Patenschaften für Geflüchtete Vom Vormund zum Freund: Eine besondere Bremer Flüchtlingsgeschichte

Ebrima Touray kam als 16-Jähriger aus Gambia nach Bremen. Sein ehemaliger Vormund, Robert Stracke, ist heute Freund und Vaterfigur für den Geflüchteten.
05.10.2019, 20:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Kornelia Hattermann

Wo ist es geblieben, das Gefühl, dass neue Mitbürger aus fremden Kulturen das Leben bereichern?, fragt sich Robert Stracke. Heute stünden vor allem die Probleme durch den Zuzug von Geflüchteten im Mittelpunkt. Er empfindet es als Gewinn, dass er 2015 Ebrima Touray kennengelernt hat. Der 16-Jährige kam als unbegleiteter Flüchtling aus Gambia nach Bremen, Robert Stracke wurde sein Vormund bis er 18 war – heute sind sie Freunde.

Für den mittlerweile 21-jährigen jungen Mann ist der 62-jährige Bremer auch eine Vaterfigur: „Robert geht mit zum Amt, er sagt mir, was gut ist, was schlecht.“ Das sei wichtig für ihn, Robert und seine Frau seien wie eigene Eltern für ihn. „Ich danke ihm und der Familie sehr“, sagt Ebrima Touray, „von Herzen.“ Die ganze Familie – mit zwei Töchtern, Strackes Mutter – gefunden zu haben, das könne er niemals mit Geld bezahlen.

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„Für mich hat es meinen Horizont erweitert“, sagt Robert Stracke, durchaus gerührt von Ebrima Tourays Worten. In jungen Jahren sei er mal in Westafrika gewesen, aber durch den jungen Gambier habe er so viel mehr über Afrika, das Leben, die Kultur erfahren. „Ich habe auch sehr viel über den Islam gelernt – und einfach einen netten Menschen kennengelernt.“

Fehlt noch die Geschichte, wie es dazu gekommen ist: Als 2015 Hunderttausende Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika nach Europa und Deutschland kamen, wollte auch Robert Stracke aus der Neustadt jugendlichen Flüchtlingen helfen. „Ich habe erfahren, dass ,Fluchtraum‘ Interessierte dabei unterstützt und dort Vorgespräche geführt“, erklärt er. Das Zentrum für Begegnung und Beratung, wie sich der Verein nennt, wusste, wo Bedarf besteht. Stracke ging in Begleitung einer Sozialpädagogin in die Wohngemeinschaft, in der der 16-jährige Jugendliche untergekommen war. „Wir haben geredet und geredet“, erzählt Stracke, die Begleiterin habe nach einer Stunde gemeint, sie könne die beiden auch allein lassen. „Es fühlte sich richtig an“, bekräftigt der Bremer.

Keine Zukunft in Gambia

Ebrima Touray, der zu diesem Zeitpunkt nur Englisch, aber kein Wort Deutsch sprach, hatte eine Odyssee hinter sich. In Gambia sah er keine Perspektive. Der Vater schlug ihn, und weil er keine Lust zum Lernen hatte, wie er zugibt, und immer nur Fußball spielen wollte, schickten die Eltern ihn auf eine Koranschule, ein Internat, in dem es darum ging, den Koran auswendig zu lernen, wie er erzählt. „Du hast hier keine Zukunft“, sei ihm klar geworden.

Die Flucht habe ihn im Geländewagen durch die Wüste geführt, Menschen, die heruntergefallen seien, seien einfach liegengelassen worden. In Libyen sei er dann mit einer Gruppe angekommen, habe in einem Geschäft gearbeitet, sei ins Gefängnis gekommen. Dort sei es grausam und gefährlich gewesen, und viele Inhaftierte seien ums Leben gekommen. In Libyen bleiben? „Unmöglich“, sagt Ebrima Touray, der über diese schrecklichen Erfahrungen gar nicht so viel sprechen möchte. Mit anderen hat er sich in einem Schlauchboot aufs Mittelmeer gewagt, ist gerettet worden und dann über Italien nach Deutschland gelangt. „Ich hatte vorher nie im Kopf, ich gehe nach Deutschland“, erzählt er. Von Hamburg aus wurde er als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Bremen weitergeleitet und traf Robert Strecke.

