Was muss im Stall getan werden? Welche Arbeiten stehen wann auf dem Feld an? Wie funktioniert eine Biogas-Anlage? In einer Langzeitreportage begleitet DIE NORDDEUTSCHE den landwirtschaftlichen Betrieb von Henning Kruse aus dem Lemwerderaner Ortsteil Butzhausen. Monat für Monat erfahren die Leser, welche Arbeiten auf dem Hof zu erledigen sind.
Radostaw Szczesniak, genannt „Radek“, pfeift leise vor sich hin. Immer wieder klopft er einem Rind mit der flachen Hand auf das Hinterteil, damit es sich in den Stall bewegt. Die Herde ist fröhlich und buckelt übermütig. Mit Geduld und Ruhe gelingt es „Radek“ Szczesniak und Eike Schmidt, die Schwarz-Bunten zusammenzutreiben. Interessiert beäugen die Rinder den Klauenstand. Ein Metallgestell, das Eike Schmidt in den Stall geschoben hat, um die Rinder zu fixieren, während er ihre Klauen bearbeitet – Winterzeit ist Pedikürezeit. Im Winter ist die Fußpflege leichter als im Sommer, denn im Stall lassen sich die Tiere leichter einfangen als auf der Weide.
„Radek“ Szczesniak steigt wieder auf den neuen Futtermischwagen. Ein Koloss mit 175 PS, der kürzlich auf dem Kruse-Hof angeliefert wurde. „Dafür kriegt man schon ein Einfamilienhaus“, sagt Henning Kruse, ohne den genauen Preis zu nennen. Szczesniak mischt das Futter zusammen. Langsam fräst er den Mais vom Silohaufen und verfrachtet ihn in den Mischbehälter, den er zuvor bereits mit Treber, Kraftfutter und Grassilo befüllt hat. Die jeweiligen Mengen stehen auf einem Zettel, den Henning Kruse seinem Mitarbeiter gegeben hat. Jedes Tier erhält eine eigens auf sein Alter abgestimmte Futtermischung. „Bis die Rinder trächtig sind, brauchen sie viel Energie. Sobald sie tragen, bekommen sie weniger zu fressen, damit sie nicht verfetten“, erläutert Kruse.
100 Meter entfernt schiebt Eike Schmidt das erste Jungtier freundlich, aber bestimmend in den Klauenstand. Das Rind wird an Bauch und Kopf mit Gurten fixiert. Mit einer Seilwinde zieht Schmidt ein Hinterbein des Tieres in die Waagerechte und beginnt die Unterseite der Klaue mit einem Flex glatt zu fräsen. „Mit dem Messer würde das viel zu lange dauern“, erklärt Kruse den Einsatz des Arbeitsgeräts.
Die Hinterklaue weist eine braune Erhebung auf. „Mortellaro“, stöhnt der Betriebsleiter. Eine bakterielle Erkrankung, von der laut Fachzeitschrift Top Agrar derzeit viele Rinder befallen sind. Gerade im Winter ist die Gefahr groß. Sie lauert in der feuchten Gülle. Obwohl die Laufwege von Kruses Kühen mehrmals pro Stunde von den Hinterlassenschaften der Tiere befreit werden, bleiben immer Rückstände.

Im Winter erledigt Landwirtschaftsmeister Henning Kruse viel Büroarbeit.
Dann wird Eike Schmidt vom Hufschmied zum Tierarzt. Er entfernt die Kruste. Blut tropft zu Boden. „Die Kruste muss weg“, betont Kruse, „auch wenn es blutet. Nur so kann man die tiefsitzenden Bakterien bekämpfen“. Schmidt sprüht ein Desinfektionsmittel auf die Wunde. Er drückt einen Bausch Watte auf die verletzte Stelle und wickelt einen Verband um die Klaue. „Diese Vielseitigkeit hat man in keinem anderen Beruf.“ Schmidt freut sich täglich, den Beruf des Landwirts ergriffen zu haben.
