
Der Campus der Jacobs University in Grohn ist schon eine kleine Welt für sich: Seit 2001 tummeln sich auf dem ehemaligen Kasernengelände mehr als 1400 Studenten aus gut 100 Nationen. Dass sie dort in einer „Bubble“, einem geschlossenen akademischen Raum leben würden, war auch den Verantwortlichen klar. Um den Studenten zu ermöglichen, ihre Umgebung, Bremen und die deutsche Kultur besser kennenzulernen, wurde das Host-Family-Programm, das Gastfamilien-Programm eingerichtet.
„Seit dem ersten Jahrgang vermitteln wir Patenschaften“, sagt Connie Bröker. Gemeinsam mit Jutta Eckhoff und Manfred Kroll bringt sie ehrenamtlich Studenten und Bremer zusammen, schafft Brücken zwischen Kulturen und vermittelt ein Stück Heimat in der Ferne.
„Meine Mummy“, sagt Andrew und schlingt seine Arme um Tinka Tiedje. Soeben hat er noch seinen Hut in die Luft geworfen, mit 402 weiteren Graduierten. Vor drei Jahren kam der New Yorker nach Bremen. Am Flughafen stand Tinka Tiedje mit ihrer Familie und Gastsohn Jack. Ein schönes Gefühl, wenn man erwartet wird. Anstatt gleich auf den Campus zu ziehen, blieb Andrew zwei Wochen im Haus der Familie. „Das war mein Crash-Kurs in Deutsch“, sagt er und lacht. Seine „echte“ Mutter und seine „echte“ Schwester sind auf dem Weg nach Schönebeck – am Abend wird in der Strandlust die Graduation mit einem Ball gefeiert.
„Ich war als Jugendliche selbst ein Jahr in der Nähe von New York und habe bis heute ein tolles Verhältnis zu meiner Gastfamilie“, erzählt Tinka Tiedje. Als Jack, der Sohn ihrer Gastschwester, nach Deutschland kommen wollte, sei es für sie selbstverständlich gewesen, dass er zu Familie Tiedje kommt. „Um für ihn einen Freund zu finden, habe ich bei der Jacobs University nachgefragt – so kam Andrew zu uns“, sagt sie. Für sie war es schon damals klar, dass sie die Gastfreundschaft, die sie selbst erfahren durfte, weitergeben würde.
Als Jack sich dann wieder auf den Weg nach Hause machte, kam Tochter Neele ins Spiel. Warum nicht eine Studentin für sie suchen? Das ist nun Katherine. Sie studiert Mikrobiologie und Biochemie. „Für mich stand fest, dass ich im Ausland studieren will. Bei meiner Suche konzentrierte ich mich auf eine Uni mit sehr guten Laboren und Forschungen und fand die Jacobs University“, sagt sie. Dass sie nicht nur auf dem Campus leben, sondern auch Land und Leute kennenlernen wollte, war ihr ebenfalls wichtig. Deswegen meldete sie sich beim Host-Family-Programm an.
Mit Tinka Tiedje hat sie es gut getroffen. Freund und Freundin von Katherine und Andrew sind bei ihr ebenso willkommen, wie die beiden, wenn sie mal eine Auszeit vom Campusleben haben wollen. Dass die beiden sich bei Tiedjes wohlfühlen, ist offensichtlich. Gern sitzen Katherine und Andrew im Garten und essen Kuchen. „Glücklicherweise haben wir hier Platz genug, sodass die beiden auch hier wohnen können und sich keiner in seiner Privatsphäre gestört fühlen muss.“ Da passt es gut, wenn Katherine für die Zeit ihres Praktikums beim Max-Planck-Institut ganz bei Tiedjes einzieht, anstatt auf dem Campus zu bleiben.
Es gehe nicht vorrangig darum, für die Studenten Platz in den eigenen vier Wänden einzurichten, betont Connie Bröker. Viel wichtiger sei es, Ansprechpartner zu sein und das ganz normale Leben zu vermitteln. Rund 500 Familien erfüllen bereits diese Aufgabe. „Familie ist ein bisschen irreführend. Paten können alle sein, ob jung, alleinstehend oder als Familie.“
Auch Annette Gröne aus Oberneuland ist eine Wiederholungstäterin in Sachen Patenschaft. Als sie in der Zeitung las, dass es an der Jacobs University ein Host-Family-Programm gibt, fielen ihr ihre Wanderjahre ein. „Heutzutage gibt es Handys, Facetime und immer eine Möglichkeit, schnell mit den Kindern Kontakt aufzunehmen. Als ich vor 30 Jahren durch die Welt reiste, Südamerika und die USA erkundete, haben meine Eltern manchmal tagelang nicht gewusst, wo ich war“, erzählt sie. Heute, als Mutter, kann sie sich vorstellen, wie viel Ängste ihre Eltern ausgestanden haben müssen. Sie selbst hätte sich damals so manches Mal eine Anlaufstelle gewünscht. „Ich glaube, dieses Gefühl hat den Ausschlag gegeben. Ich dachte mir, wer in ein fremdes Land kommt, freut sich über einen Ansprechpartner, und das ist es auch, was die Studenten in erster Linie suchen.“
Die Grönes starteten vorsichtig. Zunächst begleiteten sie ein Patenkind für ein Semester. Nett für den Anfang, aber schnell wurde klar: Kaum hat man sich aneinander gewöhnt, steht die Abreise bevor. „Der Kontakt zu den Studenten bereichert das Leben so sehr, dass es Sinn macht, sich auf drei Jahre festzulegen“, ist Annette Gröne überzeugt. Ihre „Kinder“ kamen aus den USA, China, Ruanda und von Mauritius – und alle hatten unterschiedliche Bedürfnisse.
Die einen nutzten das Familienleben als Sprungbrett und Rückzugsort, die anderen freuten sich auf Familienfeiern und schreiben noch heute ihren „Eltern in Deutschland“. „Als Jean-Luc aus Ruanda kam, konnte er mit unserer Bettwäsche gar nichts anfangen und hatte natürlich auch keinen Bettbezug dabei“, sagt Annette Gröne lachend. Es sind die kulturellen Unterschiede, bei denen eine Patenschaft wirklich sinnvolle Hilfestellung bietet. Manchmal geht es nur darum, sich zu treffen, mal am Wochenende die Stadt gemeinsam zu erkunden, bei der Einrichtung eines Bankkontos zu helfen oder einfach nur bei einer Familie abzuhängen.
Wenn Andrew jetzt seine Sachen packt und Richtung Berlin weiterzieht, wird das ein neuer Schritt in seinem Leben sein. „Aber ich weiß, dass ich auch in Bremen eine Familie habe. Und wenn ich später die Möglichkeit habe, werde ich ebenfalls ein Pate werden.“
Im August kommen die Neuen auf den Campus in Grohn, aufgeregt und voller Erwartungen werden Paten und Studenten aufeinandertreffen.
Interessenten können sich per E-Mail an hostfamilies(at)jacobs-university.de wenden.
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