Man spürt, dass sie sich mögen, die 53-jährige Bremerin und der 20-jährige junge Mann aus Afghanistan. Locker ergänzen sie sich beim Erzählen, begleitet von lächelnden Blicken füreinander. „Er trägt sein Herz auf der Zunge“, sagt Claudia Brünings-Kuppe über Abdullah, „ich bin manchmal schwierig“, sagt er, „ich rufe einfach an, wenn ich eine Frage habe.“ Solch eine herzliche Verbindung sei nicht der Standard, erklärt die Mentorin, die noch zwei weitere junge Männer betreut und andere für diese Aufgabe motivieren möchte.
„Jede kleine Unterstützung hilft.“ „Ich öffne für dich Türen“, sagt Claudia Brünings-Kuppe zu Abdullah, „für mich öffnen sich neue Fenster“ – in die Welt der anderen Kulturen in Afghanistan oder Syrien, in andere Religionen, aber auch in das Leben mit Hartz IV, in die vielen formalen Dinge des Asyl- oder des Sozialrechts, Jugendhilfe, Schul- und Ausbildungsfragen. Dabei sei ihr der Verein Fluchtraum eine große Hilfe, dort könne man auch alle Probleme besprechen.
Mit Behördenlotsen und Beratungscafé und anderem mehr biete der Verein viel Unterstützung und Austausch für Mentoren oder Vormünder. Das Wichtigste sei aber, ein Ansprechpartner für die Jugendlichen zu sein, die allein und ohne Vorwissen oder Sprachkenntnisse nach Deutschland kämen.
16 Jahre alt war Abdullah, als er sich im September 2015 in Afghanistan auf den Weg gemacht hat, wo er mit elf Geschwistern beim Vater lebte. In der Schule, die er sehr oft schwänzte, wie er zugibt, gab es Schläge, beispielsweise wenn er keine Hausaufgaben gemacht hatte. Perspektiven sah er keine. Über Pakistan, Iran, Türkei, Griechenland und die Balkanroute erreichte er Deutschland, Bremen. Viel mehr mag Abdullah, der sonst gerne redet, über diese Fluchterfahrung nicht erzählen.
Wie andere unbegleitete jugendliche Flüchtlinge kam er in der Turnhalle in Borgfeld unter und traf auf Uwe Rosenberg, der sich nachhaltig für die jungen Menschen einsetzte. „Uwe hat mich immer gefunden“, erzählt Abdullah von der Zeit, als er sich noch gern vor dem Deutsch lernen drücken wollte, das Grundschullehrerinnen in ihren Pausen anboten. „Das war so viel und so schwer.“ Kurzzeitig war Abdullah in einem Hotel untergebracht, dann in einer Wohngruppe, er tat sich schwer. „Du brauchst einen Mentor oder eine Mentorin“, sagte Uwe Rosenberg.
Claudia Brünings-Kuppe, die als Dokumentarin beim Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie, Bips, arbeitet, hatte sich da schon entschlossen, einmal in der Woche Zeit zu spenden und mit Jugendlichen Deutsch zu lernen, zu spielen, zu reden. „Ich habe gemerkt, in der Gruppe Deutsch lernen, das reicht nicht“, erzählt sie, „und ich hatte das Gefühl, wir Alteingesessenen müssen uns öffnen, unsere Herzen, unsere Türen.“ In Borgfeld traf sie dann auf Abdullah – und „wir haben entschieden, dass wir ein Tandem sein wollen“.
Seitdem hat Claudia Brünings-Kuppe seinen Weg begleitet. Zwei Jahre Vorkursus, von denen das zweite schon berufsvorbereitend ist, folgten für den Jugendlichen. „Schwierig für junge Leute in einer fremden Arbeitswelt“, sagt die Mentorin. Ohne zu wissen, was er beruflich machen will und kann, wählte Abdullah den Bereich Logistik, weil ein Bekannter das auch machte.
Er merkte schnell, dass es nicht das Richtige ist, nach einem Jahr hatte er damit allerdings seinen Hauptschulabschluss erreicht. Wie aber weiter? „Vielleicht kannst Du ein freiwilliges soziales Jahr machen“, schlug seine Mentorin vor und traf damit ins Schwarze. „Es war super“, schwärmt Abdullah von dem folgenden Jahr in der Kita in der Neustadt, wo er viele Sachen gelernt und seinen Beruf gefunden habe, „ich vermisse die Kinder“.
Mittlerweile hat der 20-Jährige eine duale Ausbildung zum Heilerziehungspfleger-Assistenten begonnen, die zwei Praktika umfasst. Das erste Praktikum im Kaisenstift in Borgfeld, ein Wohnheim für schwer körperlich und geistig behinderte Kinder und Jugendliche, hat er gerade hinter sich. Mit guter Bewertung, wie Claudia Brünings-Kuppe berichtet, die sich freut, dass bei Abdullah klar zu erkennen ist, was seine Talente sind.
Im Alltag hat der junge Mann nur wenig sprachliche Probleme, die Fachsprache in der Schule macht ihm aber schon zu schaffen. „Bei ihm im Sozialen sind viele Dinge schwer fassbar“, sagt auch die Mentorin, das sei bei ihren anderen beiden Mentees etwas einfacher, die Ausbildungen zum Maurer und zum Industriemechaniker machten. Wenn er Hilfe bei den Hausaufgaben braucht, wendet sich Abdullah an Claudia Brünings-Kuppe, mit der er täglich kommuniziert, per Telefon oder Sprachnachricht. Ein- bis dreimal in der Woche treffen sie sich, „für mich ist das keine Arbeit“, sagt die Mentorin.
Durch sie und ihren Mann habe Abdullah auch andere Deutsche kennengelernt, häufig blieben die Geflüchteten sonst unter sich. Der Alltag von Abdullah wird vom Unterricht an der Schule in Blumenthal bestimmt – „hier fehle ich nicht“ –, mit Hin- und Rückweg in die Neustadt, wo er wohnt, ist das ein ausgefüllter Tag. Und die ganze Zeit nicht in der Muttersprache reden und lernen zu müssen, koste viel Energie, weiß seine Mentorin.
Mit dem Schülerferienticket ist Abdullah auch schon herumgekommen in Deutschland, war in Hannover, Hamburg, München und Berlin, im Harz. Eine gemeinsame Radtour zu dritt führte nach Cuxhaven an die Nordsee, im kommenden Jahr wollen Brünings-Kuppe, ihr Mann und Abdullah nach Frankreich reisen. Dafür braucht der junge Mann, der eine befristete Aufenthaltserlaubnis hat, noch einen Pass vom Migrationsamt, denkt Claudia Brünings-Kuppe ans Organisatorische. „In Afghanistan habe ich immer von Paris geträumt“, sagt Abdullah mit leuchtenden Augen. Zwei Tage sind dafür fest eingeplant.
Weitere Informationen
Der Verein Fluchtraum Bremen, Berckstraße 27, Telefon 04 21/835 61 53, informiert und hilft in allen Fragen rund um Mentoren-, Vormundschaft und Begleitung junger Geflüchteter. Mehr auf www.fluchtraum-bremen.de.