„Ich habe mir heut’ ein Bein ausgerissen. Ich werde es vermissen, aber ganz war ich eh nie.“ So etwas singt Dad Horse Otten und es taugt ganz gut zur Beschreibung seiner seltsam schrägen Country- und Gospelmusik. Ringelnatz’ Satz „Etwas schief ins Leben gebaut“ ist wohl für so jemanden erfunden worden. Als The Dad Horse Experience ist der 51-jährige Bremer mit einem Sound unterwegs, der mehr als verwegen ist.
Mit 39 Jahren haben Sie angefangen Musik zu machen. Da darf man wohl von einem Spätberufenen sprechen, oder?
Dirk Otten: Vielleicht ist die Musik auch nur ein Schritt hin zu dem, was schon immer an Berufung da war. Ich habe mir Zeit gelassen, das zu definieren. Bis ich 75 Jahre alt bin, will ich meine Songs spielen, danach mache ich vielleicht etwas ganz anderes. Im Moment ist das alles Vorarbeit für später. Das ist aber nur ein Plan, damit ich mich jetzt beruhigen kann und die Dinge, die ich mache, einordnen kann.
Wie würden Sie beschreiben, was Sie gerade machen?
Ich versuche nicht anders zu wirken als ich bin. Ich singe Gospel, um frei zu sein, dafür muss man nicht so tun als sei man ein schwarzer Baumwollpflücker. Mir ist egal, wie es klingt, ich versuche mein Bestes. Und wenn man sich nicht erst lange überlegen muss, wie man etwas macht, weil man es sowieso nur auf eine Art kann, dann ist das durchaus von Vorteil. Wer nicht viel hat, so wie ich, der muss halt immer alles geben.
Die Ergebnisse waren bislang meist sehr karg und knapp. Auf dem aktuellen Album „Eating Meatballs On A Blood-Stained Mattress In A Huggy Bear Motel“ klingt das zuweilen anders als bisher. Warum?
Mir ging es im vergangenen Jahr ziemlich schlecht. Ich hatte die 50 überquert, die Uhr tickt gefühlt rückwärts. Dann kamen viele Probleme im Außen dazu: Ablehnung von allen Seiten, die Beziehung lief nicht, ich konnte nicht mehr in die USA einreisen, immer hässliche Briefe vom Vermieter – das hat sich dann zu Panikattacken zusammengeklumpt. Das kannte ich gar nicht mehr; seitdem ich aufgehört habe, Drogen zu nehmen und Alkohol zu trinken, bin ich psychisch einigermaßen stabil. Ich war außer mir und hatte eine ganz heftige Zeit, aber das Gute daran war, dass ich schon ein dreiviertel Jahr zuvor geplant hatte, eine neues Album aufzunehmen. Als es mir am schlechtesten ging, bin ich nach Südfrankreich gefahren, um die Platte aufzunehmen – innerlich völlig aufgemischt. Das war für den kreativen Prozess gar nicht schlecht. Eine super Fügung, eigentlich das Beste, was mir passieren konnte.
Mit „Rain“ findet sich auf dem Album mit einmal ein 17-Minuten-Stück. Wie konnte das passieren?
Ich hatte am Anfang nur eine Melodie und einen dummen Text, mehr war da nicht. Ich habe dann mit den ganzen Möglichkeiten eines modernen Studios begonnen, daran zu arbeiten. Ich bin morgens um 6 Uhr aufgestanden und habe angefangen, Texte zu schreiben, die wir dann ab mittags aufgenommen haben, nachts haben wir das dann hin- und hergeschoben und den nächsten Tag weiter so. Wir haben Teile ausgesucht, verworfen, neue hinzugefügt – im Grunde war das ein sehr malerisches Arbeiten. So wurde es immer mehr und mehr, das Stück hat sich von selber geschrieben über drei Wochen. Ich habe immer gedacht, „beschränk dich!“ Ich hasse eigentlich lange Lieder, aber irgendwann kam ich an den Punkt, wo klar war: Das muss ich jetzt so machen, einfach weil ich es machen kann. Das war so wie bei Hulk, der erst ganz normal aussieht und dann ist er plötzlich vier Meter groß.
