Eine bemerkenswerte Situation: Erst als der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr im Dezember 2015 vor dem Verwaltungsgericht unterliegt, ist er bereit, Gesetzesbestimmungen nachzukommen und Geld an die Stadtteile zur autonomen Verwendung im Verkehrsbereich herauszurücken. Lange hatte er argumentiert, das sei unpraktikabel. Der Beirat Schwachhausen reichte daraufhin Klage ein – angespornt von Dietrich „Hucky“ Heck, Beiratsmitglied der Grünen, der auf die Vorgaben des überarbeiteten Beirätegesetzes von 2010 pochte. Senator Joachim Lohse von den Grünen musste vor Gericht eine Niederlage einstecken und aus seinem Etat fortan jährlich insgesamt rund eine Million Euro in die Regie der 22 Beiräte umleiten.
Zumindest in den ersten beiden Jahren wurde die Million jeweils aus dem Topf des Amtes für Straßen und Verkehr (ASV) genommen. Ob das angesichts des immensen Nachholbedarfs bei der Straßen- und Brückensanierung in der Hansestadt auch künftig möglich sein wird, ist fraglich. Das ASV als technisches Bauamt hatte in den vergangenen Jahrzehnten nur einen einzigen Auftraggeber: das Senatsressort. „Jetzt haben wir 22 zusätzliche Besteller“, sagt ASV-Sprecher Martin Stellmann.
Darauf habe sich die Behörde einstellen und ihre Strukturen anpassen müssen. Inzwischen hätten sich die Abläufe im ASV eingespielt, versichert Stellmann. 200 Anträge aus den Stadtteilen seien gestellt worden und über 20 Prozent davon vollständig abgearbeitet und umgesetzt. Weitere gut 20 Prozent seien aktuell in der Umsetzung.
Fußgängerüberwege in Form von Querungshilfen, Zebrastreifen und Ampeln werden vielfach von Beiräten gewünscht. Auch Vorkehrungen für Parkregelungen sowie Bordsteinabsenkungen an Stellen, die häufig von Senioren mit Rollatoren oder Rollstuhlfahrern frequentiert werden, stehen auf dem Programm – aktuell unter anderem bei den Beiräten Vahr und Oberneuland.

Der Beirat Huchting will den rege genutzten Werner-Damken-Steg entlang der Varreler Bäke baldmöglich saniert wissen und ist bereit, dafür 50 000 Euro – und damit fast sein gesamtes Stadtteilbudget – zur Verfügung zu stellen.
Die Kompetenz der Beiräte für verkehrspolitische Entscheidungen auf Stadtteilebene, die nicht den Durchgangsverkehr betreffen, leitet sich aus einem Passus ab, der 2010 ins Beirätegesetz kam: Der Beirat entscheide über stadtteilbezogene „verkehrslenkende, -beschränkende und -beruhigende Maßnahmen“, heißt es im Paragrafen 10, Absatz 3. Und im Paragrafen 32, Absatz 4, wird ausgeführt, dass in den Einzelplänen der Senatsressorts die stadtteilbezogenen Mittel (Stadtteilbudgets) ausgewiesen werden müssen, über die die Beiräte gemäß Paragraf 10 entscheiden.
Bis die Beiräte tatsächlich entscheiden durften, dauerte es einige Jahre. Für den Senat hatte die Angelegenheit offensichtlich keine Priorität. Das Stadtteilbudget war zwar Thema in den Haushaltsberatungen 2013, aber am Ende ohne greifbares Ergebnis. Es war auch auf der Agenda der rot-grünen Koalitionsverhandlungen im Sommer 2015, wurde jedoch abgebügelt. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu nichts. So setzte erst die Klage vor dem Verwaltungsgericht die gesetzlich fixierten Ansprüche der Stadtteile durch.

In jüngster Zeit von Beiräten oft gewünscht: Tempo-30-Piktogramme auf der Fahrbahn.
