Für Schulklassen ist das Smartphone während der Unterrichtszeit tabu. Genau wie Plaudereien mit Mitschülern. Oder das ständige Verlassen des Klassenzimmers. Im Plenarsaal sehen die Schüler jedoch etwas anderes: Für Abgeordnete gehören diese Dinge zum Geschäft, es ist Teil ihrer Arbeit – zumindest in den meisten Fällen.
Doch wer genau beobachtet, dem fällt auf: So manches Mal wird die Technik zweckentfremdet, bleiben Plätze zu lange leer oder deuten die vielen Lacher im Gespräch auf Privates hin. Ein Vormittag in der Bürgerschaft. Immer wieder fliegen die Finger über das Tablet. Möglichst viele Süßigkeiten müssen in die richtige Reihenfolge gebracht werden, dann ist die Spielerin ein Level weiter.

Auch Fraktionskollegin Heike Sprehe (SPD) ist Handyspielen nicht abgeneigt.
Wer am Mittwochvormittag auf der Zuschauertribüne in der Bremischen Bürgerschaft sitzt und seinen Blick über die Reihen der Abgeordneten schweifen lässt, bleibt zwangsläufig irgendwann an dem blinkenden Tablet der Abgeordneten Valentina Tuchel (SPD-Fraktion) hängen. Faszinierend, wie sie scheinbar beides schafft: zuhören und ihrer Leidenschaft für Online-Spiele nachgehen.
Candy-Crush scheint sehr beliebt
So manch einen Zuschauer wundert dieses Verhalten. Sie schütteln mit dem Kopf. Trägt da nicht gerade Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) eine Regierungserklärung vor? Doch Tuchel, Fraktionssprecherin für Integration, lässt sich davon nicht beirren: Bis zur Mittagspause in einigen Stunden müssen noch viele Reihen bei dem Spiel Candy-Crush aufgelöst werden.
So ist es auch schon am Vortag zu beobachten, als die Stadtbürgerschaft zusammenkommt und von den Zuschauerrängen aus viele Schülerinnen und Schüler die Debatte verfolgen. Das Puzzle-Videospiel scheint besonders beliebt unter den Abgeordneten zu sein.

Piet Leidreiter (Bürger in Wut) nutzt einen Moment in der Debatte, um ein Foto von sich selbst zu schießen.
Auch Fraktionskollegin Heike Sprehe lässt sich davon ablenken, während die Redner vor ihr über die politischen Weichenstellungen der kommenden Jahre sprechen. In der Regel kommen die Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft einmal im Monat zusammen, um drei Tage lang die Themen der Stadtbürgerschaft und des Landtags zu diskutieren.
Auch Anrufe werden angenommen
Die Sitzungstage sind lang, eingeplante Pausen sollen den Abgeordneten Zeit zum Verschnaufen verschaffen. Doch während der Debatten herrscht ein ständiges Kommen und Gehen im Plenarsaal, und auch Anrufe werden in den hinteren Reihen gerne mal mitten in einem Redebeitrag angenommen.
Gegen 13.30 Uhr werden die Abgeordneten offiziell in die Mittagspause entlassen. Das Thema der Aktuellen Stunde, das sich mit Hebammen befasst, scheinen einige der Politiker zum Anlass zu nehmen, schon vorher in Richtung Speiseraum zu verschwinden.
„Wer glaubt, dass das ein Nischenthema ist, hat weit gefehlt“, kommentiert Rainer Bensch von der CDU-Fraktion die Problematik um die Geburtshelferinnen. Doch der Blick in den Sitzungssaal suggeriert etwas anderes: Zeitweise ist ein Drittel der Plätze nicht mehr besetzt.
Selfie aus der Bürgerschaft
Doch man kann sich die Zeit auch anders vertreiben, etwa mit Kippeln zu den Fraktionskollegen, die hinter einem sitzen, so wie es die FDP-Fraktionsvorsitzende Lencke Steiner und Teile der CDU-Fraktion gerne tun. Oder wie Piet Leidreiter, neues Mitglied der Bürger in Wut, der sich die Debatte über die Hebammen mit einem Selfie aus der Bürgerschaft versüßt.

Dass sich Abgeordnete während der Redebeiträge miteinander absprechen oder auch mal ein privates Gespräch führen, kommt nicht selten vor.
Dass Abgeordnete im Parlament nicht permanent den Inhalten der Debatte nachgehen, ist kein typisches Bremer Problem, wie ein Fall aus Hamburg aus dem vergangenen Jahr zeigt. Medienberichten zufolge leitete Parlamentspräsidentin Carola Veit (SPD) allen Parteien und dem Senat das Schreiben einer Besucherin weiter, die sich zuvor eine Debatte in der Bürgerschaft angeschaut hatte und verärgert darüber war, wie viel Zeit die Abgeordneten am Handy und am Laptop verbringen.
In keinem Betrieb und in keiner Schulklasse sei so etwas gestattet, schrieb die Dame damals. Und auch Bremens Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) ist dafür bekannt, viel Wert auf Disziplin während der Debatten zu legen.