Können Sie es heute selber ganz hören?
Am Anfang bin ich dabei eingeschlafen. Ich war so im Stress im Studio, dass ich immer irgendwann weggenickt bin. Aber mein Produzent meinte, das ginge schon, das sei gar nicht so langweilig. Ich habe ihm geglaubt, denn er war immer mein größter Kritiker. Das mit auf die Platte zu nehmen, war das Mutigste, was ich bislang gemacht habe.
Auch dieses Moment der Kooperation mit anderen ist neu.
Eigentlich ist es nicht meine Art, mit Leuten zusammenzuarbeiten und mich direkt inspirieren zu lassen. Ich bin ein einsamer Einzelgänger. Weil ich so spät angefangen habe, muss ich mich einfach sehr zusammenreißen, um meinen Kram auf die Reihe zu bekommen. Wenn ich mich auch noch auf jemanden einlassen soll, dann ist das schnell zu viel. Ich muss erstmal bei mir bleiben und mein Ding durchziehen. Ich bin überhaupt kein Session-Musiker oder so. Wenn jemand sagt, „Hey, lass uns jammen“, dann läuft es mir schon kalt den Rücken runter. Da kann ich nichts mit anfangen. Ich bin schon froh, wenn ich mein Zeug gebacken kriege. Aber nach zehn Jahren gibt es irgendwann kein Wachstum mehr alleine, also habe ich mich hier und da ganz bewusst auf andere eingelassen und sie in mein Universum eingeladen.
Wie waren die Anfänge von diesem Universum, der Urknall sozusagen?
Das weiß ich gar nicht mehr genau, es muss so 2003 gewesen sein. Da habe ich so etwas wie einen inneren Sog gespürt, selber Musik machen zu wollen. Inspiriert haben mich auf jeden Fall die „American Recordings“ von Johnny Cash: ein Mann, seine Gitarre, traurige Lieder. Der ganze Schmerz und das so cool – das hat mich beeindruckt. Ich dachte, wenn ich nur Gitarre spielen könnte, dann kann ich das vielleicht auch. Traurig genug bin ich ja. Das war gar kein Problem, aber das mit der Gitarre war sehr schwierig. Sechs Saiten und so ein dicker Hals – das habe ich einfach nicht hinbekommen. ich habe mir dann ein einfacheres Instrument gesucht und bin beim Banjo gelandet. Da kann man ganz schnell Akkorde lernen und nach einem Jahr konnte ich schon fünf. Dann habe ich erstmals alle Lieder nachgespielt, die mir traurig genug waren. Mir war vorher gar nicht bewusst, wie viele Lieder man mit fünf Akkorden spielen kann.
Wie kamen Sie dann dazu, mit Ihrer Musik aus dem Keller raus auf die Bühnen der Welt zu gehen?
Die Leute dachten, wenn einer Banjo spielt, muss das wohl Country sein. Ich habe aber auch Lieder von Abba gespielt, es kam aber keiner auf die Idee zu sagen, ich mache 80er-Jahre-Disco. Aber ich kam in Kontakt zu einer Szene, die auch mit Gospel und Rockabilly zu tun hatte und das fand ich ziemlich cool. Ich hatte eine Band, die Pale Pony Brothers, mit der ich auch mal hier und da auf einer Bühne stand und da habe ich Blut geleckt. Aus einer Vielzahl von Gründen habe ich geguckt, ob ich das auch alleine könnte. Das war noch mal eine große Herausforderung. 2006 habe ich zwei Songs in meinem Schlafzimmer aufgenommen und ins Internet hochgeladen. Dafür gab es sehr viel positives Feedback, vor allem aus den USA.
Was hat die Menschen dort, an der Wiege des Gospels, an Ihrer sehr spröden, norddeutschen Spielweise gereizt?
