Die Welt der Krankenkassen wird sich deutlich ändern – wenn Gesundheitsminister Jens Spahn seine Vorstellungen durchsetzt, die er im WESER-KURIER-Interview am 4. Mai geschildert hat. Sein Entwurf für ein „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ stößt auf furiose Gegenwehr. Sie entspringt einem Dickicht von Interessengruppen. Spahn will, dass jede der elf bislang regional abgegrenzten AOKen künftig Mitglieder aus ganz Deutschland aufnehmen muss. Sein Motiv: Die AOKen würden dann zentral vom Bundesversicherungsamt (BVA) beaufsichtigt – wie es bei den meisten Kassen längst der Fall ist.
Damit entstünden gerechtere Wettbewerbsbedingungen. Bisher sind für die AOK-Aufsicht die Länder zuständig – in Bremen ein bis zwei Beamte der Gesundheitsbehörde für „ihre“ AOK, übrigens als einzigen Klienten. Die meisten Kassen – auch die hkk – haben es hingegen mit 600 Spezialisten des BVA zu tun, die häufig weit strenger prüfen und entscheiden als ihre Länderkollegen.
Wie sehr die AOKen um diesen Vorteil bangen, zeigen die teils heftigen Reaktionen ihrer Vertreter. Auch der Protest der Ministerpräsidenten gegen die bundesweite Öffnung „ihrer“ AOK bestätigt nur, wie gut sich beide Seiten in den vergangenen Jahrzehnten miteinander eingerichtet haben. Ein weiteres heißes Eisen, das der Minister mutig anpackt, ist die Reform des Finanzausgleichs unter den Kassen: Aus dem bestehenden System kassieren die AOKen pro Jahr 1,3 Milliarden Euro mehr, als sie für die Versorgung ihrer Versicherten benötigen. Weggenommen wird dieses Geld vor allem den Ersatzkassen, die eine jährliche Unterdeckung von 980 Millionen Euro verbuchen. Ein solidarisches System sieht anders aus.
Um ihre Pfründe zu sichern, behaupten die AOKen nun, dass nur sie eine gute Versorgung vor Ort garantieren können. Das ist blanker Unsinn, denn genau dasselbe leisten die regionalen Landesvertretungen des Ersatzkassen-Verbands vdek: Sie schließen überall in Deutschland regionale Versorgungsverträge ab, zum Beispiel mit Ärzten, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Dazu kommen mehr als 1 000 Spezialverträge in ganz Deutschland.
Dass die bundesweite Öffnung einer Kasse ihren Versicherten durchaus nützen kann, beweist übrigens die hkk: Seit ihrer Öffnung im Jahr 2008 hat sie über 330 000 Versicherte aus ganz Deutschland dazugewonnen.
Unser Gastautor Michael Lempe ist seit Januar 2000 Vorstand der Handelskrankenkasse (hkk). Die Ersatzkasse ist die größte gesetzliche Krankenkasse mit Sitz in Bremen.