Woher hat das Kaisenhaus eigentlich seinen Namen? Richtig und wenig überraschend ist, dass der Bremer Altbürgermeister Wilhelm Kaisen (SPD) etwas damit zu tun hat. Kaisen hob unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg ein Gesetz auf, das das Wohnen in Parzellengebieten zuvor verboten hatte. Heute ist dieser Akt als Kaisenerlass bekannt, den der Bürgermeister angesichts der Wohnungsnot – 60 Prozent des Bestandes waren im Krieg zerstört worden – tätigte. Der Erlass erlaubte „den Bau neuer oder die Vergrößerung vorhandener Notwohnungen in Kleingärten“. Falsch ist, dass es dieser Erlass war, der den daraufhin geschaffenen Notunterkünften ihren Namen verlieh. Die Historikerin Kirsten Tiedemann erwähnt in ihrem Buch zur Geschichte der Bremer Kaisenhäuser, dass die Bezeichnung erst seit Mitte der 1950er-Jahre im Umlauf ist.
„Es wurde viel zusammengeschustert“
Zu diesem Zeitpunkt, so hat es Tiedemann herausgearbeitet, lebten schätzungsweise 82.000 Bremer und Bremerinnen dauerhaft in Parzellengebieten. In den zehn Jahren nach dem Krieg hatten sie etwa 25 Millionen Mark investiert, um ihre Unterkünfte zu bauen und stetig zu verbessern. Unmittelbar nach dem Krieg war Baumaterial noch Mangelware. Statt des kaum verfügbaren Zements nutzten die Bauherren vorwiegend Kalk und die Ziegelsteine zerstörter Gebäude. Während sich das Leben im Sommer nach Draußen verlagerte, stellte der Jahrhundertwinter 1946/1947 die Bewohner mit Temperaturen von bis zu minus 30 Grad in beengten Verhältnissen vor eine besondere Herausforderung. Um die Häuser wind- und wetterfest zu machen, mussten sie improvisieren.
„Es wurde viel zusammengeschustert“, sagt Peter Stolz. Das sei auch der Grund, warum es die eine Optik des Kaisenhauses nie gegeben habe. Stolz ist Vorsitzender eines Vereins mit langer Tradition und langem Namen: der Interessengemeinschaft der Parzellenbewohner und Gartengrundstückseigentümer. Der Verein setzt sich für die Kaisenhäuser und deren verbliebene Bewohner ein. „Etwa tausend sind es heute noch“, schätzt Stolz. Laut Baubehörde werden in Bremen noch 360 Kaisenhäuser bewohnt (Stand: Juni 2020). Der geplante Abriss verfallener Häuser geht nur langsam voran.
Dass überhaupt Kaisenhäuser die Jahrzehnte überstanden haben, ist angesichts deren Geschichte fast schon etwas überraschend. Der Kaisenerlass galt lediglich bis 1949. Danach brauchte es eine Baugenehmigung, von denen Kirsten Tiedemann bei ihrer Recherche nur wenige gefunden hat. Ob die Bauten nicht genehmigt wurden oder die Bewohner keine Anträge stellten, sei unbekannt – gebaut wurde jedenfalls trotzdem. Die Baubehörde um den damaligen Senator Emil Theil (SPD) hingegen wollte unbedingt vermeiden, dass aus der Not- eine Dauerlösung wurde. Eine unkontrollierte Ansiedlung ließe sich später kaum rückgängig machen und würde die Stadtplanung erschweren, so die Befürchtungen. Die Behörde ging teilweise hart gegen illegale Bauten vor.
Unterstützung fanden die Parzellenbewohner bei Wilhelm Kaisen, der die Selbsthilfe der Bremer schätzte, wobei er sich auch auf deren Bautradition und das Bremer Haus bezog. Im Januar 1955 fasste die Bürgerschaft eine für die Bewohner positive Entscheidung: Bereits bezogene Wohnbauten auf den Parzellen erhielten eine zeitlich unbegrenzte Duldung. Wer sein Haus verließ, sollte zudem finanziell entschädigt werden. Und in diesem Zusammenhang, schreibt Tiedemann, soll Kaisen den Bewohnern persönlich versprochen haben, dass sie in ihren Häusern bleiben können. Dieses Versprechen sieht die Historikerin als Ursprung der Bezeichnung Kaisenhaus.

