Seit Ende Januar gelten neue Regeln für das Homeoffice: Arbeitgeber sind seitdem dazu angehalten, ihren Beschäftigen die Arbeit von zu Hause aus zu ermöglichen – sofern das ihre Tätigkeit zulässt. So sollen unnötige Kontakte bei der Arbeit und auf dem Weg dorthin vermieden werden, die Corona-Infektionszahlen sollen sinken. Doch das hört sich einfacher an, als es ist, wie nun ein Fall aus Bremen zeigt.
Dutzende Callcenter-Mitarbeiter der Krankenkasse HKK arbeiten trotz Corona-Pandemie in Großraumbüros – obwohl sie aus Angst vor Infektionen lieber von zu Hause aus arbeiten würden. So erzählt es einer der Beschäftigten, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Ihr Argument: Die Tätigkeit lasse sich leicht ins Homeoffice verlagern, schließlich müsse man „nur telefonieren“. Nach eigenen Angaben hätten sie mehrfach danach gefragt und ihre Vorgesetzten um die Möglichkeit gebeten, von zu Hause aus zu arbeiten – dieser Wunsch sei aber von der Geschäftsführung verwehrt worden. Der Arbeitgeber soll das unter anderem mit den Worten begründet haben, dass es technisch nicht möglich sei und man es versäumt habe, sich darum kümmern. Angesichts der mittlerweile ein Jahr andauernden Pandemie, ruft diese Antwort Unverständnis bei vielen Mitarbeitern hervor.
Bei der Gewerkschaft Verdi ist dieses Problem bekannt. „Man kann durchaus kritisieren, dass der Arbeitgeber sich nicht rechtzeitig darum gekümmert hat, diesen Mitarbeiter Homeoffice zu ermöglichen“, sagt Gewerkschaftssekretärin Stefanie Weiß. Nach ihrem Kenntnisstand würden aber für die Mitarbeiter, die weiterhin vor Ort im Callcenter am Flughafen arbeiteten, alle Hygienestandards eingehalten.
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Die HKK verweist auf Nachfrage darauf, dass die Corona-Arbeitsschutzverordnung keinen allumfassenden Rechtsanspruch aufs Homeoffice bietet. Dass man die Mitarbeiter aus den Callcentern nicht ins Homeoffice schicken könne, hänge mit der Telefonanlage zusammen. Auf sie könne man nicht von außerhalb zugreifen; die technischen Voraussetzungen fehlten. „Diese können bedauerlicherweise auch kurz- oder mittelfristig nicht nachgerüstet werden“, teilt ein Sprecher mit.
Weil durch die Pandemie Geschäftsstellen geschlossen seien, sei der telefonische Kontakt zu den Versicherten wichtiger denn je. „Deshalb kommt leider auch die Umstellung auf ein neues System derzeit nicht infrage. Sobald es die Umstände wieder zulassen, werden wir uns der Lösung dieses Problems widmen“, verspricht der Sprecher. Die HKK sehe dezentrales Arbeiten als den richtigen Weg in der Pandemie an. Aktuell habe mehr als 60 Prozent der Belegschaft die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten.
Arbeitnehmerkammer: Schwächen in Homeoffice-Verordnung
Für Kaarina Hauer von der Bremer Arbeitnehmerkammer zeigt sich an solchen Beispielen eine Schwäche der Verordnung. Arbeitnehmer hätten keinen Rechtsanspruch auf die Arbeit in den eigenen vier Wänden. Die Verordnung, die auf Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zurückgehe, sei eher eine „höfliche Bitte“ denn eine Vorschrift. Zwar heißt es in der Verordnung: „Nur wenn zwingende betriebliche Gründe entgegensprechen, kann von einer Verlagerung dieser Tätigkeit abgesehen werden.“ Diese Formulierung lässt jedoch Raum für Interpretation – und führt mitunter zu Frust bei Arbeitnehmern.
Hätten Beschäftigte das Gefühl, so Hauer, dass ihr Arbeitgeber Gründe vorschiebe, um dezentrales Arbeiten zu verhindern, könnten sie nur schwer dagegen vorgehen. „Es gibt kein subjektives Klagerecht“, sagt die Leiterin der Abteilung Rechtspolitik und -beratung der Kammer. Allerdings könnten sich Arbeitnehmer an die Gewerbeaufsicht wenden. Sie ist im Land Bremen für die Überwachung der Corona-Arbeitsschutzverordnung verantwortlich. Beschwerden könnten auch anonym erfolgen. Arbeitgeber müssten sich dann gegenüber der Behörde erklären.
In Bremen ist es bereits mehrfach zu Beschwerden gekommen, wie die Gewerbeaufsicht dem WESER-KURIER auf Nachfrage bestätigt. In zehn Fällen hätten Beschäftigte das Verhalten ihres Arbeitgebers gemeldet. Nach Behördenangaben wurden alle Beschwerden daraufhin telefonisch überprüft. „In einem Teil der Fälle konnte so eine Homeoffice-Lösung mit dem Arbeitgeber gefunden werden“, sagt Alicia Bernhardt, Sprecherin der Gesundheitssenatorin. Andere Beschwerden hätten sich jedoch als unbegründet herausgestellt, weil das Unternehmen seine Entscheidung nachvollziehbar dargelegt habe. Sollte es nach so einem Telefonat einmal nicht zur Klärung kommen, kann die Behörde den Sachverhalt auch vor Ort prüfen. Das sei in Bremen allerdings noch nicht notwendig gewesen.
Aktuell gilt die Homeoffice-Verordnung noch bis zum 15. März. Wegen der Mutationen des Virus behält sich Heil laut „Rheinischer Post“ allerdings vor, sie darüber hinaus zu verlängern.
Risikofaktor Arbeitsplatz
Wie wichtig das Homeoffice im Kampf gegen die Pandemie sein kann, zeigt eine Auswertung des Robert-Koch-Instituts. Demnach rangiert der Arbeitsplatz als der Ort, an dem sich Menschen am häufigsten mit dem Coronavirus ansteckten, auf Platz drei. Eine Analyse der Hans-Böckler-Stiftung zeigt wiederum, wie stark die Homeoffice-Quote über den Sommer abgenommen hat. Kurz nach Beginn der Corona-Krise im April seien rund 27 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice gewesen. Im November 2020 lag dieser Wert nur noch bei 14 Prozent. Eine Studie der Universität Mannheim aus Dezember beschreibt den Effekt, den die Arbeit in den eigenen vier Wänden auf das Infektionsgeschehen haben kann. Bereits ein Prozentpunkt mehr Arbeitnehmer im Homeoffice könne die Infektionsrate um bis zu acht Prozent verringern, heißt es dort.
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