Bleibt alles anders. Prägnanter als in dem Grönemeyer-Albumtitel lässt sich der Zeitgeist kaum ausdrücken. Was gerade noch „in“ war, ist heute von gestern, was gestern als verlässlich und sicher galt, wird heute infrage gestellt. Moden, Sprache, Technik, Berufsalltag und menschliche Beziehungen verändern sich ständig. Das war zwar schon immer so, aber wer das schon eine Weile mitgemacht hat, könnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Zyklen kürzer werden und die Erde sich schneller dreht als früher.
Die Kunst war schon immer auch ein Spiegel ihrer Zeit, und Künstler im besten Falle sensible Seismografen, die Veränderungen früher als andere erspürten. Die Findorffer Künstlerin und Galeristin Helga Busch hat fünf Künstlerfreundinnen eingeladen, sich ihre eigenen Gedanken über die wankelmütige Welt zu machen. Das Ergebnis sind ganz unterschiedliche Wahrnehmungs- und Ausdrucksweisen und die Ausstellung „Neu verortet“, die bis Ende September in Buschs „Kleiner Galerie“ an der Eichenberger Straße besucht werden kann.
Für ihre eigenen Beiträge hat sich Helga Busch materiell „neu verortet“: Acrylglas und Lackmarker sind die Materialien, mit denen sie ihre kühlen, artifiziellen Landschaften und Stadtszenen malt. Es ist eine im wahrsten Sinne des Wortes transparente Welt: Der Strichcode moderner Scannerkassen und das leuchtturmförmige Netzempfangssymbol sind die allgegenwärtigen Ikonen. Sie können Menschen jederzeit identifizieren, orten und durchschaubar machen und legen ihr eigenes Raster über die organische Natur. Dass die Betrachter darin einen kritischen Kommentar verstehen, ist ganz im Sinne der Findorfferin.
In den Bildern von Beate Kortkamp muss man sich erst einmal zurechtfinden. Die Künstlerin aus dem Viertel malt Interieurs, die auf den ersten Blick fast fotorealistisch wirken, ihre Lieblingsmodelle findet sie im eigenen Altbremer Haus. Doch die Ergebnisse irritieren: Die Grenzen von innen und außen verschwimmen in den Reflexionen und Illusionen von Glas, Licht und Spiegeln. Die Betrachter sind die eigentlichen Hauptdarsteller und werden zum Teil der Szenerie: Es ist an ihnen, sich darin zu „verorten“ und eine sinnvolle Perspektive zu finden.
„Op-Shop-Art“ nennt Cordula Kagemann ihre Serie, und Australienkenner wissen wohl, dass man dort unter „Op Shops“ Secondhand-Läden versteht. Während diverser längerer Aufenthalte war die Künstlerin aus Weseloh eine gute Kundin und hat sich mit Materialien für ihre Papierinstallationen eingedeckt: Vor allem mit Fotos und Schnittmustern aus Frauenzeitschriften der 60er- und 70er-Jahre, in der Ästhetik einer Zeit, an die sich die Bremerin, Jahrgang 1966, allenfalls aus frühester Kindheit erinnern könnte. Das antiquierte Frauenbild inszeniert Kagemann als Miniaturen auf wachsüberzogenen Wabenpappen.
Aus Altem etwas Neues gestalten: Das ist auch die Vorgehensweise von Christiane Scholz-Stenull. In ihren Collagen arrangiert die Neustädterin Stoffreste, Nahtbahnen, Geflicktes und „Garnsterne“ zu wundersamen, poetischen Collagen der Erinnerung. Christa Siegmüller wiederum hat sich für das Ausstellungsprojekt an die alten Holzlettern in ihrem Fundus erinnert und mit ihnen moderne Grafiken gedruckt. Die Buchstaben und Zahlen, die ihre technische Funktion als Bedeutungsträger längst verloren haben mögen, bekommen ein neues Leben in der Kunst.
Die Scholle steht heutzutage als Meeres-Plattfisch auf der Liste der gefährdeten Arten. Weitaus düsterer steht es allerdings mit der Scholle in ihrem Wortsinn als Ackerland, die aus der Umgangssprache so gut wie verschwunden ist. Sprachliche Anachronismen wie diese formt Ulrike Wilkens zu kleinen Gestalten und Figurengruppen aus Speckstein, die ihren wissenden Betrachtern Vergnügen bereiten dürften. Das Spiel mit Gegenständen und Wortbedeutungen ist das Terrain der Achimerin, die hauptberuflich ganz zukunftsorientiert unterwegs ist: Die promovierte Informatikerin ist als Hochschuldozentin im Bereich Multimedia tätig. Dass auch Worte alt werden und sterben, sehen Sprachwissenschaftler übrigens mit professioneller Gelassenheit: Das war schon immer so, und es kommen ja auch immer genügend neue dazu. Das Verb „verorten“ registriert der Duden seit gerade einmal einem guten Jahrzehnt.
Die Ausstellung „Neu verortet“ kann bis zum 28. September in der Kleinen Galerie Eichenberger Straße 62 besucht werden. Öffnungszeiten sind freitags 15 bis 19 Uhr und sonnabends 13 bis 18 Uhr. Nähere Informationen über Galerie, Ausstellung und Künstlerinnen finden sich im Internet unter der Adresse www.helgabusch.de.