Der landwirtschaftliche Teil des Betriebes „Milch & Energie Kruse“ besteht aus vier Standorten. An der Butzhauser Helmer wird die Milch produziert, von der der Hof letztlich existieren kann. Gleich neben dem Wohnhaus an der Kastanienstraße betreuen Elzbieta „Ela“ Woloszyn und Vija Macuka, die sich momentan in Mutterschutz befindet, die Kälber. In Bardewisch sind die zehn bis 17 Monate alten Tiere untergebracht. Auf der Hofstelle in Krögerdorf kümmert sich Gerd Stöver um die zwei- bis zehnmonatige Nachzucht.
Dem kurzen, aber heftigen Wintereinbruch Mitte Januar hat Landwirtschaftsmeister Henning Kruse wenig abgewinnen können. Er bekomme immer eine Krise, wenn Frost angekündigt ist. „Die Kühe fressen an solchen Tagen bis zu 30 Prozent mehr. Das heißt, meine Rationen stimmen nicht mehr.“ Hinzu kam, dass am Standort Bardewisch eine Pumpe einfror. Diese dient dem Frostschutz. Sie sorgt für Zirkulation in der Wasserleitung und soll verhindern, dass das Wasser zu Eis gefriert. Rund 70 Jungtiere standen plötzlich ohne Wasser da. „Ein Mitarbeiter hat einen ganzen Tag damit verbracht, eine neue Pumpe einzubauen“, ärgert sich der Betriebsleiter über die unvorhergesehene Arbeit.

Eine vierköpfige Familie, die von der Landwirtschaft lebt: Manuela (links), Tobias, Henning und Sirina Kruse.
Auf seiner Homepage bezeichnet sich Kruse als zuständig für Verwaltung und Herdenmanagement sowie als Springer. Wenn Not am Mann ist, springt auch mal Kruses 14-jährige Tochter Sirina ein. Ansonsten zieht die Gymnasiastin ihre Pferde den Rindern vor. Auch Ehefrau Manuela, die in Teilzeit als Chemielaborantin für ein Arzneimittelinstitut arbeitet, und Sohn Tobias zieht es kaum in die Stallungen. Inzwischen hat sich Henning Kruse mit den unterschiedlichen Interessen innerhalb seiner Familie arrangiert.
Er selbst ist jeden Tag im Stall. Im Winter verbringt er aber auch jede Menge Zeit im Büro. „Ich mache im Moment meine Bilanz für die Bank fertig. Außerdem erstelle ich meine Düngebilanz.“ Bei einer Betriebsprüfung muss Kruse nachweisen können, wo die auf seinem Hof angefallene Gülle geblieben ist. Auf seinen eigenen Weiden darf ein Landwirt laut Düngeverordnung des Bundes nur 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar ausbringen. Kruses Vieh produziert jedoch mehr Gülle, als er auf seinen 180 Hektar Land als Dünger verwenden darf. Die überschüssige Gülle gibt der Butzhauser an Ackerbauern ab, die für ihn Mais anbauen. Denn mit seiner eigenen, knapp 30 Hektar großen Anbaufläche für Mais bekommt Kruse sein Vieh nicht satt.
Der erste Monat des Jahres ist für Henning Kruse die ideale Zeit, neue Vertragspartner zu akquirieren. Damit er auch in den kommenden Jahren Abnehmer für seine Gülle findet, sei es wichtig, „dass wir Flächen pachten oder unter Vertrag nehmen“, sagt der Betriebsleiter. Kruse hat Landwirtschaft von der Pike auf gelernt. Bereits seine Eltern betrieben in Süderbrook einen Hof. 1993 machte sich der heute 48-Jährige mit einer Ammenkuhhaltung in Butzhausen selbstständig. „Das war nicht wirklich rentabel“, erzählt der Landwirtschaftsmeister.
