
Als der Anruf kommt, sitze ich in einer Bar. „Kannst du sprechen?“, schreit meine Freundin am anderen Ende der Leitung in den Hörer. Musik dröhnt im Hintergrund, mehrere hundert Kilometer entfernt ist sie gerade auf einem Festival in Norwegen. „Mir geht es seit ein paar Tagen nicht so gut“, sagt sie, „vielleicht sollten wir einen Schwangerschaftstest machen.“ Acht Monate später werde ich zum ersten Mal Vater. Das ist jetzt zweieinhalb Jahre her.
Ein Kind zu bekommen – sie war damals 22, ich 26 Jahre alt – war alles andere als geplant. Klar, wir haben manchmal darüber gescherzt. „Was wäre, wenn? Und wem sieht das Kind ähnlich?“, haben wir uns dann gefragt. Aber in der Realität stand das gar nicht zur Debatte. Ein paar Tage vor dem Telefonat hatten wir gerade erst den Mietvertrag unserer ersten gemeinsamen Wohnung unterschrieben. Zwei Zimmer für zwei Personen. Manchmal kommt eben alles anders.
Als feststand, dass ich Vater werde, war das zuallererst ein Schock für mich. Ich habe damals noch studiert, saß tagsüber in Geschichts- und Germanistikvorlesungen. Nachts habe ich Konzerte veranstaltet oder als DJ auf Partys aufgelegt. Ich stand selber noch gar nicht mit beiden Beinen im Leben.
Was heißt das jetzt, was passiert, was muss ich ändern? Tausend Fragen sind mir durch den Kopf gegangen, wenn ich an das Kind gedacht habe, vor allem existenzieller Natur. Als DJ habe ich zwar Geld verdient, allein konnte ich davon auch immer ganz gut leben – aber mit Kind? Einen festen Job mit regelmäßigem Einkommen hatte ich damals nicht. Erst nach ein paar Tagen hatte ich die Nachricht verdaut und konnte mich das erste Mal auf den Familienzuwachs freuen. Leicht panisch war ich trotzdem noch.
Wovor ich Angst hatte? Davor, dass sich mein ganzes Leben von heute auf morgen verändert. Ich war glücklich damals, so wie es war. Mit einem Kind lebst du nicht mehr nur für dich, sondern auch für jemand anderen mit. Du trägst Verantwortung. Und das Kind kommt immer zuerst, du stellst dich hinten an – zumindest in den ersten Jahren. Wie schön das auch sein kann, weiß ich erst heute.
Die Geburt war eine ziemliche Tortur für meine Freundin. Aber auch für mich waren die 12 Stunden nervenaufreibend. Ich war jede Minute dabei, das war mir wichtig. Am schwierigsten war es, nur daneben zustehen und nichts tun zu können außer ihre Hand zu halten.
Nachdem Kalle geboren wurde, das werde ich nie vergessen, hat mir der Arzt die Schere in die Hand gedrückt. „Sie dürfen die Nabelschnur durchtrennen, wollen Sie?“, hat er gesagt und mich fragend angeschaut. Oh Gott, oh Gott, oh Gott, oh Gott hab ich gedacht. Zwei Sekunden, die mir wie eine halbe Stunde vorkamen. Ich hab`s gemacht. Ich hab die Schere genommen und die Nabelschnur durchtrennt. Ein ziemlich intimer Moment – und ein sehr komisches Gefühl.
Noch komischer ist es, fast surreal, dein eigenes Kind das erste Mal in den Armen zu halten. Dich überkommt eine Mischung aus „abgefahren“, „schön“ und „merkwürdig“, die vermutlich niemand verstehen kann, der es nicht selber schon erlebt hat. Ich weiß noch ganz genau, wie Kalle mit seiner winzigen Hand nach meinem Finger gegriffen hat. Ich hab ihn angeschaut und gedacht: Wahnsinn, das kleine Geschöpf sieht aus wie ich.
Am Ende waren viele der anfänglichen Ängste unbegründet. Geld hat gar nicht so eine große Rolle gespielt. Kleidung zum Beispiel haben wir von Freunden und Familie bekommen oder auf dem Flohmarkt gekauft. Der Staat hilft mit Eltern- und Kindergeld. Ich habe damals bewusst versucht, weniger zu arbeiten, um Kalle möglichst viel zu sehen.
Ein Kind zu haben ist schön und intensiv. Meine Freundin und ich sind ein ziemlich eingespieltes Team. Trotzdem ist das nicht immer ganz stressfrei. Zeit, sich mit meinen Freunden zu treffen, mal auszugehen oder als DJ aufzulegen hatte ich natürlich weniger, im ersten Jahr fast gar nicht. Das habe ich manchmal vermisst.
Doch selbst wenn ich andere sehe, die mehr reisen, sich ausprobieren und aus dem Alltag ausbrechen – das Gefühl, etwas zu verpassen, hatte ich nie. Ich bin froh wie es ist, vor allem froh über Kalle, mein erstes Kind.
Aufgezeichnet von Imke Wrage
Christoph Zunk
ist gebürtiger Berliner und lebt seit acht Jahren in Bremen, seiner Wahlheimat. Kürzlich hat der 29-jährige das Germanistikstudium geschmissen und widmet sich nun wieder seiner großen Leidenschaft: der Musik. Wenn er nicht selber hinterm Plattenteller steht, dann organisiert er Konzerte, entdeckt neue Bands oder radelt mit Sohn Kalle durch die Bremer Neustadt – immer auf der Suche nach neuen, kleinen Abenteuern.
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