Ein traditioneller Zauberer hat es im Jahr 2014 nicht leicht: Von gekonnt verknoteten Ballons und geschickt aus dem Ärmel gezauberten Seidentüchern lassen sich nach David Copperfield und Co. heutzutage zumeist nur noch Kinder in Fußgängerzonen beeindrucken. Dem Berliner André Hieronymus gelingt es hingegen, mit einem ähnlichen Bühnenrezept den Kulturbahnhof restlos auszuverkaufen und dort ein erwachsenes Publikum bestens zu unterhalten. Wie macht er das nur, dieser extrovertiert gekleidete Illusionist mit den stets hängenden Mundwinkeln? Seine Taschenspielertricks, mittels derer er unverhofft Tücher und Eier hervorzaubert oder vermeintlich die Gedanken seines Publikums liest, sind zwar auch nach Jahrzehnten verblüffend, jedoch nichts Neues oder gar Spektakuläres. Der Grund, warum die Zuschauer scharenweise zu einem der wenigen abendfüllenden Soloprogramme des Berliner Illusionisten strömen, liegt weniger in den Darbietungen als in der Person des Ausführenden. Die Zauberei selbst beziehungsweise ihre effektive Bühnendarbietung erfindet André Hieronymus keinesfalls neu, dafür aber die Figur des Zauberers. Auf der Bühne gibt er den stets mies gelaunten Misanthropen, der seinen Zuschauern nicht einschmeichelnd und sensationsheischend, sondern mit wortgewandtem, pointiertem Sarkasmus gegenübertritt.
„Kommen wir nun zum amüsanten Teil des Unterhaltungsbetrugs“, leitet er ein vermeintliches Quiz ein, für das er zwei zuvor ausgewählte Freiwillige auf der Bühne mit der von ihm bekannten Herzlichkeit begrüßt: „Wie heißen Sie? Na, da kann ich auch nichts dran ändern.“ Aus seiner Parteinahme für die Kandidatin gegenüber ihrem männlichen Konkurrenten macht Hieronymus keinen Hehl. Er lässt ihr buchstäblich wie durch Zauberhand die einfacheren Fragen aus den vorbereiteten Umschlägen zukommen: Wer schrieb Goethes Faust? Für den Mitbewerber gestaltet er die Angelegenheit etwas kniffliger: „Die ,Titanic‘ riss 1400 Menschen in den Tod, nennen Sie alle beim Namen.“ Je missmutiger und mürrischer der Zauberkünstler agiert, desto größer ist das resultierende Gelächter beim Publikum. Schließlich weiß Hieronymus als Bühnenprofi um die Relevanz der Balance: Er greift niemanden an, beschimpft niemanden, führt Teile seines Publikums zwar manchmal ein wenig vor, stellt jedoch niemanden bloß. Er nimmt einfach niemanden ernst: Weder seine großen Zunftkollegen noch Parapsychologen wie Professor Reine, weder sein Publikum noch sich selbst. Dass er die abendfüllende Aneinanderreihung seiner besten Nummern, die er im Regelfall häppchenweise als Varietemoderator oder im Rahmen von Kurzauftritten bei Comedyshows serviert, als „Ernste Comedy“ betitelt, passt bestens ins Bild des Spiels mit Gegensätzen. Die aufgereihten Auftrittsscheiben funktionieren auch am Stück: Fast ein wenig zu schnell sind die zwei kurzweiligen Programmstunden vorüber, in deren Verlauf Hieronymus sarkastische Pointen mit einer ebenso gekonnten Lässigkeit aus dem Ärmel zaubert wie das nächste Ei oder Seidentuch. Während das Publikum sich noch eine Zugabe von seinem mürrischen Liebling erklatscht, erhält eben dieses ein Lob von einer Mitarbeiterin des Kulturbüros: „Die sind so locker drauf und dermaßen gut erzogen: Jeder bringt sein Leergut zurück.“