Namensgeber Wilhelm Kaisen mit seinem Ochsen "Heinrich".
Es ist ein Versprechen, das über die Jahrzehnte hinweg erneuert wurde und im Wesentlichen bis heute Bestand hat. Gleichzeitig ist das Wohnen in Kleingartengebieten spätestens seit Anfang der 1960er-Jahre ein kalkuliertes Sterben auf Zeit gewesen. Eine ursprüngliche Idee, Teile der besiedelten Kleingartengebiete in Wohngebiete umzuwandeln, verlor schnell an Schwung. Sechs dieser sogenannten Gartenheimgebiete waren im Flächennutzungsplan von 1957 vorgesehen. Angesichts des prognostizierten Bevölkerungswachstums änderte dann aber auch Kaisen seine Meinung: kein Platz für Dauerkleingärten. Im nächsten Flächennutzungsplan waren nur noch drei Gebiete ausgeschrieben.
Auch der spätere Bürgermeister Hans Koschnick (SPD) hatte andere Prioritäten, wollte es sich aber Mitte der 1960er-Jahre mit den 23.000 verbliebenen Parzellenbewohnern nicht verscherzen. Noch im Jahr 1970 – 15 Jahre nachdem die Idee entstanden war –vermied er eine offizielle Absage an das Gartenheimgebiet Weidestraße. Endgültig besiegelt war zu diesem Zeitpunkt schon das Ende für ein Gebiet in Findorff. Kaisens Versprechen allerdings hat auch Koschnick nicht angetastet. 1974 versicherte er einer eng definierten Gruppe von Parzellenbewohnern das lebenslange Wohnrecht. 2002 wurde das sogenannte „Auswohnrecht“ auf Bewohner ausgeweitet, die vor 1974 eine Parzelle bezogen haben.
„Es werden natürlich immer weniger“, sagt Peter Stolz über die heute verbliebenen Bewohner. Vor allem rechts vom Kleingartengebiet Waller Fleet gebe es noch eine größere Gruppe. Der Zeitpunkt werde kommen, an dem es um den Erhalt der Häuser geht. Das Kaisenhaus als Denkmal schützen zu lassen, sei nicht möglich. „Die Idee hatte vor ein paar Jahren schon mal jemand, aber da lässt sich nichts machen, weil es ja kein einheitlicher Baustil gewesen ist“, sagt Stolz. Eine Nutzungsform soll her, die zumindest Übernachtungen offiziell zulässt. Denn: Die Kleingartenverordnung sieht vor, dass der Parzellenbewohner abends wieder nach Hause fährt. „Dafür sind die teilweise 60 Quadratmeter großen Häuser doch verschenkt“, meint Stolz.
Ein Vorschlag ist deshalb, einzelne Flächen in Wochenendgebiete umzuwandeln. Diese Idee stamme ursprünglich sogar aus der Behörde selbst, sagt Stolz. „Aber die kommen nicht in die Puschen“, bemängelt er. Tatsächlich hatte eine Initiative in Findorff schon 2010 Interesse an dieser Nutzungsform bekundet. Stolz vermutet, dass das Zögern der Behörde ähnliche Gründe wie in der Vergangenheit habe: sich nicht in ihrer Planungsfreiheit einschränken zu lassen. Eine Aufwertung zum Wochenendgebiet würde es Stolz zufolge erschweren, diese Flächen später wieder für eine mögliche gewerbliche Nutzung umzuwandeln. Auf Anfrage des WESER-KURIER teilte eine Behördensprecherin mit, dass bislang noch kein Wochenendgebiet entstanden ist. Vier offene Anträge würden der Behörde aktuell vorliegen, vorrangig aus dem Bremer Westen. Wann darüber beschieden werde, blieb unbeantwortet. Die Umwandlung sei mit höheren Anforderungen verbunden – zum Beispiel bei der Ver- und Entsorgung. Die daraus entstehenden Kosten würden bei den Forderungen häufig nicht bedacht, so die Sprecherin.