Ein Video war am Donnerstag Thema im Prozess gegen Werder-Ultra Valentin S. - ein Anwohner hatte gefilmt, wie S. vor dem „Verdener Eck“ einen Neonazi schlägt. Auch ein Whatsapp-Verlauf belastet Valentin S.
Warum er denn nicht einfach versucht habe, davonzulaufen, fragt Rechtsanwalt Horst Wesemann das Opfer. Er sei schon so lange in der Fußballszene unterwegs, da laufe man in so einer Situation nicht weg, antwortet der 38-Jährige, der sich selbst den Hooligans zurechnet. Er gehe keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Und damit war am Donnerstag das Verfahren gegen die Werder-Ultras Valentin S. und Wesley S. am elften Verhandlungstag beim Herzstück angelangt – bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen vor der Kneipe „Verdener Eck“ am 19. April 2015 nach dem Nordderby zwischen Werder Bremen und dem HSV.
Die Beteiligung an dieser Schlägerei hat Valentin S. längst gestanden. Was bleibt ihm auch anderes übrig, ist man versucht zu sagen, denn die Prügeleien vor dem Verdener Eck sind bestens dokumentiert – ein Anwohner hat das Ganze gefilmt.
Das Video wurde am Donnerstag im Gerichtssaal gezeigt. Zu sehen ist zunächst eine ganze Gruppe junger Leute, die sich rennend vom Verdener Eck entfernt. Ein Mann – der 38-jährige Zeuge – verfolgt sie, steht dann allein mitten auf der Straße. Er scheint ihnen etwas hinterherzurufen. Da drehen sich etwa sieben, acht der jungen Männer um und attackieren ihn. Er wird niedergeschlagen, getreten, rappelt sich aber wieder auf und schlägt zurück. Auch dann noch, als er von hinten einen Blumenkübel über den Kopf bekommt. Gut zwei Minuten dauert die Szene, dann zieht sich der 38-Jährige zurück. Polizisten tauchen auf, die Prügelei ist beendet.
Prellungen und ein blaues Auge
Über den Blumenkübel existieren unterschiedliche Versionen. Aus Ton soll er gewesen sein, wird in rechten Kreisen kolportiert, die Polizei spricht von zwölf Kilo Gewicht. Horst Wesemann hat das Tatwerkzeug aufgetrieben und in den Gerichtssaal mitgebracht – es ist ein etwa 800 Gramm schwerer Plastikkübel. Während des Schlages befand sich darin allerdings Erde, räumt der Verteidiger ein. „Aber wir kommen vom Gewicht her lange nicht in den Bereich, von dem die Polizei spricht.“
Sein Mandant Valentin S. hat nicht mit dem Kübel auf das Opfer eingeschlagen. Das zeigt das Video ebenso deutlich wie dessen Schläge und Tritte gegen den 38-Jährigen. Für den Staatsanwalt macht es strafrechtlich aber keinen Unterschied, wer aus der Gruppe der Angreifer mit dem Kübel zugeschlagen hat. „Und man sieht sehr deutlich, dass Valentin S. von Beginn an in vorderster Reihe dabei ist, dass ihm das Spaß macht, er sich Handschuhe überzieht und dem Opfer mehrfach gezielt gegen den Kopf schlägt und tritt.“

Werder-Ultras solidarisieren sich mit Valentin S.
Der 38-Jährige trägt Prellungen, Abschürfungen, einen abgebrochenen Zahn und ein blaues Auge davon. Nach dem Vorfall habe er sich außerdem mehrfach übergeben müssen, erzählt er vor Gericht. Im Krankenhaus wurde später eine Gehirnerschütterung diagnostiziert.
Wesemann: Neonazis sollen Ultras provoziert haben
Im Verdener Eck war er, um sich das Nordderby anzuschauen, berichtet der Mann. Nach dem Spiel habe es draußen zunächst einen Tumult gegeben, von dem er aber kaum etwas mitbekommen habe. Es habe sich wohl um das „Hinspiel“ gehandelt, mutmaßt er. Was damit gemeint ist, erläutert später Wesemann: Demnach sollen bekannte Bremer Neonazis, die sich im Verdener Eck aufhielten, vorbeikommende Ultras beschimpft und provoziert haben.
