
Es war August und tagsüber war es warm gewesen. Doch als ich mich abends mit meiner dünnen Sommerjacke und Sportschuhen auf eine Bank im Bürgerpark legte, war es frisch. Bis zwei Uhr morgens hielt ich es aus, dann ging ich zum Bahnhof und kaufte mir einen Hamburger, um mich warm zu halten. Danach habe ich in Mülleimern nach Zeitungen gesucht und mich damit zugedeckt. Geschlafen habe ich kaum. Um fünf Uhr war ich völlig durch den Wind, bin wieder zum Bahnhof und habe mir ein Niedersachsenticket geholt. Damit bin ich umhergefahren, um wenigstens ein bisschen zu schlafen.
Die Kündigung hatte ich drei Wochen, nachdem ich wegen eines Burn-outs krankgeschrieben wurde, erhalten. Später habe ich Krankengeld und Arbeitslosengeld bekommen. Aber als ich auf dem Arbeitsamt Harz IV beantragen wollte, wurde alles abgelehnt. Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich zu wehren, hatte von da an also kein Einkommen mehr. Ich habe einige meiner Sachen verkauft, war aber irgendwann an dem Punkt, dass ich mir sagte: Du machst das, bis es nicht mehr geht – dann bringst du dich um.
Am Tag, an dem der Gerichtsvollzieher kommen sollte, habe ich das Haus verlassen und alles, was ich besaß, zurückgelassen. Ich bin in den Wald gegangen und wollte mir das Leben nehmen. Geklappt hat es jedoch nicht.
Interessanterweise hatte ich meinen Geldbeutel mitgenommen und konnte deshalb mit dem Bus nach Bassum gefahren. Dort habe ich mir eine Erbsensuppe geholt und bin später nach Bremen zum Bahnhof, um die Zeit totzuschlagen, bis ich zum Schlafen in den Bürgerpark ging.
Nach meiner ersten Nacht auf der Straße stand ich abends wieder am Bahnhof. Dort wurde ich von zwei Obdachlosen angebettelt. Dass ich in der gleichen Situation wie sie war, wollten sie mir nicht glauben, weil ich wie ein ganz normaler Bürger aussah.
Irgendwann sagte der eine, Erik, dass ich mitkommen könnte, sie hätten einen Schlafsack übrig. Dann sind wir zu den drei Bänken beim Antikolonialdenkmal. Das war schon seltsam: Jemand, der überhaupt nichts hat, hat mir mein Bett gebaut.
Im Vergleich zu der Zeit, in der ich vollkommen alleine zu Hause war, geht es mir heute auf der Straße besser. Damals habe ich mit niemanden geredet, sondern mich einfach nur verkrochen. Jetzt unterhalte ich mich wieder mit Leuten und kann wieder lachen. Teilweise kümmere ich mich aber zu viel um die Probleme meiner Mitmenschen. Das ist eine typische Strategie von Depressiven, um sich nicht mit den eigenen Sorgen auseinanderzusetzen zu müssen.
Meist stehe ich vor sieben Uhr morgens auf, damit mich niemand an meinem Schlafplatz sieht. Den hinterlasse ich immer sauber und gehe zum Bahnhof, um mir einen Kaffee zu kaufen. Weil ich nicht trinke und keine Drogen nehme, ist Kaffee und Tabak das Einzige, wofür ich Geld ausgebe. Verhungern muss in Bremen niemand, es gibt genug Einrichtungen, die Essen und Bekleidung kostenlos verteilen. Im Café Papagei kann ich mich rasieren, duschen und die Wäsche waschen.
Das Geld, das ich brauche, bekomme ich mit Pfandflaschen zusammen. Schnorren habe ich ausprobiert, weil ich wissen wollte, wie das Gefühl ist, wenn man da sitzt und Leute um Geld bittet. Ich kenne auch die andere Seite. Vor Jahren war ich in Nürnberg, da hat mich ein Punker gefragt, ob ich eine Mark für ihn hätte, damit er sich etwas Essen kaufen kann. Da habe ich seine etwa 20 Kumpels gefragt, ob die auch Hunger haben und sie ins Restaurant eingeladen.
Geld war mir nicht wichtig. Früher, als ich Vorgesetzter von 140 Leuten war, habe ich mehr als 10 000 Euro im Monat verdient. Teilweise wusste ich nicht einmal, in welcher Stadt ich war, weil jedes Hotel gleich aussieht. Heute Geschäftsessen in Saint-Tropez, morgen Meeting in Zürich und am Wochenende die Präsentation für Montag vorbereiten – das vermisse ich überhaupt nicht.
Auf der Straße zu leben ist nicht lustig. Das liegt aber nicht an Wind und Wetter, was eine Frage des Anziehens ist, problematisch ist eher die Feuchtigkeit. Ich habe mich auch schon wehren müssen, weil man versucht hat, mich zu berauben. Da ich vor 20 Jahren Kampfsport betrieben habe, ging es recht gut für mich aus.
Ich könnte auch in eine Notaufnahme gehen, da bekommt man – wenn es gut läuft – ein Zweibettzimmer. Dort sind aber viele Menschen, die alle möglichen Probleme haben, und es wird viel geklaut. Ein Ort, den ich in meinem momentanen Zustand nicht ertrage. Im Grunde habe ich nie einen Platz gefunden, wo ich mich wohl gefühlt habe. Inzwischen aber geht es mir gut – aus dem Grund, dass ich auf der Straße lebe und mit Leuten zu tun habe.
Aufgezeichnet von Helge Hommers.
Markus* hat Elektrotechnik studiert und war lange in diesem Beruf tätig. Anfang der 2000er-Jahre fing der gebürtige Süddeutsche bei einem IT-Dienstleistungsunternehmen in Bremen an. Dort war er Langzeitarchivar und Projektleiter. Als ein Projekt misslang und er bei dem Kunden zusammenbrach, erhielt er seine Kündigung. Seit August dieses Jahres ist der über 50-Jährige obdachlos.
*der Porträtierte möchte nicht erkannt werden, weshalb nur der Vorname genannt wird
Ob Bahnhof, Marktplatz, Weserstadion oder Schlachte: Das Bremer Stadtbild hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Wir berichten über vergessene Bauten, alte Geschichten und historische Ereignisse.
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