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Seit 2015 hat Ebrima Touray zuerst zwei Jahre Deutschkurse besucht, an der Berufsschule in Bremen Nord seinen Schulabschluss gemacht und jetzt eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker begonnen. „Es ist so schwer zu Anfang, ich konnte kein Deutsch, die komplett andere Kultur, die Papiere, die Bürokratie.“ Das wäre ohne Hilfe des Paten kaum möglich gewesen. Robert Stracke, der in der Neustadt lebt, hat mit dem Jugendlichen das Deutsch sprechen geübt, erzählt, erklärt, Hausaufgaben erläutert, Behördengänge gemacht. Da war der Weg vom Mentor zum Vormund kurz. „Als Vormund ist das gar nicht so viel Arbeit“, sagt Robert Strecke, „mal zum Elternabend gehen, Unterschriften leisten.“ Da sei die Hilfe bei den Hausaufgaben viel arbeitsintensiver gewesen.

Außerdem handele die deutsche Bürokratie nicht klug und binde viel Energie auf ­beiden Seiten, kritisiert Stracke, der selbst in der Bildungsbehörde arbeitet. Immer wieder bekam der Jugendliche nur kurze Duldungszeiten, auch während der Ausbildung, das sei sehr belastend gewesen. Und unnötig, weil oft nur Formsache. Es müsse doch darum gehen, den jungen Menschen die Sprache und ­Bildung und Ausbildung zu ermöglichen, betont Strecke. „Seit 2018 habe ich einen Aufenthaltstitel für drei Jahre“, erklärt Ebrima Touray.

Formulierungen zu kompliziert

Viel Zeit haben die beiden bereits mit dem Projekt „Führerschein machen“ verbracht. Zwei Mal hat der junge Mann die theoretische Prüfung nicht geschafft, „die Formulierungen sind fürchterlich“, sagt Robert Stracke. Da könne man verrückt dran werden. Das Handwerk würde nach Fachkräften rufen, die dann ja meist auch den Führerschein brauchten, und dann gestalte man die Prüfung in solch einer – auch für viele Muttersprachler – umständlichen Sprache.

In der Freizeit geht es lockerer zu, der junge Mann aus Gambia und die Bremer Familie kochen gemeinsam, lernen neue Gerichte kennen, haben sich gemeinsam die Gegend angekuckt, Fahrradausflüge unternommen. Ein Höhepunkt war die gemeinsame Fahrradfahrt der beiden Männer nach Berlin. Sie haben auch gemeinsam die Stadtteiloper in Tenever besucht.

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Neben der Familie Stracke hat Ebrima Touray kaum Kontakt zu Deutschen. „Wo sind die Initiativen und Engagierten von damals?“, fragt Robert Stracke. Es werde heute leider wenig darüber geredet, was beim Zuzug von Geflüchteten gelungen sei, was erfreulich und erfüllend. Stattdessen gebe es viel Bürokratie und negative Betrachtung.

Genervt war Ebrima Touray davon, dass er beinah jeden Tag am Hauptbahnhof von der Polizei kontrolliert worden ist, während er zur Schule nach Bremen Nord fuhr. „Warum immer ich?“, habe er sich gefragt. Zwei Jahre lang. Heute sagt er, dass er zu 99 Prozent in Bremen zufrieden ist, er hat Kontakt zu seiner Mutter, auch zu seinem Vater. Wieder in Afrika zu leben, „daran denke ich nicht.“ Und was sind seine Ziele? „Die Sprache verbessern, die Ausbildung schaffen und die Bildung erweitern“, sagt der 21-Jährige. „Das möchte ich nie wieder verlieren.“

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