Der 38-Jährige wurde erst etwa eine Stunde danach Opfer des „Rückspiels“ – Werder-Ultras zogen vor dem Verdener Eck auf und bewarfen nach seiner Aussage das Gebäude mit Steinen, Flaschen und Holzlatten. Auch dieser Aufmarsch schien beendet, als er vor die Tür trat. „Doch dann kamen erst drei von denen auf mich zu und dann eine größere Gruppe.“ Was danach passiert sei, fragt der Richter. „Dann haben wir uns geschlagen“, lautet die lakonische Antwort.
Für ihn nichts Ungewöhnliches, wie der Mann sagt. In früheren Jahren sei er häufig an solchen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen. Wohl auch deshalb hat der 38-Jährige nie eine offizielle Aussage bei der Polizei über die Attacke auf ihn gemacht, lediglich ein Gespräch mit einem szenekundigen Beamten hat es gegeben.
Marihuana und Mobiltelefone über die Gefängnismauer
Im Raum steht zudem, dass der 38-Jährige vor der Attacke gegen ihn einem Ultra eine leere Bierkiste auf den Kopf geschlagen haben soll. Dies zumindest habe Valentin S. ausgesagt, hält der Richter dem Zeugen vor. Doch der sagt erst, dass er sich nicht daran erinnern kann und verweigert dann – nachdem der Richter ihn darauf hinweist, dass er nichts sagen muss, was ihn selbst belasten würde – hierzu die Aussage.
Damit ist am Donnerstag das Thema „Verdener Eck“ abgehandelt, das Gericht widmet sich einem anderen Thema, eingebracht in Form eines Antrags der Staatsanwaltschaft. Die will Zeugen aus der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen hören, in der Valentin S. einsitzt. Es geht um das Ergebnis von Haftraumkontrollen bei ihm, die zahlreiche Smartphones zutage förderten. Und damit eine Vielzahl von Whatsapp-Nachrichten, die Valentin S. mit seinem Freund Wesley S., dem zweiten Angeklagten, ausgetauscht hat.
"Chatverkehr zeigt, wie sehr Gewalt gegen Menschen die Gedankenwelt beherrscht"
Demnach hat ihm sein Freund nicht nur Mobiltelefone, sondern auch Marihuana, Nahrungsergänzungsmittel, Mundschutz und einen USB-Stick über die Gefängnismauern geworfen. Das Marihuana übrigens nicht zum Eigenkonsum, sondern, um damit junge Mithäftlinge aus Marokko für Botengänge zu entlohnen. Unter anderem fürs Einsammeln der in Socken verpackten Gegenstände, die Wesley S. über die Mauer warf. Damit ihn selbst damit niemand in Verbindung bringen könne, wie Valentin S. seinem Kumpel wiederum per Whatsapp mitteilte.
Der Chatverkehr zwischen Valentin S. und Wesley S. zeige, wie sehr nach wie vor Gewalt gegen Menschen die Gedankenwelt der beiden Angeklagten beherrsche, erklärt der Staatsanwalt und verliest vor Gericht fast eine Stunde lang 26 Seiten mit Chats zwischen den beiden. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist vieles davon verfahrensrelevant und lässt zudem Rückschlüsse auf deren Verhalten nach Abschluss des Verfahrens zu.
Der Prozess vor dem Landgericht wird am Donnerstag, 28. April, um 9 Uhr fortgesetzt.
Untersuchungshaft wird überprüft
Die Frage, ob der Angeklagte Valentin S. in Untersuchungshaft bleiben muss, bleibt ein Streitpunkt im Prozess vor dem Landgericht. Den Antrag seines Verteidigers Horst Wesemann auf Aufhebung oder Außerkraftsetzung des Haftbefehls hat der Staatsanwalt am Donnerstag abgelehnt. Er sieht bei Valentin S. weiterhin eine „ausgeprägte Neigung zu Gewalttätigkeit“. Ein Umdenken sei nicht ersichtlich, Valentin S. gehe weiterhin von der Legitimität „guter Gewalt“ gegen Angehörige der rechten Szene aus. Zudem habe er eine Strafe von deutlich mehr als einem Jahr Gefängnis zu erwarten. Ob dem Antrag des Verteidigers trotzdem stattgegeben wird, liegt jetzt beim Landgericht. Man werde sich um eine schnelle Entscheidung bemühen, kündigte der Vorsitzende Richter Manfred Kelle an.