Manche Beiräte haben sich in das Thema Stadtteilbudget inzwischen vertiefend eingearbeitet und etliche Anträge ans ASV weitergegeben. „Zu den aktivsten Antragstellern gehört der Beirat Walle mit 40 Vorhaben“, berichtet Martin Stellmann. Eine ganze Reihe der Waller Anträge konnte schon umgesetzt werden, unter anderem Poller gegen Falschparker an verschiedenen Stellen. Wichtig sind dem Beirat Walle auch Querungshilfen beim Utbremer Grün an Grenzstraße und Elisabethstraße (Kostenpunkt: etwa 55 000 Euro). Noch in der Prüfung beim ASV ist ein Antrag auf einen Zebrastreifen für die Cuxhavener Straße.
In Gröpelingen konnte bislang noch nichts Größeres umgesetzt werden, eine mehrfach überarbeitete Prioritätenliste gibt es aber längst. In Findorff steht mit der Beendigung der umfangreichen Kanalbauarbeiten demnächst ein großer Wurf bevor: eine Querungshilfe/Verkehrsinsel für Radfahrer und Fußgänger hinter dem Findorfftunnel im Bereich Plantage. Der Beirat will das unbedingt und hat dafür einen Großteil seines Stadtteilbudgets reserviert.
Ein Antrag ist oft schnell gestellt, doch bei weitreichenden Vorhaben braucht es dann Geduld – und zuweilen wird der Beirat enttäuscht. „Das ASV ist zur fachlichen Prüfung verpflichtet und muss auf bestimmte Standards sowie die Einheitlichkeit im ganzen Stadtgebiet achten“, sagt Stellmann. So seien für die Schaffung von Überwegen Zählungen des Fahrzeug- und Fußgängerverkehrs unumgänglich.
Werden vorgegebene Zahlen nicht erreicht, muss das ASV den Antrag zurückweisen. Und die von Beiräten häufig gewünschten Piktogramme auf der Fahrbahn könnten zwar ein Beitrag zur Verkehrssicherheit sein, dürften aber auch nicht in übertriebener Anzahl realisiert werden.
Keine Hochpflasterungen um Autofahrer zu verlangsamen
Dass die Beiräte viele Ideen wälzen, um gegen Schnellfahrer in den Wohngebieten vorzugehen, begrüßt Stellmann. Strikt zurück weist er jedoch den Vorschlag, Hochpflasterungen in der Fahrbahn zu schaffen, um die Autofahrer zum langsameren Fahren zu zwingen. „Hochpflasterungen wollen wir generell nicht mehr, nachdem wir schlechte Erfahrungen damit gemacht haben“, erklärt der ASV-Sprecher. Zum einen entstehe zusätzlicher Lärmbelastung durch das Abbremsen und Wiederbeschleunigen, zum anderen habe es bereits Klagen von Hauseigentümern wegen Schäden an ihren Häusern aufgrund von Erschütterungen gegeben.
Vielerorts sind die ehrenamtlichen Ortspolitiker in den Beiräten noch dabei, Vorschläge für die Verwendung des Stadtteilbudgets und Erfahrungen zur Antragstellung zu sammeln. Zunächst herrschte weithin große Unsicherheit, wofür genau das Stadtteilbudget ausgegeben werden darf und wie das Antrags- und das Umsetzungsverfahren aussehen. Die vielen offenen Fragen führten dazu, dass oftmals im ersten Jahr noch gar kein Geld floss, stattdessen wurde es angespart – was möglich ist, weil das Budget auf das jeweils nächste Jahr übertragen werden darf.
Manche Beiräte sparen auch ganz bewusst Summen an, um kostspielige Wunschvorhaben angehen zu können. Der Beirat Huchting zum Beispiel möchte unbedingt den hölzernen Werner-Damken-Steg entlang der Varreler Bäke saniert wissen und will dafür 50 000 Euro ausgeben. Der Beirat Schwachhausen will 25 000 Euro aus seinem Stadtteilbudget für Umbaumaßnahmen am Schwachhauser Ring gegen illegales Parken bereitstellen. In anderen Stadtteilen wird auch schon mal über die Finanzierung einer vorgezogenen Sanierung von Geh- und Radwegen diskutiert, wenn vom ASV die Auskunft kam, dass darauf sonst wohl noch längere Zeit gewartet werden müsste.
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