Die fanden es interessant, was ich mit ihrer Tradition mache. Hier haben die Leute das nicht so direkt erkennen können. Die dachten immer, das sei komisch und konnten oft nicht erkennen, dass es im Grunde musikalische Trauerarbeit ist. Ich war mir selber nicht sicher, ob es überhaupt richtig ist, was ich da mache, aber diese Rückmeldungen haben mich bestätigt und angetrieben. Es war damals außerhalb meines Erwartungshorizonts und ich hatte es auch nie darauf angelegt, damit jemals in den USA aufzutreten. Aber als ich das dann gemacht hatte, war das wirklich der Durchbruch für mich selber. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es für andere Leute überhaupt relevant sein könnte. Große Überraschung. Das war für mich das Signal, es als professioneller Musiker zu versuchen – so gut wie ich es kann und so weit mich der Weg trägt.
Wie ist diese Umschreibung Kellergospel entstanden?
Das habe ich mir selber ausgedacht. Es war klar, dass es Gospel ist, aber eben kein jubilierender mit schwarzen Chören, der die Leute empor trägt, sondern da ist viel Scheitern und Unbeholfenheit dabei. Es ist ein Gospel des Trotzes: Ich hänge mich nicht auf, zumindest nicht gleich, sondern singe vorher noch ein Lied. Keller ist einfach der Gegensatz zur Kirche: Da wo man alleine im Dunkeln hockt und verzweifelt ist. Da, wo das Licht eigentlich viel mehr gebraucht wird als in der Kirche, wo es durch die hübschen Fenster scheint. Und es ist ein deutsches Wort, das klar macht: Ich mache da etwas eigenes und keine Kopie von etwas anderem. Europäische Blüten auf amerikanischen Wurzeln.
Das gibt einen Exoten-Bonus?
Ja, absolut, das ist eben ungewöhnlich. Viele deutsche Bands finden amerikanische Musik gut und kopieren sie eben. Das könnte ich nicht mal, dafür bin ich gar nicht gut genug. Ich nehme das und mache etwas anderes damit und das ist sicher sehr deutsch. Mein Akzent ist deutsch, meine verquere Gedankenwelt, dieses ständige Durchringen sind es wohl auch. Die Amerikaner sagen einfach „God bless you!“ Wir fragen uns immer, macht er das denn auch wirklich?
Aber die spirituelle Ebene ist im Keller dieselbe wie in der Kathedrale?
Das ist die Basis von all dem. Ich mache nicht Musik aus Langeweile oder weil ich denke, ich könnte das so gut, sondern ich mache sie, weil ich sie machen muss. Das ist mein Weg, meine spirituelle Existenz mit Sinn zu füllen. Ich bin da eher ein Gezogener und weniger ein Getriebener.
Perfektion ist dabei nebensächlich?
Die Navajo weben in ihre Teppiche immer absichtlich einen falschen Faden rein. Es muss immer ein Fehler dabei sein, denn wenn es perfekt wäre, wäre es Gotteslästerung. Wenn ich selber eine Band höre, die supergut spielen kann, dann bin ich meist nach zehn Minuten gelangweilt. Ich weiß, was passieren wird: Die werden alles super hinbekommen. Aber im Zirkus ist es ja auch dann am aufregendsten, wenn man sich fragt: Schafft der das da oben am Trapez wirklich? Die spielen mit der Lust an der Angst und deuten manchmal so einen kleinen Fehltritt extra an. In der Musik ist das anders, da versucht jeder, der es besser kann, es auch besser zu machen. Ich verstehe diesen Antrieb, aber für mich ist das nicht interessant. Da ist nichts Kathartisches für mich dabei. Aber wenn jemand ein Solo spielt und der letzte Ton schon hart auf der Grenze war, eigentlich schon falsch, dann macht mich das viel neugieriger auf den nächsten, als wenn er da eine wunderschöne Abfolge hinlegte. Alles, was imperfekt ist, wo man merkt, da kämpft sich einer durch ein Stück, ist doch spannend. Es berührt mich so sehen, wenn jemand etwas macht, das er eigentlich gar nicht kann, aber er macht es trotzdem. Das macht mir selber Mut.
Das Gespräch führte Lars Fischer