Wer derzeit Waren von Asien nach Europa transportieren möchte, der kann sich auf hohe Frachtraten einstellen. Hinzu komme, dass es derzeit keine Verlässlichkeit gebe, was die Ratenkonditionen angehe, beschrieb Sven Eric Schoon (ETS Transport & Logistics), Vorstandsmitglied vom Verein Bremer Spediteure, am Dienstag die momentane Situation in der See- und Luftfracht im Rahmen einer Pressekonferenz zur Lage der Branche. Aber auch die Transportkapazitäten auf der Schiene seien überbucht. „Den Kunden wird teilweise die Pistole auf die Brust gesetzt“, sagt Schoon. In der Konsequenz könne das bedeuten, dass sich der Transport von einigen Waren für Kunden nicht mehr rechne.
Die Transportunternehmen im Bereich der See- und Luftfracht sind mehr als ausgelastet. Die Befürchtungen, die ein Großteil der Spediteure zu Beginn der Pandemie im Frühjahr hatte, haben sich nicht bewahrheitet. Es zeichne sich eine Jahresendrallye ab, die nur wenige Marktteilnehmer in diesen Ausmaßen vorausgesagt haben, sagt Oliver Oestreich (Lexzau, Scharbau), Vorsitzender des Vereins Bremer Spediteure. „Das vierte Quartal dürfte die operativen Abteilungen unserer Mitgliedsfirmen, so sie im Seefracht- oder Luftfrachtspeditionsgeschäft tätig sind, an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen.“
Durch nicht ausreichende Schiffskapazitäten verbunden mit sogenannten Blank Sails, also dem Ausfall von Schiffsabfahrten, werde diese Situation noch Wochen anhalten, sagt Oestreich. Das Ganze gehe Einherr mit einem Mangel an verfügbaren Leer-Containern. Das führe zu einer massiven Überbuchungssituation. Hinzu komme, dass es den Reedern, die Schiffskapazitäten aus dem Markt genommen hatten, nicht an Kreativität mangle, zusätzliche Zuschläge zu kreieren. Die Raten von Asien nach Europa seien auf einem Fünf-Jahres-Hoch.
Der Mangel an Leer-Containern entstehe unter anderem dadurch, dass auch der Transpazifik-Verkehr stark zugenommen habe, und die Container-Allokation sich dort konzentriere. Erschwerend sei, dass etwa an der Westküste der USA vor Long Beach derzeit 13 Containerschiffe mit Transportvolumen von jeweils 20.000 Standardcontainer und mehr lägen und die Terminals dort nicht in der Lage seien, diese Mengen abzufertigen.
Kapazitäten im Luftfrachtverkehr extrem reduziert
Das alles habe zur Folge, dass in Europa die Containerkapazitäten fehlen, die man fürs Exportgeschäft benötige, ergänzten die Vorstandsmitglieder Carsten Hellmers (Alexander Global Logistics) und Holger Schulz (EKB Container Logistik). Oestreich: Insgesamt könne man feststellen, dass die internationale maritime Supply-Chain – das Rückgrat des globalen Handels – derzeit sehr unzuverlässig sei. „Die Frage wird sein, ob das der Normalfall sein wird oder ob das nur der Pandemie geschuldet ist.“
Die Kapazitäten im Luftfrachtverkehr seien durch die Pandemie extrem reduziert, sagt Vorstandsmitglied Philip W. Herwig (Röhlig Logistics). Dadurch, dass die meisten Passagierflieger am Boden blieben, seien die Transportkapazitäten um 60 Prozent gesunken. Teilweise habe das durch Charterflüge für den Transport von medizinischer Ausrüstung kompensiert werden können.
Die Entwicklungen in der See- und Luftfracht spiegelt sich auch in einer „Corona-Blitzumfrage“ des Vereins Bremer Spediteure wider: Danach ist der Nettoumsatz in den ersten zehn Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast gleich geblieben. In der Seefracht lagen die Nettoumsätze im Export und im Import lediglich ein beziehungsweise drei Prozent unter denen des Vorjahres. In der Luftfracht sind die Einbrüche mit 15 Prozent im Export schon deutlich höher. Im Import lagen sie bei minus neun Prozent. „Dies sind nur Durchschnittswerte“, sagte Oestreich. Es gebe Unternehmen, die deutlich mehr als andere unter den Folgen der Pandemie litten – etwa Messe-Spediteure, die zum Großteil wegen fehlender Veranstaltungen einen Totalausfall hätten.
Insgesamt sei man aber weit entfernt von einer Rezession, von der vor Wochen immer wieder zu hören gewesen sei, sagt Vorstandsmitglied Ralf Miehe (Kühne + Nagel). Die Pandemie habe sich sehr unterschiedlich ausgewirkt. Es habe etwa Dellen im Bereich Automotive gegeben, aber Textilprodukte seien „unwahrscheinlich gut gelaufen“. Es habe sich auch entgegen vieler Expertenmeinungen gezeigt, dass China sich wieder zum Motor der globalen Wirtschaft entwickelt habe, ergänzt Oestreich.