Der Untergang des Auswandererschiffes Johanne vor rund 160 Jahren war eines der schlimmsten Seeunglücke der damaligen Zeit. Es war allerdings auch der Anlass für die Gründung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, rund zehn Jahre später. Der Bremer Autor Dirk Böhling hat die Ereignisse von damals in einem Kinderbuch dargestellt. Am Donnerstag präsentierte er sein Werk bei einer Lesung vor Grundschülern.
Mit großen Augen und offenen Mündern lauschten rund 60 Schüler der dritten und vierten Klassen der Grundschule an der Carl-Schurz-Straße am Donnerstag der Lesung zu Dirk Böhlings neuem Kinderbuch „Der Untergang der Johanne“. In der Zentrale der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) las der Bremer Schauspieler, Regisseur und Autor den interessierten Schülern aus seinem Werk vor. „Ich bin selbst ein bisschen aufgeregt, weil ihr die ersten seid, denen ich das Buch vorlese“, begrüßte Böhling sein Publikum und erhöhte die Spannung damit erst recht.
Die Geschichte im Buch beruht auf einer wahren Begebenheit, die Böhling in eine kindgerechte Form gebracht hat. Am 6. November 1854 geriet das Auswandererschiff „Johanne“ auf seinem Weg von Bremerhaven nach Amerika in einen Sturm und strandete vor Spiekeroog. Die Inselbewohner, die das Unglück bemerkt hatten, verfügten nicht über die nötigen Rettungsmittel, um Hilfe zu leisten und mussten das Unglück hilflos beobachten. Erst Stunden später, bei Ebbe, konnten die Inselbewohner die überlebenden Schiffsbrüchigen retten.

Heute stehen die Seenotretter mit 60 Seenotkreuzern und -rettungsbooten an zahlreichen Stellen an Nord- und Ostsee zum Einsatz bereit. So können sie in kleinen und großen Notsituationen auf dem Wasser sofort Hilfe leisten. ILLUSTRATIONEN: MARGARITA ESCRIBANO RÖBER
Aber nicht alle Passagiere überlebten das Unglück. Beim Schiffbruch starben 84 Menschen. Es war eines der schwersten Schiffsunglücke, die es an den deutschen Küsten bisher gegeben hatte. Die Johanne gab den entscheidenden Anstoß für den immer lauter werdenden Ruf nach einem organisierten Seenotrettungswerk mit Stationen entlang der Küste, die im Ernstfall zum Einsatz bereit stehen. Mehr als zehn Jahre nach dem Unglück trugen die Bemühungen endlich Früchte, und es kam zur Gründung der DGzRS.
Eine traurige Geschichte, die es laut Böhling aber wert ist, schon den Kleinsten erzählt zu werden. „Auch wenn es in der Geschichte um ein schlimmes Ereignis geht, soll den Kindern damit sicher keine Angst gemacht werden“, so Böhling. „Aber es ist eine Geschichte, die schon längst kindgerecht hätte erzählt werden müssen, denn immerhin endete das Ereignis mit der Gründung der DGzRS in einer positiven Idee.“
In Böhlings Buch besuchen die beiden Kinder Karla und Paul den Vormann Klose auf seinem modernen Seenotrettungskreuzer „Hermann Rudolf Meyer“. Dieser erzählt ihnen die Geschichte vom Untergang der hölzernen Dreimastbark Johanne auf ihrem Weg von Bremerhaven nach Baltimore an der amerikanischen Ostküste. Der Text im Buch ist sowohl in Deutsch als auch auf Englisch abgedruckt und enthält ausdrucksstarke Zeichnungen der Illustratorin Margarita Escribano Röber.

Autor Dirk Böhling.
Im Anschluss an die Lesung konnten die Grundschüler sich noch einen Museumskreuzer auf dem Gelände der Zentrale anzugucken. Für den Schüler Frederic Puchert ein ganz besonderer Tag, denn zum einen ist er ein großer Schiffs-Fan, und zum anderen fiel der Besuch der DGzRS genau auf seinen zehnten Geburtstag. „Ich fand es sehr spannend, und es hat mir Spaß gemacht zuzuhören“, sagt er. „Mein Vater und ich bauen und bemalen zuhause Schiffsmodelle, und er erzählt mir viel über Schiffe. Aber die Geschichte von der Johanne kannte ich noch nicht“, erzählt Frederic Puchert.
Nachdem er und die anderen Schüler die Erzählung gehört hatten, hatten sie noch zahlreiche Fragen: Wie viele Einsätze haben die Seenotretter jedes Jahr? Woher wissen die Retter, wo gerade Hilfe benötigt wird? Und wie muss man reagieren, wenn man auf hoher See von Haien oder gar Piraten angegriffen wird?
Bevor die Kinder wieder zurück in die Schule gingen, beseitigten die Mitglieder der DGzRS alle verbliebenen Unklarheiten und beruhigten die Kinder mit der Antwort, dass sowohl Haie als auch Piraten in den hiesigen Gewässern kein wirkliches Risiko darstellen.
Morgen, Sonnabend, 20. Dezember,11 bis 12 Uhr, findet im Kundencenter des Pressehauses in der Martinistraße eine Signierstunde mit Dirk Böhling statt. Dort ist das Buch auch seit heute für 12,90 Euro erhältlich.
Die Seenotretter
Aufgrund von schweren Schiffsunglücken an der Nordseeküste – wie dem der Johanne – riefen Adolph Bermpohl und Carl Kuhlmay 1860 zur Gründung eines Seenotrettungswerkes auf privater Basis auf. 1861 gründete Georg Breusing in Emden den ersten deutschen regionalen Verein zur Rettung Schiffbrüchiger. Nach und nach folgten weitere Vereine entlang der Küste. 1865 kam es schließlich zur Gründung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Kiel. Sitz der DGzRS wurde Bremen. Heute sind 60 Seenotkreuzer und Seenotrettungsboote in Nord- und Ostsee unterwegs. Von Januar bis Oktober 2014 waren die 180 festangestellten und mehr als 800 freiwilligen Seenotretter mehr als 2000 Mal im Einsatz. Dabei haben die Besatzungsmitglieder insgesamt 749 Menschen aus Seenot oder Gefahr befreit. Seit der Gründung vor rund 150 Jahren haben die Seenotretter 81 665 Menschen (Stand: November 2014) in Not geholfen. Die DGzRS finanziert sich ausschließlich durch Spenden. Im Mai 2015 feiern die Seenotretter ihr 150-jähriges Bestehen.