Die Zahl der Menschen, die 2020 in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, ist gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Für den Bereich Bremen gab es laut Innenbehörde 38 Prozent weniger Anträge als 2019, ähnlich lauten die Zahlen in Niedersachsen. Was auch, aber nicht nur an Corona liege, kommentierte Bundesinnenminister Horst Seehofer. Denn die Zahlen sinken das vierte Jahr in Folge. „Unsere Maßnahmen zur Steuerung der Migration wirken. Wir sind auf dem richtigen Weg.“
Das sieht der Flüchtlingsrat Bremen anders. Nicht die Zahl der Flüchtlinge sei zurückgegangen, sondern „die Zahl der Geflüchteten, die es trotz der oft tödlichen EU-Grenzen bis nach Deutschland schaffen“, sagt Holger Diekmann, ein Sprecher des Gremiums. „Die Zahl der Menschen, die unter unerträglichen und lebensgefährlichen Bedingungen in den Lagern an Europas Rändern festgehalten werden, steigt dagegen an.“ Ebenso wie vermutlich die Zahl der Menschen, die auf dem Mittelmeer und anderen Fluchtwegen ums Leben gekommen ist, so Diekmann.
Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl sieht die geringeren Zahlen in erster Linie als Folge der „rigorosen Grenzabriegelung“. Sie fordert, die „Elendslager“ auf den griechischen Inseln zu evakuieren. „Die Menschen, die dort lebten, brauchen einen Zugang zu Asylverfahren in der EU“, sagt Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt.
102.581 Menschen haben im vergangenen Jahr erstmals einen Asylantrag in Deutschland gestellt. 2019 waren es 142.509. Nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel werden sie auf die Bundesländer verteilt. Bremen nimmt demnach etwa ein Prozent der Flüchtlinge auf, Niedersachsen rund zehn Prozent. Die Bremer Innenbehörde verzeichnet für das vergangene Jahr 1038 Erstanträge auf Asyl (2019: 1683), in Niedersachsen waren es 10.994 (2019: 13.741).
Nicht nur Asylbewerber aufgenommen
Trotz des deutlichen Rückgangs der Zahlen stehen derzeit in Bremen keine Flüchtlingsunterkünfte leer, berichtet Bernd Schneider, Sprecher der Sozialbehörde. Im Gegenteil, man habe die Jugendherberge und das Alte Zollamt zusätzlich in Betrieb genommen – dies vor allem aus zwei Gründen: Zum einen würden die Einrichtungen wegen Corona weniger dicht belegt, zumindest die mit Gemeinschaftsküchen und gemeinschaftlichen Sanitäranlagen. Zum anderen werden nicht nur Asylbewerber aufgenommen. „Daneben gibt es auch Duldungssuchende, also Menschen, die keinen Asylantrag stellen, sowie Familiennachzüge, die wir ebenfalls in unseren Unterkünften unterbringen.“
Entschieden wurden 2020 in Bremen 1791 Asylfälle, etwas mehr als die Hälfte (50,5 Prozent) positiv. Damit liegt Bremen über dem Bundesdurchschnitt von 43,1 Prozent. Abgelehnt wurden 570 Anträge, weitere 316 fielen unter die Rubrik „sonstige Erledigungen“, worunter vor allem Entscheidungen nach dem sogenannten Dublin-Verfahren zu verstehen sind, in denen ein anderes Mitgliedsland der EU zuständig ist.
Die meisten der Flüchtlinge – ob deutschlandweit, ob in Bremen oder in Niedersachsen – kamen aus Syrien, aus Afghanistan und aus dem Irak. Knapp 55 Prozent aller Asylanträge wurden von Menschen aus diesen drei Ländern gestellt, etwa ein Drittel aller Anträge entfiel auf Flüchtlinge aus Syrien. An vierter Stelle der Herkunftsländer steht die Türkei.
Auch im vergangenen Jahr war der Anteil der männlichen Antragssteller in Deutschland mit knapp 58 Prozent höher als der der weiblichen. Insgesamt waren mehr als drei Viertel von ihnen jünger als 30 Jahre, mehr als die Hälfte minderjährig und etwa ein Drittel jünger als vier Jahre.
Junge Menschen bleiben nicht unbedingt in Bremen
Rückläufig ist in Bremen auch die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Ausländer. In den ersten drei Quartalen 2020 kamen monatlich im Schnitt 28 nach Bremen, berichtet Behördensprecher Schneider. 2019 waren es 39 pro Monat, 2018 wurden 50 registriert. „Es ist aber nach wie vor so, dass junge Menschen nicht unbedingt in Bremen bleiben.“ Die Auswertung für das Gesamtjahr liege noch nicht vor, aber in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 seien 44 der Jugendlichen nicht in der Hansestadt geblieben.
Deutschlandweit gibt es derzeit laut Bundeskriminalamt (BKA) 1579 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die verschwunden sind. Sie gelten als vermisst, wobei die Gründe für das Verschwinden meist harmlos seien. Nach Angaben des BKA versuchen sie, zu ihren Eltern, Verwandten oder Bekannten in anderen deutschen Städten oder im Ausland zu kommen.