lucie“ und wissen genau, dass längst nicht alle Bremer den heutigen Anblick mögen. „Man muss das Chaos aushalten und zulassen können“, meint Uta Bohls dazu, die sich seit einem Jahr in dem Verein „Kulturpflanzen“ engagiert, den die Initiative mittlerweile gegründet hat. Für sie ist es ebenso wie für ihre Mitstreiterin Victoria Klemm eine ganze Lebenseinstellung, die mit dem Gärtnern verbunden ist.
Die Hoffnung auf ein besseres Miteinander in der Stadt. Der Wille, den eigenen Lebensraum selbst mitzugestalten und Verantwortung dafür zu übernehmen. Die Abkehr von der konsumorientierten Gesellschaft hin zu einer Lebensweise, die auch nachfolgenden Generationen eine möglichst intakte Welt hinterlässt. Auf dem Platz leben sie Alternativen zum Raubbau an den Ressourcen vor, indem sie beispielsweise vorrangig alte Baustoffe wie ausgediente Holzpaletten wiederverwenden.
Auf Lucie kann man lernen, wie eine Kräuterspirale aus gebrauchten Ziegelsteinen funktioniert, die sich ohne viel Aufwand versorgt werden kann. Oder darüber staunen, wie der viele Meter hohe „heiße Haufen“ – ein aus alten Fahrrädern errichteter Turm, in dem Holzschnipsel verrotten – für Wärme im angrenzenden Bibliotheks-Container sorgt.
Ein ökologisches und soziales Versuchslabor
Es ist ein ökologisches und soziales Versuchslabor, das Erfolge, aber auch Rückschläge aufzuweisen hat. Die Aktiven mussten einsehen, dass die meisten Senioren aus dem Heim nebenan aus gesundheitlichen Gründen nicht alleine auf den Platz kommen können und daher seltener als erhofft zwischen den Beeten anzutreffen sind.
Auch mit Pflanzendieben und Vandalismus haben sie sich abgefunden und sind froh, dass sich der Schaden bislang in Grenzen hält. Nur die Trinkerszene auf dem Platz macht ihnen ernsthafte Sorgen, weil deren Müll und der nächtliche Lärm der Betrunkenen in der Nachbarschaft mittlerweile für Unfrieden sorgt. Doch auch für diese Menschen soll der Garten da sein, in Zukunft jedoch – so haben sie es bei der Ortspolitik beantragt – wenigstens tagsüber wegen der Kinder auf dem Platz ohne Alkohol.
Die größte Enttäuschung ist wohl, dass das Ziel, endlich in Mutterboden statt auf Pflastersteinen zu gärtnern, immer noch in weiter Ferne ist. Bunte Pläne darüber, wie der Platz einmal aussehen soll mit Kinderspielplatz und vielem mehr, gibt es bereits. Doch noch ist kein Geld für die notwendigen Umbauten in Sicht. Auch ein langfristiger Nutzungsvertrag zwischen Stadt und Initiative steht noch aus.
Urban-Gardening-Projekt ist Neuland
Und zusätzlich muss noch ein Amt gefunden werden, das sich für den Platz in seiner neuen Gestalt dann zuständig fühlt. Das ist alles so kompliziert, weil die Stadtverwaltung mit dem Urban-Gardening-Projekt Neuland betritt, eine städtische Fläche in die Obhut von Ehrenamtlichen zu übergeben. Der erste basisdemokratische Prozess der Bremer Stadtentwicklung braucht wohl noch etwas Zeit, aber die Stadtgärtner wollen durchhalten. „Ich blicke sehr optimistisch in die Zukunft, wir werden das Geld schon auftreiben“, sagt Klemm.
Bis dahin versuchen die Aktiven, mehr Menschen auf Lucie zusammenzubringen und zum Umdenken hin zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung anzuregen. Es gibt unter anderem Pflanzentauschbörsen, Gartencafés, Vorträge, Kinderfeste, Freiluft-Kino, Flohmärkte, kleine Shows und Konzerte, bei Vollmond auch mal Abseitiges wie den „Ulmentanz“ und das Gärtnern ja sowieso, jeden Sonntagnachmittag auch gemeinsam.
Auch Beetpatenschaften haben die Stadtgärtner neuerdings zusätzlich zu den Gemeinschaftsbeeten organisiert. Und so kümmern sich Senioren und Flüchtlinge aus den umliegenden Heimen gemeinsam mit Familien und jungen Menschen ohne Balkon auch um ihre eigenen Pflanzen auf dem Platz. Sie würden sich freuen, wenn weitere Gärtner und Helfer hinzukämen, sagt Victoria Klemm zum Abschied. Und: „Auch jeder, der seine eigene Idee einmal ausprobieren möchte, ist bei uns herzlich willkommen.“