1997 verkaufte Henning Kruse seine Ammenkuhhaltung und gründete mit seinem Bruder Axel eine Gesellschaft zur Milchproduktion. Vor vier Jahren beendeten die Brüder ihre Zusammenarbeit. Henning Kruse setzt seitdem neben der Milchproduktion auf erneuerbare Energien. Auf vier Hallen seines Betriebes sind Solaranlagen installiert. Neben dem Milchviehstall an der Butzhauser Helmer steht eine 75-Kilowatt-Biogasanlage des Typs Güllewerk. Der dort produzierte Strom wird nach dem Erneuerbaren Energiengesetz (EEG) ins Stromnetz eingespeist und versorgt circa 450 Vier-Personen-Haushalte.

Eike Schmidt ist in den Ställen des Butzhauser Betriebes "Mann für alles".
Die Biogasanlage erhält alle 15 Minuten 250 Liter Gülle aus dem Stall. „Wir haben mehr Gülle als wir verwerten dürfen und überlegen gerade, ob wir noch eine zusätzliche Biogasanlage in Bardewisch bauen“, gibt Kruse Einblick in seine Betriebsplanung. Ihn wurmt es, dass er seine selbst produzierte Energie nicht selber nutzen kann. „Wir müssen jeden Monat für 2000 Euro Strom kaufen.“
Jetzt im Winter versucht der Betriebsleiter seine Mitarbeiter zur Abnahme von Urlaubstagen zu bewegen. Derzeit ist es relativ ruhig auf dem Hof. Sieht man einmal vom Abkalbestall ab. Dort erblicken täglich neue Kälbchen das Licht der Welt. „Wir kommen auf circa 400 Kälber im Jahr“, erzählt Henning Kruse. Der Großteil der weiblichen Nachzucht bleibt im Betrieb. Die Bullenkälber dagegen werden verkauft. Die Einnahmen sind überschaubar. 40 bis 80 Euro zahlen die Mäster pro Kalb.
Auch wenn die Einnahmen für Kälber gering sind, kann Kruse die eigene Nachzucht nicht reduzieren, denn erst nach der Geburt eines Kalbes beginnt die Milchproduktion der Kuh. Damit sie fortbestehen kann, muss die Kuh immer neue Kälber gebären. Zweimal pro Tag melken „Ela“ Woloszyn und Aija Macuka die rund 320 Milchkühe des Butzhauser Betriebs. Täglich fließen 6000 bis 8000 Liter Milch in die Kühlung. Jeden zweiten Tag fährt ein Tanklaster der Molkerei vor, um die Milch abzuholen. Während im Supermarkt 55 Cent für einen Liter frische Vollmilch bezahlt werden müssen, erhält Kruse von der Molkerei gerade einmal 25 bis 26 Cent.
Der Kruse-Hof im Zeitraffer
1993 haben Henning und Manuela Kruse die Hofstelle in Butzhausen bezogen. Im selben Jahr gründete Henning Kruse eine Ammenkuhhaltung.
1996 baute Henning Kruse eine Lagerhalle zum Laufstall für 60 Kühe und 20 Rinder um, ein Jahr später gründete er mit seinem Bruder Axel eine Gesellschaft zur Milchproduktion und gab die Ammenkuhhaltung auf.
2004 errichtete Henning Kruse ein Melkzentrum mit 44 Plätzen, in dem bis zu 120 Kühe pro Stunde gemolken werden konnten.
2007 bauten die Brüder einen Laufstall mit 100 Kuhplätzen auf der Hofstelle in Süderbrook. Den Butzhauser Standort erweiterten sie auf 160 Plätze.
2009 erwarb Henning Kruse einen landwirtschaftlichen Betrieb in Bardewisch samt Ländereien und einem 60 Kühe fassenden Laufstall.
2011 lösten die Brüder ihre Gesellschaft auf, Henning Kruse startete in Butzhausen mit 120 Kühen in die Eigenständigkeit. In Bardewisch baute er ein Futterlager für Heu und Stroh, dessen Dach 1000 Quadratmeter Fläche für Solarmodule bietet.
Zwischen 2012 und 2014 entstand an der Butzhauser Helmer ein neuer Milchviehstall mit Biogas- und Solaranlage für circa 300 Kühe.
2015 pachtete Henning Kruse eine Hofstelle in Krögerdorf hinzu.